Assanges Vater im Interview„In den USA erwartet Julian ein Grab“
Lesezeit 8 Minuten
Mehrere Ärzte haben in einem offenen Brief ihre Besorgnis geäußert, dass Julian Assange aufgrund der Haftbedingungen in Lebensgefahr schwebe.
Im Interview spricht John Shipton, Vater des Wikileaks-Gründers, über das Schicksal seines Sohnes.
Der 75-Jährige hofft auf die Hilfe von Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Köln – John Shipton, der Vater von Julian Assange, war kürzlich an der Uni Köln zu einer Diskussionsveranstaltung über seinen Sohn Julian Assange. Ärzte haben in einem offenen Brief gewarnt, dass Assange aufgrund der jahrelangen Strafverfolgung sterben könnte.
Mr. Shipton, wie hat Ihnen Köln gefallen?
Köln ist ein wunderbarer Platz, der Dom ist grandios. Dass ein Ort mit früher nur 30.000 Einwohnern so eine Kathedrale schaffen konnte – einfach erstaunlich.
Sie sind wegen Ihres Sohnes Julian Assange in Köln gewesen, auf dessen Situation Sie aufmerksam machen wollen. Mehrere Ärzte haben in einem offenen Brief ihre Besorgnis geäußert, dass Ihr Sohn aufgrund der Haftbedingungen in Lebensgefahr schwebe. Was empfinden Sie angesichts dieses Briefes?
Sein Gesundheitszustand hat sich verschlechtert, und er hat einen Punkt erreicht, an dem er sterben könnte. Dabei ist er jemand, der nichts getan hat. Er hat einen immensen Beitrag zum Weltjournalismus geleistet. Wikileaks hat enorme Beiträge geleistet, unschlagbare Beiträge. Ich hatte bereits Kenntnis von dem Zustand Julians, bevor der Brief veröffentlicht wurde. Ein Folterexperte der Vereinten Nationen hatte ja bereits ähnliche Beobachtungen gemacht. Ich vermute und ich fühle es auch, dass es eine Auswirkung der strafrechtlichen Verfolgung ist, der Julian seit jetzt zehn Jahren ausgesetzt ist.
Zur Person
John Shipton (75) ist der Vater von Wikileaks-Gründer Julian Assange. Der Bauunternehmer aus dem australischen Melbourne hat seinen Sohn zuletzt im Londoner Gefängnis Belmarsh besucht und kämpft für seine Freilassung. Im Februar soll die Verhandlung zu einem Auslieferungsantrag der US-Justiz beginnen. (ksta)
Was meinen Sie konkret?
Die vollständige Überwachung jedes einzelnen Aspektes seines Lebens, überall wurde er ausgespäht: auf der Toilette, unter der Dusche, beim Arztbesuch. Alles wurde nach Ecuador geschickt. Als Julian noch in der Botschaft war, bat er um eine Behandlung im Krankenhaus, was vom Vereinigten Königreich abgelehnt wurde. Sie erwiderten lediglich: Wenn Sie rauskommen, werden Sie eingesperrt. Schweden und das Vereinigte Königreich missachten jedes internationale Gesetz und jede Konvention, die sie jemals unterzeichnet haben. In Bezug auf Julian haben sie jedes einzelne von ihnen gebrochen. Ein UN-Ausschuss für Haftbedingungen hat gefordert, dass Julian freigelassen und ihm eine Entschädigung gezahlt werden muss. Das erwarten wir von der schwedischen Regierung. Die haben gegen ihre eigenen Gesetze verstoßen. Es war schon immer ein politischer Fall.
Wie würden Sie seine Haftbedingungen beschreiben?
Vielleicht haben Sie Julian ja vor Gericht gesehen, als er einen sehr verwirrten Eindruck machte und sich nicht an sein Geburtsdatum erinnern konnte. Er war zuvor in eine Art Hotbox gesteckt worden, so nennen Häftlinge einen Raum, in dem Cannabis geraucht wird und der Kohlendioxidanteil sehr hoch ist. Dann wurde er ins Gericht gebracht. Er war völlig verwirrt, er wusste nicht, was da vor sich geht, es gab dort eine Leibesvisitation. Es gibt einige Anwälte in Australien, die Menschen in Not erlebt haben, sie haben an den Premierminister geschrieben. Sie erklärten, dass sie in ihrer langen Laufbahn noch nie einen Richter erlebt haben, der einer Person in einen solchen Zustand erlaubt hätte, sich verteidigen zu müssen. Noch nie. Normalerweise wird man gefragt, ob man ein Problem hat, aber nein, die englische Richterin ignorierte das. Sie war zufrieden, dass ihr Gefangener sich nicht einmal an seinen Namen erinnern und sich nicht verteidigen konnte.
