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Ampel-Parteien wollen Wahlalter senkenSollen 16-Jährige wählen dürfen?

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Wenn es nach den Ampelparteien geht, sollen künftig auch Jugendliche ab 16 den Bundestag wählen dürfen.

  1. Der demografische Wandel bringt mit sich, dass fast 40 Prozent aller Wahlberechtigten über 60 Jahre alt sind.
  2. Wäre eine Senkung des Wahlalters zum Ausgleich der Interessen gerecht?
  3. Oder fehlt Jugendlichen zur politischen Teilhabe die Reife?

Köln – Als ich zum ersten Mal wählen durfte, endeten 16 Jahre Kanzlerschaft Helmut Kohl. Ich weiß genau, wie ich damals in unser Gemeinschaftshaus stiefelte, um feierlich meine Kreuze zu machen. Ich war 19 Jahre alt und voller Tatendrang und als am Abend die Hochrechnungen über den Bildschirm ratterten, war ich in meiner jugendlichen Überheblichkeit irgendwie der Meinung: Ich habe mit meinen zwei Kreuzen etwas Epochales bewegt. Ich habe eine neue Ära eingeleitet. Im Grund genommen habe ich Helmut Kohl entlassen. Das Gefühl, mit meinem sehr kleinen Beitrag, diesen beiden Kreuzen auf einem Zettel, etwas Großes bewirken zu können, bestimmt bis heute mein politisches Bewusstsein.

Ob Jugendliche wählen dürfen sollten? Natürlich! Und nicht nur sie. Auch Kinder müssen ein Mitspracherecht haben. Ist es doch ihre Zukunft, über die in heutigen politischen Debatten entschieden wird. Und zwar derzeit von Menschen, die nicht mehr allzu viel von dieser Zukunft miterleben werden. Der demografische Wandel sorgt dafür, dass Kinder und Jugendliche ohnehin nur wenig Gewicht auf die Waage einer Gesellschaft bringen können, die nach Mehrheitsgesetzen funktioniert.

Fast 40 Prozent der Wahlberechtigten sind älter als 60 Jahre

Bei der Bundestagswahl 2021 waren fast 40 Prozent aller Wahlberechtigten über 60 Jahre alt. Selbst wenn alle Kinder und Jugendlichen in Deutschland wählen dürften, kämen sie mit ihren Stimmen nur auf 16 Prozent.So wie das Grundgesetz die Politik verpflichtet „auf die Beseitigung bestehender Nachteile“ unter den Geschlechtern hinzuwirken, müssten Gesetze gerade wegen dieser demografischen Schieflage auch sicherstellen, die Interessen von Kindern und Jugendlichen im Besonderen zu berücksichtigen und Politik generationengerecht zu machen.

Claudia Lehnen ist Ressortleiterin NRW/Story.

Eine Senkung des Wahlalters würde jungen Menschen eine Stimme geben, die sie bisher nicht haben. Sie würde auch der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen Rechnung tragen, die Deutschland zwar 1992 ratifiziert, aber bis heute nicht ins Grundgesetz aufgenommen hat. Dort steht, bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, ist das Wohl des Kindes „vorrangig“ zu berücksichtigen. Das Wahlrecht wäre ein einfacher Weg sicherzustellen, dass Kinder und Jugendliche mitbestimmen können, wenn es um konkrete Corona-Schulpolitik, um Gesetze gegen den Klimawandel, Kinderarmut, Diskriminierung im Bildungssystem aber auch um die Schuldenbremse oder Investitionsstaus geht.

Politisches Urteilsvermögen kann auch nicht für alle Erwachsenen vorausgesetzt werden

Gegner einer Senkung des Wahlalters argumentieren, dass Jugendliche politisch nicht gut genug informiert wären, um eine Entscheidung zu treffen. Nun ist es so, dass zahlreiche Jugendstudien, aber auch die Fridays-for-Future-Bewegung ein zunehmendes politisches Interesse unter Kinder und Jugendlichen belegen. Von einer politisch desinteressierten Jugend kann also keine Rede sein. Jugendforscher Klaus Hurrelmann beispielsweise glaubt, dass Jugendliche schon mit zwölf Jahren über die nötigen intellektuellen Fähigkeiten zur Wahl verfügen.

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Aber selbst wenn das nicht der Fall wäre: Auch Menschen über 18 verfügen nicht zwingend über eine umfassende politische Urteilskraft – dennoch spricht ihnen niemand das Wahlrecht ab, weil sie vielleicht nicht alle Bundesminister fehlerfrei aufzählen können.

