Bei den Kommunalwahlen im Osten dominierte fast überall die AfD. Die Union übt sich in einer neuen Abgrenzung nach rechts.
Von Deutschlandflaggen und BrandmauernWie die Union zum Kampf gegen die AfD bläst

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und die AfD-Politiker Alice Weidel und Bernd Baumann am Tag der Kanzlerwahl im Bundestag. (Archivfoto)
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In der Lutherstadt Wittenberg und im umliegenden Landkreis wehen jetzt Deutschlandflaggen an allen öffentlichen Gebäuden. Der CDU-Landrat hat das verfügt, symbolisch am Tag des Grundgesetzes am 23. Mai. Es soll auch ein Signal an die Adresse der AfD sein. Aber freut sich die Rechtspartei nicht eher darüber?
Die symbolische Entscheidung für flächendeckendes Schwarz-Rot-Gold zeigt exemplarisch die Schwierigkeiten im Umgang mit den Rechten auf den unteren politischen Ebenen – und wie besonders die Union mit der „Brandmauer“ kämpft.
Die Brandmauer brach an der Flaggenfrage
Vor einem Jahr, am 9. Juni, gewann die AfD bei den Kommunalwahlen in acht Bundesländern fast überall deutlich hinzu. In ihren Hochburgen in Ostdeutschland wurden ihre Vertreter zu einer Größe, an der die anderen Parteien von der Gemeindevertretung bis zum Kreistag nur noch schwer vorbeikamen – und es immer öfter auch nicht wollten.
Hier kommen die Deutschlandflaggen ins Spiel: Im Kreistag Jerichower Land in Sachsen-Anhalt brachte die AfD im März einen Antrag mit der Überschrift „Flagge zeigen“ ein: Vor öffentlichen Gebäuden, darunter auch Schulen, sollte ganzjährig Schwarz-Rot-Gold wehen. Die AfD hat elf Kreisräte, die CDU 13. Die Union verhalf dem Antrag zur Mehrheit. Die Brandmauer brach an der Flaggenfrage. Ein bundesweiter Aufschrei folgte.

Flaggen von Europa, Deutschland und Sachsen wehen während der Sitzung vor dem Sächsischen Landtag im Wind. (Archivfoto)
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Dann merkten Unionsvertreter, dass es einen einfachen Weg gibt, ähnlichen AfD-Anträgen in anderen Landkreisen zuvorzukommen: Der Landrat kann schlicht selbst die Beflaggung anordnen. So geschah es in vier Landkreisen, zuletzt zum symbolischen Datum in der Lutherstadt Wittenberg.
Flaggenbeschluss als „starkes Zeichen“ gegen AfD
Der Wittenberger CDU-Bundestagsabgeordnete und Unionfraktionsvize Sepp Müller (36) wertet den Beschluss als „starkes Zeichen“. Für die Beflaggung brauche es eben „keinen AfD-Antrag und keinen Kreistagsbeschluss“, sagt er im Gespräch mit dem RND. „Wer klare Haltung zeigt, läuft der AfD nicht hinterher – er setzt ihr etwas entgegen.“
Müller, der auch in Stadtrat und Kreistag sitzt, hat bei der Bundestagswahl das beste Erststimmenergebnis eines CDU-Kandidaten in Ostdeutschland erreicht – das Direktmandat holte dennoch sein AfD-Konkurrent. Und bei der Landtagswahl in einem Jahr will die Rechtspartei gar die absolute Mehrheit erreichen und erstmals regieren. Müller aber ist kampfeslustig – und hofft auf Rückenwind aus Berlin durch die ersten Maßnahmen der neuen Bundesregierung: „Wir müssen der AfD die Deutungshoheit entziehen – mit einer starken, eigenen Erzählung“, sagt er.
CDU sucht Antworten auf AfD
Von der „Brandmauer“ spricht Müller nur ungern. „Wir müssen den Brand politisch löschen“, sagt er – auf allen Ebenen. Die CDU will offenbar zu neuem Kampfesmut finden – nicht als populistische AfD-Kopie, sondern als deren Gegenteil: als Staatspartei, die der Niedergangserzählung von Rechts eine Stabilitätsgeschichte aus der Mitte entgegensetzt.
Die aktuellen Umfragewerte stützen diese Strategie – seit Schwarz-Rot wirklich mit dem Regieren angefangen hat, ist der Höhenflug der AfD erst einmal gestoppt, die Union wieder stärkste Kraft. Doch das sind Momentaufnahmen.
Im Amt Ortrand in Südbrandenburg ist die AfD das halbe Volk. Die Partei erreichte bei der Bundestagswahl mehr als 47 Prozent, die CDU nicht einmal 20 Prozent. Bei der Kommunalwahl wurde die AfD in den fünf Gemeinden mit zusammen 6000 Einwohnern zweitstärkste Kraft. Im Kreistag aber bildet die Rechtspartei die mit Abstand stärkste Fraktion.
Widerstände auf Kommunalebene am geringsten
„In den Kommunen und Kreisen sind die Mauern um die AfD am niedrigsten. Hier ist als Fundamentalopposition nichts, aber als Volkspartei viel zu gewinnen.“ Das haben der Brandenburger AfD-Landeschef René Springer und Landtags-Fraktionschef Christoph Berndt bereits zwei Jahre vor den Kommunalwahlen in der rechtsextremen Zeitschrift „Sezession“ geschrieben. Der Weg der AfD an die Macht soll in den Kommunen beginnen, so liest sich das.
Niko Gebel hat dazu naturgemäß eine andere Sichtweise. „Die AfD lebt davon, Opposition zu sein. Das geht auf der kommunalen Ebene schlecht“, sagt der 38-Jährige. Gebel, gelernter Steinmetz, ist Amtsdirektor von Ortrand und CDU-Kreisvorsitzender von Oberspreewald-Lausitz.
Zusammenarbeiten mit der AfD
Dass seine Heimat eine rechte Hochburg ist, kennt er seit seiner Jugend. Über die jüngsten Wahlergebnisse sagt Gebel: „Wenn hier 50 Prozent AfD wählen, sind sicher auch überzeugte Rechtsradikale dabei. Wir müssen nun einmal mit den Gegebenheiten vor Ort leben.“
Diese Gegebenheiten bedeuten, dass Gebels Amtsausschuss-Vorsitzender auf der AfD-Liste gewählt wurde und er sagt: „Ich arbeite hervorragend mit ihm zusammen.“ Und nicht nur mit ihm: „Mit einigen, die auf AfD-Listen in die Gemeindevertretungen gewählt wurden, kann ich vernünftig arbeiten”, sagt der CDU-Mann. „Andere sind speziell, und einige sind radikal. Das ist ein Spiegelbild der Gesellschaft.“

