Die Kinder sind groß, also fast. Die Eltern abgemeldet, also meistens. „Älternzeit“ heißt Jan Weilers neues Buch also passend. Ein Gespräch.
Buch „Älternzeit“Erfolgsautor Jan Weiler über das Zusammenleben mit erwachsenen Kindern
„Wenn die Kinder erwachsen sind, kommt alles wieder“, heißt es so schön. Was sagen Sie dazu?
Jan Weiler: Das ist eine glatte Lüge. Sind die Kinder älter, will und kann man ja gar nicht mehr dasselbe machen wie mit 25. Der Lebensfokus hat sich total verändert. Früher bin ich zum Beispiel wahnsinnig viel ausgegangen. Und wenn ich samstags meine 17 Altbier getrunken hatte – ich bin in Düsseldorf aufgewachsen – und am nächsten Tag so richtig ausschlafen konnte, war alles wieder gut. Täte ich das heute, würde ich trotzdem um halb sieben morgens aufwachen, auch wenn ich absolut nichts zu tun habe, und würde mich zudem so elend fühlen, dass ich frühestens Sonntagabend zum Tatort eine Gemüsebrühe trinken könnte. Das ist eine Gemeinheit, auf die uns niemand vorbereitet hat. Ein totales Elend.
Aber Sie würden, wenn Sie könnten?
Naja. Würde ich heute in einen Club gehen und mit einem Becks-Bier an der Wand lehnen, dann würden die Leute doch vor Schreck das Gras fallen lassen, weil sie denken, ich sei ein Zivilpolizist. Das kann man jenseits der 50 nur noch dann machen, wenn einem der Club gehört. Zumindest fühlt es sich so an. Meine Kinder jobben beide am Wochenende in einem Technoclub und ich würde da niemals hingehen.
Sie übernehmen also nicht den Lifestyle Ihrer Kinder und tragen die hippsten Sneakers?
Da kann man sich schnell zum Obst machen. Ich bin aber auch nicht der Meinung, man sollte eine kieselgraue Mehrzweck-Anglerweste anziehen und den Rest des Tages auf der Fensterbank lehnen, sobald die Kinder größer sind. Tatsächlich ist der Gap zwischen den Generationen heute aber nicht mehr so groß wie in der Generation meiner Eltern, die mit jugendlicher Subkultur nicht viel anfangen konnte. Da wir selbst aber schon in der Popkultur aufgewachsen sind, ist die Lebenswelt unserer Kinder gar nicht so weit von unserer weg. Spielt mir jemand Hip-Hop oder Surfer-Rock vor, habe ich einen Zugang dazu. Jung und Alt gehen heute durchaus mal auf die gleichen Konzerte. Manchmal klaut mein Sohn sich einen Sweater von mir. Und das ist in vielen Familien so.
Wie sieht es aus mit den Klassikern: Piercings und Drogen?
Als meine Tochter mit ihrem ersten Nasen-Piercing angetanzt kam, haben wir nur mit den Achseln gezuckt, weil meine Frau in den 90ern auch eins hatte. Wenn große Kinder heute Erfahrungen mit Cannabis machen, hören sie in vielen Fällen: „Alter Hut! Haben wir auch gemacht.“ Dadurch fällt es uns Eltern leichter, die Kinder zu verstehen. Für sie ist es dadurch aber auch schwerer, sich abzugrenzen. Wobei: Saufgeschichten aus den 80ern sind für die Kids auch immer ein bisschen so, als würde Opa aus dem Krieg erzählen.
Zur Person: Jan Weiler ist Journalist und Schriftsteller. Viele Jahre war er Chefredakteur des SZ-Magazins. Seit 17 Jahren verarbeitet er (eigene) Familienerlebnisse in lustigen Geschichten und Kolumnen, unter anderem im „Stern“ und der „Welt am Sonntag“. „Ich tue das, seit mein Sohn drei ist, er kennt das gar nicht anders. Es ist inzwischen wie eine schöne Familienchronik“, sagt er. Von ihm erschienen sind unter anderem die Bestseller „Maria, ihm schmeckt’s nicht“, „Mein Leben als Mensch“ und „Das Pubertier“. Er lebt in München und Umbrien.
Es gibt also keine erhitzten Diskussionen am Küchentisch mehr?
Klar, Diskussionen gibt es trotzdem noch, aber die Themen haben sich verändert. Für Streitgespräche über Klima oder Politik sind die Jungen heute bestens gewappnet, weil sie dank Digitalisierung saumäßig gut informiert sind. Im Gegensatz zu uns früher. Wir hatten von nichts eine Ahnung, es gab eben nur den Brockhaus und die Tageszeitung.
Fällt es Ihnen leicht, sich von Ihren Kindern belehren zu lassen?
