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Scharfe Kritik an CDU-Chef„Merz spielt russisches Roulette mit der demokratischen Stabilität“

Lesezeit 6 Minuten
Friedrich Merz will die Stimmen der AfD nutzen, um seine Vorstellungen in der Migrationspolitik durchzusetzen. (Archivbild)

Friedrich Merz will die Stimmen der AfD nutzen, um seine Vorstellungen in der Migrationspolitik durchzusetzen. (Archivbild)

Merz will seine Migrationspolitik zur Not mit Stimmen der AfD durchsetzen. Von SPD, Grünen und Linken hagelt es dafür Kritik.

Nach der Gewalttat in Aschaffenburg will CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz im Bundestag noch vor der Wahl über eine schärfere Migrationspolitik abstimmen lassen – und das im Zweifel auch mit den Stimmen der AfD. Die Zeit für „taktische Spielchen“ sei vorbei, erklärte Merz. „Das Nazi-Bashing gegen die AfD und das Brandmauergerede müssen aufhören“, befand derweil CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann.

Die Aussagen aus der CDU-Spitze, die stets von einer „Brandmauer“ im Umgang mit der rechtspopulistischen und in Teilen rechtsradikalen AfD gesprochen hatte, sorgten bei der politischen Konkurrenz für scharfe Kritik und Entsetzen. „Bislang hatte ich den Eindruck, dass man sich auf die Aussage des Oppositionsführers verlassen könne, auch nach der Wahl nicht mit der AfD zusammenzuarbeiten“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) der „Stuttgarter Zeitung“.

Scholz ermahnt Merz: „Brandmauer zur AfD darf nicht bröckeln“

Nun mache er sich „wirklich Sorgen, nachdem die CDU nun ihre Anträge im Bundestag mit Stimmen der AfD durchsetzen will“, führte Scholz aus und forderte: „Die Brandmauer zur AfD darf nicht bröckeln.“ Auch Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) fand deutliche Worte für den Kurs von Merz. Der CDU-Chef betreibe damit das Geschäft von Populisten und der Rechtsextremisten, sagte Pistorius am Freitagabend bei einer Wahlkampfveranstaltung.

Merz versicherte schließlich am Samstagnachmittag, dass die Brandmauer zur AfD stehe. „Es wird keine Zusammenarbeit mit der AfD geben. Darauf können sich alle verlassen“, sagte Merz der „Bild“-Zeitung. Die Union werde heute die Bundestagsanträge fertigstellen und vorab nur SPD, Grünen und FDP zur Verfügung stellen. „Die AfD bekommt sie nicht“, sagte Merz der „Heilbronner Stimme“-Mediengruppe. Auch das BSW soll demnach vorab keine Einsicht bekommen.

Merz reagiert auf Kritik: „Es wird keine Zusammenarbeit mit der AfD geben“

Vor Merz’ Versicherung, dass die Brandmauer der Union bestehen bleibe, war auch bei anderen Parteien scharfe Kritik laut geworden. „Friedrich Merz spielt russisches Roulette mit der demokratischen Stabilität in Deutschland“, schrieb die ehemalige Parteichefin der Grünen, Ricarda Lang, am Samstag auf der Plattform X. „Man kann nur an die Vernünftigen in der Union appellieren, die ihre Partei in der demokratischen Mitte halten und nicht den österreichischen Weg gehen wollen: Stoppen Sie diesen Wahnsinn!“, fügte Lang an.

Dass Merz im Wahlkampf die Nerven verliere, sei an sich nicht schockierend, dass das von seiner Partei jedoch mitgetragen werde allerdings schon, führte Lang in einem weiteren Beitrag aus.

Scharfe Kritik von den Grünen an CDU-Chef Friedrich Merz

Zuvor hatte sich bereits Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck zu Wort gemeldet. „Friedrich Merz hat bei der Vorstellung seines 5-Punkte-Plans wohl vergessen: Kein Kanzler steht über dem Gesetz“, hatte Habeck am Freitagabend erklärt. Auch an seine Versprechen zur Nicht-Zusammenarbeit mit der AfD erinnere sich Merz nicht mehr, führte Habeck aus und fügte an: „Keine Zeit für schwache Nerven, CDU. Die Brandmauer darf nicht fallen.“

Ähnlich äußerte sich auch die Kölner Politikerin Katharina Dröge. „Keine Mehrheiten mit der AfD! Keine Zusammenarbeit mit Rechtsextremen“, schrieb die Fraktionsvorsitzende der Grünen bei X. „Das war die klare Verabredung unter allen demokratischen Fraktionen. Ich bin entsetzt, dass Merz nun offenbar sein Wort brechen will.“ Merz’ „Anbiederung an die AfD“ sei an „politischer Würdelosigkeit nicht zu überbieten“, befand auch der Grünen-Abgeordnete Bruno Hönel.

„Steigbügelhalter einer im Kern faschistischen Partei“

Scharfe Kritik kam auch von der Linken. „Merz macht sich und die Union zum Steigbügelhalter einer im Kern faschistischen Partei“, erklärte die ehemalige Parteivorsitzende Janine Wissler. „Er reißt die ohnehin schon bröckelnde Brandmauer ein – entgegen aller Beteuerungen. Sein Wort gilt nichts“, fügte Wissler an. Sie hoffe nun auf Widerspruch innerhalb der CDU.

