Er hat die Achterbahn der Politik erlebt. In Washington zeigt er sich von seiner neuen, härteren Seite und als Staatsmann – mit Blick auf die nächste Wahl in Deutschland?
Vom Idealtypus zur SpottfigurWarum Robert Habeck plötzlich angriffslustig wird
Die Lockerheit ist zurück. Das ist das Erste, was auffällt, wenn man Robert Habeck in diesen Tagen begleitet. Man sieht es beim Transatlantikflug in der Regierungsmaschine, wenn er jeden einzelnen mitreisenden Beamten persönlich vorstellt („nicht schüchtern sein“). Oder beim Empfang in der Residenz des deutschen Botschafters in Washington, wo ihn ein viel zu niedriger Ledersessel beinahe verschluckt („wirklich ein schönes Möbel“). Oder wenn er sich darüber amüsiert, dass der Secret Service zwei Astronauten wegen eines fehlenden Dokumentes nicht in ein US-Regierungsgebäude hineinlassen will („und das, nachdem sie auf der Internationalen Raumstation waren“).
Der Vizekanzler und Wirtschaftsminister tourt in diesen Tagen durch die USA. Drei Städte in viereinhalb Tagen. Washington, New York, Chicago. Er wirkt dabei wie einer, der wieder Freude an seinem Job hat. Der seine Zuversicht zurückgewonnen hat. Der noch etwas will. Selbstverständlich ist das nach den zurückliegenden zwei Jahren nicht. Im Gegenteil.
Die berüchtigte Achterbahn der Politik, steil aufwärts und dann mit Karacho in den Abgrund, hat Habeck aus nächster Nähe erlebt. Er war Hoffnungsträger, Krisenmanager und beliebtester Politiker des Landes. Manche erklärten ihn gar zum Idealtypus einer neuen Politikergeneration. Und dann wurde er zur Hassfigur, zum Spottobjekt, zum Prügelknaben der Nation. Selbst Blödelbarde Mike Krüger schrieb Witzlieder auf seine Kosten. Besonders originell waren sie nicht.
Spurlos vorbei geht das an niemandem. Selbst an Spitzenpolitikern nicht. Einige geben auf, andere werden misstrauisch, zynisch, dickfellig oder stur. Auch Habeck hatte solche Momente. Es gab Phasen, in denen er dünnhäutig wirkte, genervt, erschöpft. In denen Gerüchte aufkamen, er könnte die Brocken hinwerfen.
Der Freundliche wird persönlich
Er hat das überwunden – auch weil die Ampelregierung derzeit wieder etwas geräuschloser arbeitet. Natürlich steht das Regierungsbündnis schlecht da, in der Öffentlichkeit gilt es wahlweise als zerstritten, chaotisch oder gar inkompetent. Und natürlich sind große Konfliktthemen wie der Haushalt 2025, die Frage, wie die Wirtschaft belebt werden oder die Ausweitung der Ukraine-Hilfe finanziert werden soll, keineswegs gelöst.
Aber immerhin wirkt es nach Monaten des Dauerstreits, als legten die Ampelparteien eine kleine Verschnaufpause ein. Man redet aktuell mehr unter- als übereinander. Damit kann Habeck arbeiten.
Er ist vorsichtiger geworden, das merkt man. Und er hat sich eine größere Härte in der politischen Auseinandersetzung zugelegt. Fühlt er sich angegriffen, schlägt er zurück. Bisweilen kann der freundliche Robert dann auch sehr persönlich werden.
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Haushaltsstreit erklärt ein wütender Habeck im Deutschlandfunk, dass die Folgen des Richterspruchs einschließlich möglicherweise steigender Kosten für Strom und Gas auf das Konto der in Karlsruhe klagenden Opposition gingen. „Dafür könnten sich die Menschen bei der Union und dem CDU-Vorsitzenden Merz bedanken.“
Als ihm ein früherer Journalist des russischen Staatssenders RT in der Bundespressekonferenz vorwirft, den Verfassungsschutz gegen politisch andersdenkende Beamte in seinem Ministerium einzusetzen, spricht Habeck von „Berichterstatter Russlands“ und einer „moralischen Grenze“, deren Überschreiten für ihn nur schwer zu ertragen sei.
