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Einwanderin, AfD-Funktionärin, Höcke-FanWas treibt Migranten in die AfD?

Lesezeit 7 Minuten
Catherine Schmiedel und der rechtsextreme AfD-Fraktionschef in Thüringen, Björn Höcke.

Catherine Schmiedel und der rechtsextreme AfD-Fraktionschef in Thüringen, Björn Höcke.

Catherine Schmiedel stammt aus Nigeria, lebt in Hessen – und will in der AfD durchstarten. Warum tut sie das?

Auf der Europawahlversammlung der AfD in Magdeburg vor wenigen Wochen erfüllte sich Catherine Schmiedel gleich mehrere Herzenswünsche. Die 45-Jährige aus Südhessen schoss Selfies mit Parteichefin Alice Weidel, dem Thüringer Rechtsextremen Björn Höcke und dem ersten AfD-Landrat Robert Sesselmann. Breit lächelte sie an der Seite der Rechtsaußenprominenz in die Kamera. „Der Höhepunkt war für mich ein persönliches Treffen mit der großartigen Alice Weidel“, schrieb Schmiedel auf dem Netzwerk X (früher Twitter). „Ich stehe mit Stolz für die AfD.“

Dass das Foto der beiden lächelnden AfD-Frauen auch außerhalb der Parteitagsblase viral ging, lag nicht an diesen Sätzen. Es liegt an Schmiedels Hautfarbe. Sie ist schwarz. Die Mutter dreier Kinder stammt aus Nigeria, hat in England studiert und in mehreren Golfstaaten gelebt und ist seit einigen Jahren eingebürgerte Deutsche. Ihr Deutsch mischt sie mit englischen Wörtern, im Redefluss sucht sie ab und an nach dem richtigen Ausdruck.

„Passdeutsche“ nennen AfD-Politikerinnen und -Politiker regelmäßig Deutsche mit Migrationshintergrund wie Schmiedel und sprechen ihnen mit diesem rassistischen Ausdruck ab, in dieses Land zu gehören. Sie fragen bei Kriminalitätsstatistiken nach Vornamen und Hautfarbe. In Magdeburg punktete AfD-Frau Irmgard Boßdorf aus Nordrhein-Westfalen in ihrer Bewerbungsrede für einen Listenplatz für die Europawahl mit der Forderung nach „millionenfacher Remigration“. Der Begriff ist ein Schlagwort der rechtsextremen Identitären Bewegung. Ein „groß angelegtes Remigrationsprojekt“ fordert auch Höcke. Eine künftige AfD-Regierung sei „den Interessen der autochthonen Bevölkerung verpflichtet“, schrieb er bereits 2018. Sie müsse „aller Voraussicht nach Maßnahmen ergreifen, die ihrem eigentlichen moralischen Empfinden zuwiderlaufen“, und mit „wohltemperierter Grausamkeit“ agieren.

„Ein sicherer Ort“

Catherine Schmiedel aber sagt: „Die AfD ist ein sicherer Ort für mich, a safe place.“ Eine Freundin nahm sie vor zwei Jahren mit zu einem Ortsvereinstreffen. „Alle waren freundlich zu mir, ich fühlte mich wie ein kleiner Star“, berichtet sie. Andere Bekannte aber waren entsetzt. „Was machst du bei der AfD, das sind doch alles Rassisten“, hätten sie gesagt. „Vielleicht hast du dort etwas nicht ganz verstanden?“

Wenn irgendetwas rassistisch sei, dann ja wohl dieser Satz, habe Schmiedel daraufhin geantwortet. Und dass Deutschland ein so tolles Land sei, aber mit der Einwanderung immer stärker überfordert.

Das sagt jemand, der es in Liverpool sehr angenehm fand, in einer Einwanderungsgesellschaft zu leben, in der Menschen dunklerer Hautfarbe überhaupt nicht mehr auffallen – und der sich schwertat mit dem viel weißeren Kleinstadt-Deutschland, in dem schon alle irritiert gucken, wenn sie auf Englisch im Drogeriemarkt telefoniert. „Ich habe gelernt, nicht mehr so laut zu sein“, sagt sie. „Wir Nigerianer sind oft viel lauter als die Menschen hier.“

Schmiedel ist inzwischen mehr als „ein kleiner Star“ im hessischen Hinterland. Sie ist Vorsitzende des Ortsverbands Weschnitztal/Überwald, sie saß in Magdeburg bis spätnachts in der Zählkommission, und sie ist Vizevorsitzende des parteinahen Vereins Mit Migrationshintergrund für Deutschland.