René Springer, Landesvorsitzender der Brandenburger AfD, nimmt am Landesparteitag der AfD Brandenburg teil. (Archivfoto)
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Zu Gebels Job zählt auch: abends auf Patrouille gehen und Jugendliche zurechtweisen, die auf dem Schulhof trinken. Er lebt das, was er sagt: „Ich muss dafür sorgen, dass der Staat auf seiner untersten Ebene funktioniert. Meine Aufgabe als Hauptverwaltungsbeamter ist es, Leute zusammenzubringen und die Bundespolitik rauszulassen.“
Vom Kreistag aufwärts aber sollten andere Regeln gelten, sagt Gebel. „Natürlich gibt es welche, die sich Schwarz-Blau wünschen.“ Aber so lange sich die AfD nicht staatstragend aufstelle, sei mit ihr eben kein Staat zu machen. Und in der CDU hätten „rechtsradikale Aussagen keinen Platz“, sagt Gebel. „Ich bin da erfrischend direkt. Wenn einer sich so äußert, schmeißt der Kreisvorstand ihn raus.“
Wenn aus Protest echte Überzeugung wird
Jana Schimke ist bei der Bundestagswahl ihrem AfD-Konkurrenten unterlegen. Die CDU-Abgeordnete hat ihr Büro bereits ausgeräumt, schlägt als Treffpunkt aber weiter das Café Einstein Unter den Linden vor, den zentralen Vernetzungsort von Abgeordneten und Hauptstadtpresse.
Sie verfolgt den Aufstieg der AfD in ihrem Brandenburger Wahlkreis aus nächster Nähe. „Ich beobachte das seit zehn Jahren: Nach 2015 wurde die AfD aus Protest gewählt, weil sie die einzige Vertreterin zu sein schien, welche die Sprache der Menschen im Osten sprach. Mittlerweile wurden diese einstigen Protestwähler zu überzeugten Wählern, wegen fortbestehender Probleme im Land und deshalb gerade auch wegen der grenzwertigen und grenzüberschreitenden Positionen der Partei.“
Warnung vor schwarz-blauen Bündnissen
Schimke hat noch im Abschied aus der Bundespolitik eine Warnung an ihre Partei: „Sich mit der AfD abzufinden, käme einer Selbstaufgabe gleich. Wer insgeheim auf schwarz-blaue Bündnisse hofft, übersieht, was die AfD wirklich will.“
Nicht weit von Ortrand liegen die Orte Altdöbern und Senftenberg. In Altdöbern zündete ein erst 14-jähriger Rechtsextremer im vergangenen Oktober das Kulturhaus an, in Senftenberg wollte der Jugendliche gemeinsam mit Mitstreitern der „Letzten Verteidigungswelle“ ein Asylheim mit Kugelbomben angreifen.
Amtsdirektor Gebel hatte danach einen Termin mit Polizei und Verfassungsschutz über die Verbindungen solcher Jung-Terroristen zur AfD. Sein Urteil danach war klar: „Diese Partei ist nicht staatstragend, sondern vielmehr staatsfeindlich.“ (rnd)