Claudia Lehnen (43) leitet das Ressort Story/NRW und würde sogar Kinder wählen lassen. Besonders ungerecht findet sie, wenn Jugendliche bei Themen, die in der Hauptsache sie betreffen, nicht mitbestimmen dürfen.

Senkung des Wahlalters? Klingt gerecht und verlockend. „Soll die Jugend endlich das Recht bekommen, über die eigene Zukunft zu entscheiden!“ Rein statistisch gesehen liegt ja viel mehr Zukunft vor ihnen als vor allen Erwachsenen. Diese Position aber hat viele Haken.

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Thorsten Breitkopf ist Ressortleiter Wirtschaft.

So sind es zurzeit FDP und Grüne, die massiv auf eine Absenkung des Wahlalters von 18 auf 16 drängen. Die FDP will wählen ab 16 ermöglichen. Die Grünen auch. Die Partei-Gründe sind nachvollziehbar. 23 Prozent der Erstwähler haben bei der Bundestagswahl FDP gewählt, 22 Prozent grün. Nur 15 Prozent der Jungen wollten die baldige Kanzlerpartei SPD, die CDU konnte nur zehn Prozent für sich gewinnen. So könnten Grüne und FDP ihre Wählerbasis durch die Senkung des Wahlalters deutlich verbreitern, also streben sie dies an.

Die nötige Reife bei 16-Jährigen fehlt

Doch es gibt handfeste Gründe die dagegen sprechen. Man kann einer großen Zahl der 16 oder 17-Jährigen die nötige Reife für eine Entscheidung mit politischer Tragweite absprechen. Jugendliche sind keine jungen Erwachsenen. Sie haben weniger Erfahrungen und sind in der Pubertät anfälliger für Beeinflussung. Deshalb dürfen sie aus gutem Grund nicht Autofahren. Voll strafmündig sind sie sogar erst mit 21, und auch dann erst dürfen sie einen Lkw-Führerschein machen. Das ist vom Gesetzgeber wohl überlegt.

Das Bild von den Jugendlichen dieser Altersgruppe sollte nicht nur von denen geprägt werden, die sich bei Fridays for Future oder in den Jugendorganisationen engagieren und als aufgeklärt und informiert gelten. Der Durchschnitt der Jugendlichen tickt nicht so und hat auch das Recht, Jugend auszuleben, ohne zusätzliche Bürgerpflichten.

Jugendliche sind leichter manipulierbar

Die oft noch politisch ungefestigten oder uninteressierten Jugendlichen laufen außerdem Gefahr, leichter manipuliert werden zu können, durch soziale Medien oder schlicht ihre Eltern. Außerdem gilt die Altersgruppe als anfälliger für extreme Positionen, weil das Prinzip des Konsens im gesellschaftlichen Kontext verständlicher Weise noch nicht gelernt ist.

Und wo ist die Grenze? Die Grüne Jugend forderte beim Beschluss des neuen Parteiprogramms im Sommer sogar eine Senkung auf 14 Jahren mit der Begründung, die Grenze von 16 sei willkürlich. Ist 14 dann nicht ebenso willkürlich? Darf dann bald auch meine Tochter (fast zwei Jahre, sitzt und spricht) wählen?

Sechsjährige zahlen auch Steuern - beim Gummibärchenkaufen

17-Jährige zahlten auch Steuern, argumentieren die Befürworter. Das Argument zieht nicht. Auch Säuglinge die von der Oma etwas erben, zahlen Steuern, und Elfjährige, die vom Taschengeld Gummibärchen kaufen, tun es mit der Mehrwertsteuer auch. Sollen die also auch wählen? Besser noch nicht.Obendrein besteht die Gefahr, dass mit einer Ausweitung des Wahlalters auf zum Teil wenig interessierte jugendliche Gruppen die prozentuale Wahlbeteiligung sinkt, was die Ränder stärkt.

Kinder und Jugendliche sollen sich politisch engagieren können. In Jugendparlamenten und -beiräten können sie Erfahrungen sammeln. Diese zu fördern, ist ein guter Schritt in Richtung politischer Bildung. Die Entscheidung über Regierung, Gesetze, Steuern und Bündnisse aber sollte den Erwachsenen vorbehalten bleiben.

Thorsten Breitkopf (44) leitet das Wirtschaftsressort und ist gegen eine Senkung des Wahlalters. „Das Bild der Jugend bei Fridays-Demos oder Parteiorganisationen ist nicht repräsentativ. Viele unter 18 sind legitimerweise nicht an Politik interessiert.“