Die Idee für diesen im Juni gegründeten Zusammenschluss kommt vom hessischen AfD-Fraktionsvorsitzenden und -Spitzenkandidaten für die Landtagswahl am 8. September, Robert Lambrou. Auf dem Wahlzettel steht er auch mit seinem ersten Vornamen Athanasios. Er hat einen griechischen Vater. „Wer sich integriert, die Leitkultur annimmt und sich in Deutschland einbringt, ist willkommen“, sagt Lambrou. „Auch in der AfD.“ Ihn habe die Sorge vor dem politischen Islam in die Rechtspartei getrieben, sagt er, völkisches Denken liege ihm fern.

Lambrou war früher SPD-Mitglied, er gehört nicht zu den Scharfmachern in der AfD. Aber er hat einen Pakt mit rechts außen geschlossen. Den Landesvorsitz in Hessen teilt er sich mit Andreas Lichert, der beste Kontakte zum rechtsextremen Institut für Staatspolitik in Schnellroda pflegt – bis 2018 saß er im Vorstand des Trägervereins und bis heute immer wieder auf Podien bei Veranstaltungen des Instituts. Auch zu den Identitären hatte Lichert enge Verbindungen. Auch ein höflicher, durchaus mit liberalen Ansichten ausgestatteter Mann wie Lambrou macht sich so zum Steigbügelhalter rechtsradikaler und rechtsextremer Kräfte.

Er sieht das naturgemäß anders. „Was habt ihr eigentlich gegen uns?“ bekomme er immer wieder von Menschen mit Migrationshintergrund zu hören, von Schülergruppen im Hessischen Landtag ebenso wie von den Hinterbliebenen des Hanau-Attentats am Rande des Untersuchungsausschusses. Und als er im Hallenbad in Wiesbaden seine Bahnen zog, habe ihn ein Mann angesprochen und sarkastisch gesagt: „Wie können Sie es als AfDler aushalten, hier das Wasser mit Migranten zu teilen?“

Catherine Schmiedel war sofort bereit, neben Lambrou die Vereinsführung zu übernehmen. Sie will jetzt durchstarten in der AfD. Sie empfängt den Reporter in ihrem Reihenendhaus in einem kleinen Ort an den Hängen des Odenwalds. Sie hat drei Sorten Käsekuchen gebacken, die Kinder spielen im Obergeschoss.

Kleinstadt-Deutschland

Schmiedel hat sich mehr oder weniger allein integriert in ihrem Kleinstadt-Deutschland. Ihr deutscher Mann war ständig im Ausland, sie musste die Sprache lernen, sich um die Kinder kümmern, Fuß fassen. Sie wird wütend, wenn sie über junge Männer spricht, die den Deutschkurs so sehr stören, dass auch sie nicht vorankommt. Sie beklagt sich, dass die Gemeinde dem Fastnachtsverein im Ort den Mietvertrag für ein Gebäude gekündigt hat, wo Kostüme und Equipment gelagert wurden, dort sollen Geflüchtete einziehen. Sie sagt: „Deutschland ist ein so tolles Land. Ich bin Deutschland so dankbar für sein Bildungssystem, seine medizinische Versorgung, seine Sicherheit. Das darf nicht kaputtgehen. Es kommen einfach zu viele.“

Schmiedel ist nicht die erste Afrodeutsche, die in der AfD Karriere machen will. Vor fünf Jahren bewarb sich der aus Benin stammende Kieler Achille Demagbo um einen Listenplatz für die Europawahl. „Ich bin stolz, Afrikaner zu sein“, rief er damals in den Saal. „Aber wir dürfen Deutschland nicht mit Afrikanern überfluten, weil es einfach zu viele davon gibt.“ Demagbo wurde bejubelt, gewählt wurde er nicht.

