Viele Freunde verlieren sich mit der Zeit aus den Augen. Im Alter schaut man mitunter wehmütig auf die gemeinsame Zeit zurück. Dabei war es noch nie so einfach wie heute, alte Kontakte wieder aufzunehmen. Doch ist es auch immer ratsam?
Lebensphasen, WerteWas alte Freundschaften zusammenhält und was sie entzweit
Für Kinder ist es noch ganz einfach: Auf dem Spielplatz, in der Schule oder im Sportverein – an jeder Ecke gibt es potenzielle Freundinnen und Freunde. Spätestens mit dem Ende der Schulzeit verliert man dann viele von ihnen. Und mit jeder Lebensphase, jedem Familienzuwachs, jedem Jobwechsel und jedem Umzug verändert sich der Freundeskreis wieder. Oft stellt man dann erst im Alter fest, welche von den Freundschaften wann und warum auf der Strecke geblieben sind.
Freunde haben – neben der Familie – einen zentralen Stellenwert in unserem Leben. Das bestätigt eine Studie der Allensbacher Markt- und Werbeträgeranalyse aus dem Jahr 2022. So nehmen gute Freunde und enge Beziehungen mit knapp 85 Prozent die Spitzenreiterposition in der Befragung danach ein, was man persönlich im Leben für besonders wichtig und erstrebenswert erachtet. Im Vergleich: Eine glückliche Partnerschaft bringt es auf nicht einmal 75 Prozent.
Veränderung je nach Lebensphase
Das Berufsleben ist vorbei, die Kinder sind groß und im eigenen Haushalt gibt es vielleicht keinen Partner bzw. keine Partnerin mehr. „Vor allem im Alter gewinnen Freundschaften an Bedeutung“, sagt Psychiater und Psychoanalytiker Karl Heinz Brisch, der sich seit Jahren mit dem Thema Bindung beschäftigt.
„Wenn Freundschaften auf gegenseitigem Vertrauen basieren, geben sie emotionale Stabilität und soziale Sicherheit.“ Diese Art der Stabilität und Sicherheit sei für ältere Menschen durch ihre veränderten Lebensumstände besonders wichtig.
Je nach Lebensphase ändern sich auch die Freundeskreise, vor allem in Umbruchphasen: nach der Schule, dem Studium oder durch einen Jobwechsel. Auch wenn Kinder geboren werden oder sich Paare scheiden lassen, sortieren sich die Kontakte oft neu. Brisch: „Ein paar Freundschaften bleiben, andere zerbrechen daran, dafür kommen oft neue hinzu.“
Ähnlichkeiten werden unwichtiger
Doch welche Freunde bleiben uns und welche nicht? „In der Kindheit und Jugend haben noch Alter, Geschlecht, Hobbys und ein vergleichbares Bildungsniveau eine große Rolle gespielt“, sagt Bindungsforscher Brisch.
„Doch durch die verschiedenen Lebenswege wird es später immer unbedeutender, ob und welche Ähnlichkeiten bestehen. Entscheidend für die Qualität und die Dauer der Freundschaft ist der emotionale Draht. Am Ende muss man also nicht zwingend den gleichen Lebensentwurf haben, den gleichen Weg gegangen sein.“
In der Regel schrumpft der Freundeskreis mit dem Älterwerden. In einer Studie vom Institut für Demoskopie Allensbach gab ein Drittel der über 50-jährigen Befragten an, keine richtig guten Freundinnen und Freunde zu haben. Rund ein Drittel der Generation über 60 fühlt sich deshalb sogar oft einsam. Häufigster Grund ist der fehlende Kollegenkreis, der weggefallen ist, weil ältere Menschen in Rente gegangen sind.
Emotionaler Draht ist entscheidend
Doch lohnt es sich, alte Freundschaften aufleben zu lassen? Schließlich war es noch nie so einfach, verloren gegangene Verbindungen wiederaufzunehmen. Während man sich früher vor allem Briefe geschrieben oder telefoniert hat, halten ältere Menschen mittlerweile häufig über die sozialen Medien Kontakt. Über das Netz können sie so auch Freundinnen und Freunde aus Kindertagen leicht wiederfinden.
„Auch wenn die letzte Begegnung viele Jahre zurückliegt, stellt sich ganz schnell ein vertrautes Gefühl ein. Vorausgesetzt, es hat einen emotionalen Draht gegeben, auf den man zurückgreifen kann“, sagt Brisch, der allerdings auch Einschränkungen macht. Denn nicht jede Freundschaft ist es wert, wieder aufgewärmt zu werden.
„Es gibt auch Beziehungen, die man besser nicht wieder aufnehmen sollte“, erklärt der Psychoanalytiker. „Vor allem, wenn die ‚Freundschaft‘ eine Angstbindung war, eine Abhängigkeit, bei der die eine Person die andere dominiert hat.“ So ein toxisches Muster würde sich auch über eine kontaktlose Zeit halten und in der Regel schnell wieder greifen.
Und wie verhält es sich bei guten Freundschaften, die mit einem Streit beendet wurden? Oder wenn es zu viele Enttäuschungen gegeben hat, die Unterschiede immer augenfälliger geworden sind? So will der eine vielleicht nicht auf ein großes Auto verzichten und postet ständig Bilder davon in den sozialen Netzwerken, die andere bevorzugt aus ökologischen Gründen das Fahrrad und schützt die familiäre Privatsphäre.
Moralische Werte können trennen
„Hier kommen die moralischen Werte ins Spiel“, sagt Sozialpsychologe Hans-Peter Erb von der Helmut-Schmidt-Universität. „Menschen neigen dazu, bei anderen die Ursache für ihr Verhalten in deren Eigenschaften zu vermuten. Dabei vernachlässigen sie aber die Umstände, die eine mögliche Erklärung sein könnten.“
Das heißt: „Je nach Werteorientierung finden Menschen unterschiedliche Dinge verwerflich – und das erlebt man häufig als trennend.“
Erb: „Das führt dazu, dass man das Warum nicht mehr beantwortet. Es kommt zu gegenseitigen Vorurteilen und Verurteilungen – und am Ende bedeutet das nicht selten auch das Aus für die Freundschaft“, meint der Sozialpsychologe. Dabei sollte man um eine gute Freundschaft kämpfen „und vor allem nach den Gründen der unterschiedlichen Situationen fragen“.
Das Verständnis könne damit beginnen, die eigenen Annahmen und Urteile, Wahrnehmungs- und Reaktionsmuster auf den Prüfstand zu stellen, so Erb. Und manchmal helfe die Distanz, wieder zu einem normalen Verhältnis zurückzufinden.
Neue Umgebung, neue Kontakte
„Auch wenn der Freundeskreis mit den Jahren oft geschrumpft ist, lassen sich auch im Alter noch neue Kontakte knüpfen“, sagt Bindungsforscher Brisch. Im Sportverein, im Chor, beim Seniorentreff oder in der Volkshochschule falle es älteren Menschen oft leichter, andere anzusprechen, weil das gemeinsame Hobby gemeinsame Interessen schafft – und man gleich ein Gesprächsthema hat.
„Zudem finden oft Menschen im Altersheim oder Seniorenstift zusammen, die sich ihre Lebensgeschichte erzählen und so schnell Vertrauen fassen. Auch in einem Generationen-Wohnprojekt, in dem Alt und Jung gegenseitige Interessen haben, kann sich noch emotional Tragfähiges entwickeln.“ Brisch ist da optimistisch: „Denn genau darum geht es schließlich bei einer Freundschaft.“