Und als Markus Söder bei der Eröffnung der Handwerksmesse in München das Abschalten der letzten deutschen Atomkraftwerke kritisiert, hält Habeck dem bayerischen Ministerpräsidenten dessen eigene Ausstiegsforderung nach dem Fukushima-Unglück sowie das Veto gegen eine Endlagersuche im Freistaat vor und zählt genüsslich auf, wie viele Meiler während einer Regierungsbeteiligung der CSU im Bund abgeschaltet worden sind: elf. „Muss halt jeder seine eigene Glaubwürdigkeit immer wieder überprüfen.“
Auch bei seiner viertägigen Reise in die USA wird die neue Angriffslust immer mal wieder aufblitzen.
Es könnte so nett sein
Als Habeck am Freitagnachmittag vor dem Eisenhower Executive Office Building steht, einem gewaltigen Regierungsgebäude in Sichtweite des Weißen Hauses, will er eigentlich über die Raumfahrt reden, ein Thema, das ihn fasziniert. Es geht um die Artemis-Mission der Nasa, die ab 2026 wieder Menschen auf den Mond bringen soll, um die Rolle der Europäischen Raumfahrtagentur (Esa) bei dem Projekt und um die Frage, ob bald der erste Deutsche seinen Fuß auf den Erdtrabanten setzten wird.
Die Chancen dafür stehen gar nicht mal schlecht. Drei Slots für Mitflüge hat sich die Esa gesichert, Deutschland leistet einen technologischen Beitrag zu dem Artemis-Projekt, ist der größte Finanzier des europäischen Anteils und stellt gleich zwei der fünf infrage kommenden Astronauten: Alexander Gerst und Matthias Maurer.
Habeck hat sie im Regierungsflugzeug mitgenommen in die USA. Er will bei den Amerikanern ein gutes Wort für die beiden einlegen, aber hofft auch darauf, dass etwas von dem Glanz auf ihn abstrahlt. Die Mondmission, das sei „eine Geschichte, die Sehnsucht und Hoffnung zusammenbringt“, sagt Habeck. Gerst redet über den „achten Kontinent“, vergleichbar mit der Antarktis vor 100 Jahren – lebensfeindlich, schwer zugänglich, aber mit riesigem Potenzial. Habeck blinzelt lächelnd in die Washingtoner Frühlingssonne, der Termin ist sichtlich nach seinem Geschmack.
Es könnte so nett sein – wären da nicht die schlechten Nachrichten aus der Heimat. Es gibt mal wieder Ärger, der Bundesrechnungshof hat der Energiepolitik der Ampelregierung und damit auch dem zuständigen Minister in einem Sonderbericht ein verheerendes Zeugnis ausgestellt. Die Rechnungsprüfer werden der Regierung vor, bei der Energiewende „nicht auf Kurs“ zu sein. Ihre Beschlüsse seien „ungenügend“, die Risiken „gravierend“.
Und dann kommt sie, die neue Angriffslust: Zur Kenntnis genommen habe er den Bericht, gibt Habeck zu Protokoll. „Mehr aber auch nicht.“ Er könnte es dabei bewenden lassen, aber er legt jetzt erst richtig los. Dass die Bundesregierung nicht genug tue, um die Energiepreise runterzubringen, die Energiesicherung umzusetzen und den CO2-Ausstoß zu reduzieren, sei eine „erstaunliche Wahrnehmung“, die „nichts mit der Realität zu tun“ habe, schimpft der Minister. Die Energiepreise an den Börsen gingen seit Monaten runter, der Ausbau beim Ökostrom habe während seiner Amtszeit „mächtig Fahrt aufgenommen“.
Und dass der teure Netzausbau die Netzentgelte und damit auch den Strom teurer mache, sei ein Problem, dass er von der Vorgängerregierung geerbt habe und das ihm auch schon vor dem Bericht der Rechnungsprüfer klar gewesen sei. „Jeder, der nachdenken kann, sieht, dass das das Problem ist. Da haben sie einen Punkt. Schönen Dank dafür“, höhnt er.
Es ist seine neue, seine härtere Seite. Er lässt sich nicht mehr alles gefallen.