Sie sagten in Köln, nur seine mentale Stärke würde Ihren Sohn am Leben halten.
Ja, so ist es. Es ist seine Widerstandsfähigkeit, seine mentale Stärke, die ihm am Leben hält. Seine innere Integrität, die ihn stützt, die wir nur von außen manifestiert in seinen Veröffentlichungen betrachten können.
Welchen Eindruck haben Sie von dem Gefängnis?
Es ist so, wie man es erwarten würde. Julians Situation ist schrecklich. Dort ist er immer noch 23 Stunden am Tag in Isolation, aber jetzt kann er zumindest drei Besuche pro Woche empfangen.
Hat sich Ihr Sohn in der Zeit in der Botschaft sehr verändert?
Ja, sehr. Zunehmend in der immer stärker werdenden Isolation und der ständigen und langlebigen Überwachung. Julian konnte acht Jahre lang nicht aus seinem Zimmer heraus. Man kann sich vorstellen, dass das eine Menge Veränderungen bei Menschen nach sich zieht. Dann die ständige Überwachung. Das alles zusammen ist wie Folter. Die Sicherheitsleute in der Botschaft wurden Gefängniswärter. Sie überwachten jeden Aspekt des Lebens in der Botschaft, sie nahmen alles auf.
Die ecuadorianische Botschaft hat erklärt, Julian hätte sich falsch verhalten.
Was viele über ihn sagen, ist völlig falsch. Sie reden über ihn, ohne ihn gesehen zu haben. Man sollte sich auf die fokussieren, die diese monumentalen Kriegsverbrechen begangen haben.
Sie sprechen von dem Video „Collateral Murder“ im April 2010, das Wikileaks weltweit bekannt gemacht hat.
Ja, diese Menschen haben so viele Leben auf dem Gewissen, dass die Körper dieser Toten bis zum Mond reichen würden, wenn man sie aneinanderreihte. Das ist verstörend, sehr verstörend. Niemand, der darin verwickelt war, diese Verbrechen zu organisieren und auszuführen, wurde dafür bestraft. Man sieht sie hingegen im Interview und sie erklären, dass Julian Leben gefährdet hätte, dabei sind sie für den Tod unzähliger Menschen verantwortlich. Sie sind es, die für die Zerstörung eines Landes nach dem anderen verantwortlich sind. Und Julian verrottet in einem Hochsicherheitsgefängnis. Das ist doch absurd.
Was, denken Sie, würde Ihrem Sohn widerfahren, wenn er an die USA ausgeliefert wird.
Ein Grab. Ja, den Tod. Was würden Sie erwarten bei einer Strafe von 175 Jahren, die ihm droht? Denken Sie daran, dass Chelsea Manning ins Gefängnis gesteckt wurde, weil sie nicht gegen Julian aussagen wollte und keine falsche Aussage gegen ihn machen wollte. Es ist eine Drohung für alle Menschen in der Welt, sich nicht mit den USA anzulegen. Wer etwas gegen die USA veröffentlicht, was sie nicht mögen, wird bedroht, wer als Journalist darüber schreibt, wird bedroht. Sie müssen wissen, es kostet Millionen von Dollar sich gegen einen Auslieferungsbescheid zur Wehr zu setzen. Es gibt nur einige wenige, meistens keinen, der in der Position ist, sich gegen Einschüchterungen zu verteidigen. Sie versuchen, jeden einzuschüchtern.
Im Jahr 2016 veröffentlichte Wikileaks E-Mails von Hillary Clinton. War das im Nachhinein ein Fehler?