Auch abseits der Parteien wurde scharfe Kritik an Merz laut. „Interessant, dass die ‚Brandmauer‘ für Merz jetzt offenbar nur ‚ein taktisches Spielchen‘ war, nicht Grundüberzeugung aus der historischen und sozialethischen Identität der CDU heraus“, kommentierte bei Bluesky etwa der Politikwissenschaftler Andreas Püttmann die Worte des CDU-Chefs, mit denen Merz den Eindruck vermittelt hatte, die Brandmauer sei nur „Taktik“ gewesen.

Harte Kritik an Merz: „Dürfte der AfD sehr, sehr viele Wähler zutreiben“

„Der schale Witz dabei ist: Merz spielt gerade taktische Spielchen. Und dürfte der AfD gerade sehr, sehr viele Wähler zutreiben. Warum für die CDU stimmen, wenn es das Original gibt?“, erklärte unterdessen der Historiker Bert Hoppe zum Vorstoß des Kanzlerkandidaten. „Wer schon vor der Wahl im Hauruckverfahren Kernforderungen der AfD (und mit ihr) umsetzen will, lädt zur Wahl dieser Partei gerade zu ein“, führte Hoppe aus.

Auch innerhalb der CDU gibt es offenbar Widerstand gegen die Pläne des Parteichefs. „Das ist politischer Selbstmord“, sagte etwa ein Bundesvorstandsmitglied dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. „Das wird die CDU noch vor der Wahl komplett zerreißen. Wir kriegen die Brandmauer-Debatte bis zur Wahl nicht mehr weg. Ohne Not hat das Konrad-Adenauer-Haus die Frontstellung im Wahlkampf verändert: Nun heißt es: Alle gegen die CDU.“

Zuspruch für Friedrich Merz aus eigener Partei und der FDP

Merz bekam jedoch auch Zuspruch aus seiner Partei und aus den Reihen der FDP. So bezeichnete CDU-Politikerin Karin Prien den Verstoß als „Angebot an die demokratischen Parteien der Mitte“ - bekam dafür jedoch prompt Widerspruch von Grünen-Politikerin Lang. „Sorry, aber wenn ich sage ‚friss oder stirb, sonst mach’ ich es halt mit den Nazis‘ ist das kein Angebot. Aber das wissen Sie natürlich selbst“, konterte Lang die Worte von Prien.

Bei der AfD herrschte unterdessen Triumph-Stimmung. Nachdem Parteichefin Alice Weidel den CDU-Chef in einem offenen Brief kurz vor dessen Ankündigung, seinen 5-Punkte-Plan im Zweifel auch mit Stimmen der AfD durchsetzen zu wollen, zur Zusammenarbeit aufgefordert hatte, verkündete Weidel nun: „Die Brandmauer ist gefallen!“

Die CDU und die CSU hätten ihr Angebot angenommen, „in der Schicksalsfrage der Migration im Bundestag gemeinsam mit der AfD zu stimmen“. Das sei eine „gute Nachricht für unser Land“, erklärte Weidel. „Wir haben geliefert, nun muss die Union auch liefern.“

Friedrich Merz versetzt AfD-Chefin Alice Weidel in Jubelstimmung

Nach der tödlichen Messerattacke in Aschaffenburg hatte Merz weitreichende Asylrechtsverschärfungen angekündigt, sollte die Union die nächste Regierung anführen. Für den Fall seiner Wahl zum Kanzler will er am ersten Tag im Amt das Innenministerium anweisen, alle Grenzen dauerhaft zu kontrollieren und alle illegalen Einreisen zurückzuweisen.

Die Bundespolizei soll demnach Haftbefehle beantragen können, was eigentlich nur der Staatsanwaltschaft zusteht. Ausreisepflichtige, die aufgegriffen werden, dürften nicht freikommen, sondern müssten in Ausreisegewahrsam oder Ausreisehaft genommen und so schnell wie möglich abgeschoben werden, so die Forderungen des CDU-Chefs. Merz will nächste Woche in den Bundestag seine Anträge zur Migration einbringen. „Und wir werden sie einbringen, unabhängig davon, wer ihnen zustimmt“, hatte der Unionsfraktionschef betont.

Polizeigewerkschaft hält Merz-Pläne für „nicht umsetzbar“

Bei der Gewerkschaft der Polizei (GdP) hält man Merz Vorschläge, an denen es auch reichlich rechtliche Zweifel gibt, derweil für nicht umsetzbar. „Wir haben eine Länge von 3800 Kilometern Binnengrenzen. Wir sind mit der Art und Weise der Grenzkontrollen, die wir jetzt schon betreiben, am Rande des Machbaren“, sagte der GdP-Vorsitzende für den Bereich Bundespolizei, Andreas Roßkopf, im MDR.

Für die Pläne von Merz seien „nicht nur Hunderte, sondern Tausende Kollegen mehr“ nötig. Dass Merz alle Flüchtlinge ohne gültige Dokumente zurückweisen wolle, sei deshalb „nicht umsetzbar“. (mit dpa)

Der Artikel wurde mit den jüngsten Aussagen von Friedrich Merz aktualisiert.