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Wirbel um MedienberichtJoe Biden denkt angeblich über Rückzug nach

Lesezeit 4 Minuten
US-Präsident Joe Biden spricht während eines Besuchs in der Notrufzentrale des D.C. Emergency Operations Center.

US-Präsident Joe Biden spricht während eines Besuchs in der Notrufzentrale des D.C. Emergency Operations Center. Der 81-Jährige steht nach dem verpatzten TV-Duell enorm unter Druck. (Archivbild)

Bei den Demokraten wächst nach dem desaströsen TV-Duell die Unruhe Laut der „New York Times“ sieht Biden seine Kampagne in Gefahr.

Mit ihren 84 Lebensjahren und einer Parlamentserfahrung von fast vier Jahrzehnten gilt Nancy Pelosi als eine der gewieftesten Taktikerinnen in der amerikanischen Politik. Die ehemalige Sprecherin des Repräsentantenhauses wägt ihre Worte sehr genau. Insofern war es höchst bemerkenswert, was die Grande Dame der amerikanischen Demokraten in einem Interview des Fernsehsenders MSNBC sagte.

„Nach meiner Erfahrung“, erwiderte Pelosi auf die Frage nach der geistigen Fitness von Joe Biden und setzte zu einer langen Litanei von politischen Erfolgen des Präsidenten an, „hat er das alles meisterhaft durchgebracht.“ Bei der Fernsehdebatte habe er eine „schlechte Nacht“ gehabt. Damit hätte Pelosi enden können. Doch ohne Not setzte sie hinzu: „Ich finde es legitim zu fragen, ob das ein (einmaliger) Vorfall oder ein Gesundheitszustand ist.“

Biden vor US-Wahl unter Druck: Obama räumt ein, dass Trump schwer zu schlagen sei

Pelosis demonstrative Distanzierung vom Weißen Haus spiegelt die wachsende Frustration der Partei über ihren Präsidentschaftskandidaten nach dessen desaströsem Auftritt im TV-Duell. Vertrauliche Umfragen eines großen Biden-Spendenfonds zeigen nach einem Bericht der „New York Times“, dass der 81-Jährige inzwischen nicht nur in den sechs Swing States, sondern auch in den Bundesstaaten New Mexiko, New Hampshire und Virginia hinter Trump liegt, die bislang als nicht gefährdet galten. Laut „Washington Post“ hat Ex-Präsident Barack Obama in privaten Gesprächen eingeräumt, dass es noch schwieriger werde, Trump zu schlagen.

Offiziell hat das Weiße Haus seit Tagen das Problem geleugnet. Am Mittwoch schlug dann ein Bericht der „New York Times“ Wellen, demzufolge Biden selbst einem Vertrauten gesagt hat, dass er vor einer großen politischen Herausforderung stehe, die Öffentlichkeit in den nächsten Tagen von seiner Fitness für das Amt zu überzeugen. „Er weiß, dass er sich in einer ganz anderen Situation befindet, wenn es zwei weitere Ereignisse dieses Art geben sollte“, zitiert das Blatt den anonymen Informanten. Bislang scheint Biden entschlossen, im Rennen zu bleiben. Einer seiner Sprecher bezeichnete den Bericht als „absolut falsch“.

In den Stunden zuvor hatte es Absetzbewegungen in der Partei gegeben. Als erster Abgeordneter wagte sich am Dienstag Lloyd Doggett aus der Deckung und forderte Bidens Verzicht auf die Kandidatur. Der linke Demokrat aus Austin, der immerhin 15 Legislaturperioden im Kapitol verbracht hat, erklärte, Biden habe 2020 das Land von Trump befreit: „Er darf uns 2024 nicht Trump ausliefern.“ Kurz darauf erklärte die Abgeordnete Marie Gluesenkamp Perez, Biden werde „gegen Trump verlieren“.

Politiker aus der ersten Reihe halten sich mit direkten Angriffen auf Biden bislang zurück. Das kann kaum verwundern: Immerhin hat sich der Präsident längst die erforderlichen Delegiertenstimmen gesichert und will an seiner Kandidatur festhalten. Auch gibt es weder eine zwingende Alternative noch einen Plan, wie zu einem derart späten Zeitpunkt eine Auswechslung ablaufen könnte. Umso bemerkenswerter sind Äußerungen des Vize-Fraktionschefs James Clyburn. Der einflussreiche Afroamerikaner aus South Carolina hatte 2020 Biden maßgeblich zur Nominierung verholfen. Nun spekuliert er über einen Rückzug des Präsidenten und erklärt, in diesem Fall werde er Vizepräsidentin Kamala Harris unterstützen.

Mehr noch als auf die objektiv schlechte Performance von Biden in der Debatte scheint sich die Verärgerung vieler Demokraten auf das Gefühl zu beziehen, vom Präsidenten und dessen Umfeld lange über dessen tatsächlichen mentalen Zustand getäuscht worden zu sein.

Die „New York Times“ berichtete am Mittwoch in einer großen Enthüllungsgeschichte, dass der 81-Jährige bei internen Zusammenkünften schon in den vergangenen Monaten öfter „konfus“ und „lustlos“ gewirkt oder in einem Gespräch den Faden verloren habe.

Bidens Sprecherin Karine Jean-Pierre führte die Debatten-Schlappe hingegen erneut auf eine Erkältung zurück. Biden selbst wiederum erklärte bei einer Spendengala, es sei „nicht schlau“ von ihm gewesen, zwei kräftezehrende Reisen (zum Weltkriegsgedenktag in Frankreich und G7-Gipfel in Italien) kurz hintereinander zu machen: „Ich bin auf der Bühne fast eingeschlafen.“

Mit einigen Tagen Verzögerung versucht Biden nun wieder in die Offensive zu kommen: Für den amerikanischen Mittwochabend stand eine Begegnung mit demokratischen Gouverneuren auf dem Programm. Am Freitag will Biden sein erstes ausführliches Fernsehinterview seit der TV-Debatte geben. Für das Wochenende sind Wahlkampfauftritte in Pennsylvania und Wisconsin angekündigt. Und nächste Woche beim Nato-Gipfel in Washington plant Biden ein extrem seltenes Ereignis: Er will sich bei einer Pressekonferenz den Fragen der Journalistinnen und Journalisten stellen.