Bislang hat die AfD vor allem die Russlanddeutschen angesprochen und als Wählerinnen und Wähler gewinnen wollen. Das gelang ihr bereits bei der Bundestagswahl 2017 mit Erfolg: Damals wählten laut einer Studie der Universität Duisburg-Essen bundesweit 15 Prozent der Russlanddeutschen die AfD, insgesamt erhielt die Partei 12,6 Prozent. Bei einer weiteren lokalen Umfrage nach der Bundestagswahl 2021 in Duisburg lag die AfD allerdings abgeschlagen bei 6 Prozent der russlanddeutschen Stimmen und nur 2 Prozent der türkischstämmigen Wählerinnen und Wähler.

Ich bin stolz, Afrikaner zu sein. Aber wir dürfen Deutschland nicht mit Afrikanern überfluten, weil es einfach zu viele davon gibt
Achille Demagbo,aus Benin stammender AfDler

Das könnte sich bei den kommenden Wahlen ändern. Migrantinnen und Migranten mit Systemfrust fühlten sich bei der AfD gut aufgehoben, meint der Duisburger Politikwissenschaftler Achim Goerres, der das Wahlverhalten von Menschen mit Migrationsgeschichte untersucht.

Der „FAZ“ sagte Goerres: „Xenophobie und Rassismus sind unter Migranten genauso stark verbreitet wie in allen anderen Bevölkerungsgruppen.“ Insofern sei es auch nicht überraschend, wenn Positionen der AfD eingenommen würden.

Der Demoskop und Forsa-Chef Manfred Güllner warnt davor, in dem Verein ein Indiz dafür zu sehen, dass sich die AfD breiter aufstelle. „Im Kern bleibt die AfD eine völkische, fremdenfeindliche, rassistische und zum Teil antisemitische Veranstaltung“, sagt er dem RND. Durch den Frust über die Leistungen der Ampelkoalition und die Schwäche der CDU aber sei die Partei jetzt für breitere Bevölkerungsschichten wählbar geworden. Die AfD würde mehr als vier Millionen Stimmen mehr erhalten als bei der letzten Bundestagswahl 2021, sagt Güllner – davon vermutlich auch einige von Menschen mit Migrationshintergrund.

Bei der Landtagswahl in Hessen kommt die AfD nach neuesten Umfragen auf 15 Prozent, 2 Prozent mehr als bei der letzten Wahl 2018. Ihre Hochburgen liegen nach wie vor im ländlichen und sehr konservativen Nordhessen. Solche Gegenden bilden in West wie Ost das Herzland der AfD, sagt auch Europa-Spitzenkandidat Maximilian Krah: „Unser Hauptpotenzial haben wir bei den autochtonen Deutschen, denen sehr viele Veränderungen zugemutet werden. Die dürfen wir nicht verschrecken.“ Alles andere sei mehr oder weniger Bonus.

Völkischer Grundton

Das klingt doch sehr danach, als sei ein völkischer Grundton für die AfD wichtiger als das Ankommen in der (west)deutschen Einwanderungsgesellschaft. Dennoch: Ist Lambrous und Schmiedels Verein ein Versuch, kurzfristig neue Wählerschichten zu erschließen? Ein Wahlkampfgag sei es auf keinen Fall, meint der Spitzenkandidat. Es gehe ihm um ein langfristiges Signal. 50 Interessenten gebe es aktuell, die Mitgliedsanträge würden nun nach und nach bearbeitet.

Auf dem Parteitag fiel Catherine Schmiedel der Stand der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative ins Auge. Dort liegen Aufkleber aus, die sich an der US-amerikanischen Black-Lives-Matter-Bewegung abarbeiten. „White lives matter“ steht auf einem, „Weiße Leben zählen“. Damit habe sie kein Problem, meint die Hessin, alle Leben würden schließlich zählen. Doch daneben liegt ein weiterer Aufkleber: „Black knives matter“, „Schwarze Messer zählen“, ein einigermaßen holpriges Wortspiel, das an die AfD-Propaganda von der „migrantischen Messerkriminalität“ anknüpft.

Schmiedel runzelt die Stirn. Was soll das bedeuten? „Wenn die damit meinen, dass alle Schwarzen gewalttätig sind, ist das überhaupt nicht in Ordnung.“ Sie kündigt an, sich beim JA-Bundesvorstand zu beschweren. Dass die AfD ein „sicherer Ort“ für sie ist, glaubt sie aber weiterhin.