Nein, nein. Das sind Menschen, die schreckliche Risiken eingehen, um Informationen zu veröffentlichen. Man muss alles tun, um diese Quellen und Informationen zu veröffentlichen. Alles muss man dafür tun. Das Prinzip ist: Wir schützen die Quellen. Und wir veröffentlichen das bei uns eingelieferte Material auf die wirkungsvollste Art und Weise. Das ist, wenn Sie so wollen, ein Vertrag zwischen dem Whistleblower und Wikileaks. Das Verbrechen war nicht, die E-Mails von Hillary Clinton zu veröffentlichen, sondern die Art, wie Clinton den demokratischen Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders aus dem Rennen geworfen hat. Es ist sehr wichtig zu sehen, welche Handlungen da vorlagen, wie die E-Mails gezeigt haben.
Es gibt den Vorwurf, dass Wikileaks durch Russland manipuliert oder funktionalisiert worden sei, wie Robert Mueller in seinem Bericht erklärte. Demnach war der russische Geheimdienst involviert.
Julian hat klar erklärt, dass kein Geheimdienst hier involviert gewesen ist. Wissen Sie, die lügen andauernd, die offiziellen Stellen verbreiten eine Lüge nach der anderen. Julian erklärte aufrichtig, dass dem kein staatliches Handeln zugrunde liege. Es ist bizarr. Sie belügen uns und behaupten Dinge, die nun auch noch ernst genommen werden. Julian belügt uns nicht, sie belügen uns hemmungslos, und er sitzt im Gefängnis.
Überrascht es Sie, dass Edward Snowden so viel Unterstützung auch von Politikern erfuhr, als er nach Moskau floh, die sich für sein Asyl in Deutschland stark machten? Nach der Verhaftung Ihres Sohnes schwiegen diese Politiker. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Ich bin geschockt. Deutschland und Frankreich sind die führenden Nationen in Europa. Es wäre gut für Deutschland, auf die Einhaltung von Abmachungen zu dringen in Menschenrechtsfragen und internationalen Verträgen. Die Dringlichkeit der Einhaltung internationaler Gesetze und Konventionen in einer multipolaren Welt wird immer größer. Es wird für Deutschland und Europa in Zukunft wichtig sein, das Recht auf Veröffentlichung von Informationen aufrecht zu erhalten. Sie müssen dafür Sorge tragen, dass die USA Europa digital nicht ausplündern. Ein entscheidender Schritt wäre, dass Julian freikommt und in der Schweiz, Deutschland oder Frankreich leben könnte. Oder dass er nach Hause nach Australien geht. Das bringt allen Vorteile. Es geht um die Verteidigung der Meinungsfreiheit. Also müssen wir kämpfen.
Wird es Wikileaks in zehn Jahren noch geben?
Es ist ja eine Organisation, die Informationen veröffentlicht und weltweit agiert. Sie steht für Integrität und Stärke. Ich hoffe, dass sich das fortsetzen kann.
Ist sie eher eine journalistische oder eine aktivistische Plattform?
Es ist eher ein journalistisches Projekt, das der Veröffentlichung von Informationen dient. Wie alle bekannten Publisher haben auch sie eine politische Dimension, präziser eine soziale politische Dimension, es ist eine neue Weise, Journalismus zu betreiben. Der Nutzen, den die Veröffentlichungen, der Journalismus sowie die Menschen davon haben, lässt sich nicht ermessen.
In einem früheren Interview wurden Sie gefragt, ob Julian von Ihnen ein Revolte-Gen geerbt hätte, weil Sie und Ihre Frau Christine schon früh auf Demonstrationen gingen.
Ja, in mir ist gar nicht so viel Revolte, sondern eher eine sichere Unabhängigkeit. Es war so, dass Christine und ich uns in Paddington begegneten, als ich zu einer Anti-Kriegs-Demonstration unterwegs war. Ich fragte sie, ob sie mitkommen wolle. Christine und ich gingen zusammen zu einer Demonstration gegen den Vietnamkrieg. Julian war gewissermaßen ein Ergebnis unseres Protests.
Hätten Sie einen Wunsch, den Sie Angela Merkel übermitteln würden?
Angela kann die beste Sache der Welt machen, indem sie genau das tut, was Barack Obama mit Chelsea Manning machte, indem sie hilft, die Strafverfolgung für meinen Sohn zu beenden. Dafür hätte sie ewig meine Dankbarkeit.