Nee, natürlich nicht. Das ist der klassische Konflikt: Man meint immer, man müsste den Kindern etwas beibringen und nicht umgekehrt. Doch das stimmt ja nicht. Manchmal lohnt es sich sehr, ihnen zuzuhören, selbst wenn man nicht in jedem Punkt voll mit ihnen übereinstimmt. Wir sollten akzeptieren, dass sie die Umwelt anders gestalten und bezeichnen wollen als wir. Ich bin deshalb auch der Meinung, Kinder sollten ab 16 wählen dürfen. Wenn sie diese Zukunft schon retten müssen, dann sollten wir ihnen auch die Gelegenheit dazu geben. Sonst kommen sie erst an die Macht, wenn sowieso schon alles am Arsch ist. An einem bestimmten Punkt ist es nämlich nicht mehr unsere, sondern ihre Welt. Je länger wir brauchen, sie ihnen zu übergeben, desto schlechter für uns alle.
Jetzt fällt es Eltern aber nicht unbedingt so leicht, ihre Autorität abzugeben…
Ja (lacht). Das muss man mit Humor nehmen. So verstehe ich auch meinen Job: solche Themen zu übersetzen in kleine humorvolle Geschichten. Das ist tatsächlich nicht immer einfach, aber es lohnt sich. Nach Lesungen kommen oft Leute zu mir und sagen: „Das ist wie bei uns, nur in lustig.“ Es geht darum, Dinge zu Hause nicht mehr so eskalieren zu lassen und darin auch die Komik zu sehen.
Ein potentiell amüsanter Aspekt ist sicher, dass Eltern einmal komplett abgemeldet sind, dann aber plötzlich ganz dringend gebraucht werden…
Manchmal ist das echt lustig, ein anderes Mal nervt es einfach. Ich lebe mit meinem Sohn hier WG-artig wie in einem Kumpel-Verhältnis zusammen. Er ist in vielen Dingen auf Augenhöhe, aber hängt eben trotzdem seine Jacke nicht auf. Es ist eine merkwürdige Zwischenphase. Auf der einen Seite geht er mit ernsten Dingen im Leben um, auf der anderen Seite ist er doch noch ein Kind. Und es ist weder für uns Eltern noch für die Kinder leicht, die verschiedenen Ebenen richtig zu trennen. Denn letzten Endes sind wir eben doch diejenigen, die alles bezahlen und die Verantwortung tragen.
Betreiben Sie auch gepflegtes elterliches Stalking?
Als ich 1986 meinen ersten Urlaub ohne meine Eltern machte, musste ich alle zwei Tage von einem Münzfernsprecher in Südfrankreich aus ein Lebenszeichen geben. Heute sind Eltern ja grundsätzlich viel besser informiert als früher, ohne sich bemühen zu müssen, weil die Kinder auf Instagram oder TikTok ununterbrochen irgendwelche Videos hochladen. Man darf es aber auf keinen Fall liken. Oft sperren einen die Kids sogar als Follower. Ich bin da Zaungast und halte mich mit Weisheiten zurück, selbst wenn ich etwas grenzwertig finde. Meistens sind es lustige Schwachsinnigkeiten, die ich einfach zur Kenntnis nehme.
Sie grätschen also im Alltag und bei Social Media nicht auch mal rein?
So wie jene Eltern, die ihr 35-jähriges Kind noch beim Sofakauf begleiten? Nein, wir sagen eher: „Macht was ihr wollt, aber macht es ordentlich!“ Im besten Fall finden wir das Ergebnis lustig, im schlimmsten Fall blöd – aber selbst dann sollte man sich zurückhalten. Auch ich habe Dinge gemacht, die meine Eltern nicht gut fanden und dann gab es Phasen, in denen wir nicht so viel gesprochen haben. Aber das ist dann eben so, das muss man aushalten.
Sie haben keine Angst, dass Ihre Kinder einmal weit von Ihnen wegrücken?
Doch habe ich. Ich bin ein sentimentaler Hund. Und wenn es nach mir ginge, würde ich ununterbrochen mit meinem Sohn Minigolf spielen, meine Tochter würde Klavier üben und es gäbe Milchreis. Ich tue mich schwer mit der Veränderung. Auf der anderen Seite sehe ich ein, wie richtig und klug es ist, sie ziehen zu lassen. Wenn man das nicht tut, ist das nicht nur schlecht für die Kinder, man entwickelt sich auch selbst nicht weiter.
Und wie geht’s weiter, wenn man nicht mehr so gebraucht wird?
Es ist so wie bei älteren Fußballern, die keine Stammspieler mehr sind, viel auf der Bank sitzen und nur noch eingewechselt werden, wenn es dringend nötig ist. Irgendwann läuft dann der Vertrag aus. Das ist traurig, weil diese Karriere abgeschlossen ist. Aber dann geht ein Fußballspieler ja auch nicht direkt zum Sterben in den Wald. Wenn er klug ist, hat er sich schon ein bisschen darauf vorbereitet und weiß um seine Anschlussverwendung.
Wie sieht Ihre Anschlussverwendung in der Familie aus?
Das ist die große Frage. Ich weiß es noch nicht genau. Aber ich habe keine große Sorge. Das Leben wird mich irgendwo hin spülen. Vielleicht wechsele ich ja nochmal in die Politik oder gehe zur Fremdenlegion. Das Schöne ist ja, dass man mehr Zeit hat und etwas Neues beginnen kann. Und das kann auch ein Grund zur Freude sein. Und wie sagen die Kölner: „Et hätt noch immer jot jejange!“