Beziehungen gut wie lange nicht
Der Ausbruch ist allerdings nur von kurzer Dauer. Habeck ist fest entschlossen, sich die gute Laune nicht verderben zu lassen. Dafür sind das Wetter und die Atmosphäre bei den Gesprächen in den USA zu freundlich. Bereits zum dritten Mal in seiner Ministerzeit bereist er die Vereinigten Staaten. Er wird nicht müde, die „stabile, freundschaftliche, sehr intensive und vertrauensvolle“ Zusammenarbeit mit der Administration von Präsident Joe Biden zu betonen.
In Washington tritt er das halbe Kabinett. Mit Finanzministerin Janet Yellen spricht er über die Russland-Sanktionen und den Umgang mit eingefrorenem russischen Vermögen bei westlichen Banken, mit Handelsministerin Gina Raimondo über die Vereinfachung des transatlantischen Warenverkehrs und mit Energieministerin Jennifer Granholm über den temporären Stopp bei der Genehmigung neuer LNG-Exporte sowie gemeinsame Wasserstoffprojekte. Und mit dem sicherheitspolitischen Berater Jake Sullivan diskutiert er über die Kriege in der Ukraine und dem Nahen Osten sowie die sich verschärfende Sicherheitslage auf der Welt.
Geprägt von großem Vertrauen und gegenseitigem Verständnis seien die Gespräche gewesen, sagt Habeck im Anschluss. Man kann das nicht überprüfen, aber es stimmt vermutlich. Die Beziehungen zwischen Berlin und Washington sind derzeit so gut wie lange nicht. Zwar ist auch Biden das national-ökonomische Denken nicht fremd, aber seine Administration bemüht sich, einen wichtigen Verbündeten wie Deutschland nicht vor den Kopf zu stoßen.
Habeck weiß, dass sich das bald ändern könnte. Er ist nur einen Tag nach dem „Super Tuesday“ mit Vorwahlen in 15 Bundesstaaten in den USA gelandet. Während der deutsche Vizekanzler noch in der Luft war, hat Nikki Haley, die letzte verbliebene Konkurrentin von Donald Trump im Vorwahlrennen der Republikaner, das Handtuch geworfen. Trump ist damit einer Rückkehr ins Weiße Haus so nahe wie nie zuvor.
Wahlkämpfe dort und hier
Habeck weiß, welche katastrophalen Auswirkungen ein Comeback des Wüterichs für die Sicherheitslage Europas und der Welt und auch für die deutsche Wirtschaft haben würde. Darüber reden möchte er nicht. Einen möglichen Wahlsieg Trumps, der in allen Umfragen führt, bezeichnet er als „Spekulation“, die „ganz falsch“ sei. „Der US-Wahlkampf hat doch noch gar nicht begonnen.“
Man solle aufhören, Trump zum Sieger zu erklären oder dorthin zu schreiben, fordert Habeck. So zu tun, als ob der Wahlkampf schon entschieden wäre, sei ein „sehr europäischer Diskurs“, so der Minister. „Wir wissen doch, was in solchen Wahlkämpfen alles passieren kann.“
Es ist ein Satz, den er so auch für Deutschland sagen könnte, das elf Monate nach den USA wählt. Habeck will die Grünen als Spitzenkandidat in die Wahl führen. Das spricht er zwar nicht, aber das strahlt er aus.
Sein USA-Besuch ist nicht zuletzt darauf angelegt, den Vizekanzler als Staatsmann in Szene zu setzen. Er hat auch einen Termin bei UN-Generalsekretär António Guterres im Gebäude der Vereinen Nationen, jenem Ort, der eigentlich die Bühne seiner parteiinternen Konkurrentin und Außenministerin Annalena Baerbock ist.
Die Frage, wer denn nun die Spitzenkandidatur der Grünen übernimmt, verfolgt Habeck seit Monaten. Er hat sich inzwischen einen ganzen Strauß Antwortmöglichkeiten zurechtgelegt, deren Gemeinsamkeit es ist, dass sie die Frage nicht beantworten.
In den USA versucht er es mit einem Spaß. „Was war noch mal die Frage?“