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Emotional und anstrengend10 Tipps, was man beim Auflösen des Elternhauses beachten sollte

Lesezeit 6 Minuten
Altmodisches, etwas heruntergekommenes Haus.

Am Elternhaus hängen Kindheitserinnerungen, muss man es ausräumen und aufgeben, fällt das schwer.

Das Elternhaus aufzulösen bedeutet Arbeit und ist mit vielen Gefühlen verbunden. Gerade deshalb sollte man bewusst vorgehen, sagt unsere Expertin.

Der Tod der Eltern oder ihr Umzug ins Pflegeheim ist für Kinder ein einschneidender Moment. Denn neben den Emotionen, die diese Veränderung mit sich bringt, türmt sich meist auch noch eine riesige Aufgabe vor ihnen auf: Sie müssen die Wohnung oder das Haus der Eltern auflösen. Eine herausfordernde Mission. Christina Erdmann hat viele Auflösungen begleitet und gibt Tipps, wie man gut voran und heil durch diese Zeit kommt.

1. Vollmachten einholen

Um überhaupt mit der Auflösung des Elternhauses beginnen zu können, muss klar sein, wer verantwortlich ist. „Nach dem Tod der Eltern sind rechtlich die Erben zuständig“, sagt Christina Erdmann, „leben die Eltern noch und sind zum Beispiel pflegebedürftig, dürfen Angehörige ein Haus nur dann auflösen, wenn sie entsprechende Vollmachten haben.“ Sonst seien sie in einer rechtlichen Grauzone. „Deshalb sollten Eltern ihren Kindern rechtzeitig Vorsorge- und Kontovollmachten geben.“ Denn solange Eltern nicht für unmündig erklärt worden seien, blieben sie auch finanziell zuständig. „Ohne eine Vollmacht für das Konto der Eltern müssen die Nachkommen häufig erst einmal selbst für die Kosten rund ums Haus aufkommen.“

2. Mit den Eltern über Wünsche sprechen

Damit es im akuten Fall keine Probleme gibt, sollten Kinder schon lange vorher mit den Eltern besprechen, was mit dem Haus und den Dingen darin passieren soll, sagt Erdmann. „Viele Eltern verdrängen das lieber und scheuen davor zurück, ein Testament zu machen“, sagt sie. Auch Kindern käme es oft wie Verrat an den Eltern vor, das anzusprechen. „Sich mit dem todsicheren Verlust zu beschäftigen, tut weh – macht man es aber nicht, steht man bei der Auflösung dann in vielen Fällen vor einer Wand.“

Christina Erdmann

Dr. Christina Erdmann ist Diplompädagogin und Führungskräftecoach. Seit vielen Jahren begleitet sie Angehörige beim Auflösen ihres Elternhauses.

3. Zeitraum für die Auflösung planen

Bei der Auflösung ist eine gute Planung wichtig. Wohnten die Eltern zur Miete, können Angehörige selbst bestimmen, wann sie Wohnung oder Haus kündigen. „Man sollte sich sehr genau überlegen, wie aufwändig die Auflösung wird und wie viel es auszuräumen gilt“, sagt Christina Erdmann. Denn ab der Kündigung habe man in der Regel nur noch drei Monate. Sind Haus oder Wohnung im Besitz der Eltern, muss grundsätzlich entschieden werden, ob und wann verkauft werden soll. Theoretisch hat man aber unbegrenzt Zeit für die Auflösung.

4. Zeit im Alltag freischaufeln

Bei der Auflösung eines Hauses leiden viele unter der zusätzlichen Arbeitsbelastung. „Sie fragen sich zu Recht, wie sie das zusätzlich zum vollen Alltag schaffen sollen“, sagt Christina Erdmann. „Bevor man anfängt, sollte man deshalb freie Zeitfenster schaffen.“ Dazu könnte gehören, Termine abzusagen oder im Alltag die Kinderbetreuung teilweise zu delegieren.

5. Sich emotional vorbereiten

Manche würden im ersten Moment vielleicht gerne blind ins Haus rennen und alles wegwerfen – das sei aber nicht ratsam, sagt die Expertin. „Man sollte davor einen Moment innehalten und sich emotional mit der Situation beschäftigen, sonst wird man von jedem Erinnerungsstück in ein Gefühls-Wirrwarr geworfen.“ Es gehe darum, sich innerlich auf das Haus einzustellen und sich zu fragen: Was habe ich für ein Verhältnis zu diesem Haus? Ist das ein Ort schöner Erinnerungen oder schlimmer Erlebnisse? Welche Dinge, Geräusche, Gerüche haben eine besondere Bedeutung für mich? „Es wird einfacher, wenn wir erst fühlen, denken und überblicken – und dann anfangen.“

Eine Frau hält vor einem Umzugskarton einen Bilderrahmen in den Händen.

Löst man die Wohnung oder das Haus der Eltern auf, begegnen einem auch viele Erinnerungsstücke.

6. Mit unbedeutenden Dingen anfangen

Die Frage „Wo fange ich nur an?“ ist wohl eine der schwierigsten bei diesem Thema. „Grundsätzlich sollten zuerst alle wichtigen Dokumente aus dem Haus genommen werden, die man braucht, um zum Beispiel Verträge zu kündigen und andere notwendige Formalien zu erledigen“, sagt Christina Erdmann. Was danach komme, sei eine individuelle Entscheidung. „Der Drang ist oft groß, zuerst die Erinnerungsstücke zu bergen und aufzuteilen“, sagt sie, „es ist aber meist leichter, mit Dingen zu beginnen, die keine Bedeutung haben.“ So komme man besser voran. Über die wertvollen Sachen könne man ja später noch nachdenken. „Manche lassen sich dann bewusst damit Zeit, um sich vom Leben der Eltern zu verabschieden.“

Andere wollten wiederum so wenig wie möglich mit der Auflösung zu tun haben, weil ihnen das Haus nichts bedeute. „Sie beauftragen direkt einen Entrümpler.“ Es gebe übrigens auch Privatleute, die Möbel kostenlos abholten, hier sollte man aber gut überlegen, wen man ins Haus lassen wolle.

7. Selbst entscheiden, statt Erwartungen erfüllen

Besonders anstrengend ist es für Nachkommen, über jene Dinge zu entscheiden, in die die Eltern viel Geld und Leidenschaft gesteckt haben, wie zum Beispiel eine Kunst- oder Plattensammlung. „Hier sollte möglichst früh überlegt werden, wovon man sich trennt und wer gegebenenfalls den Verkauf übernimmt“, sagt Erdmann. Der Erfahrung nach nähmen Kinder letztlich viel mehr aus dem Elternhaus mit, als sie wollten. „Viele haben sonst das Gefühl, die Eltern zu enttäuschen.“ Dann stünden jahrelang Kisten im Keller. „Statt es damit den Eltern irgendwie recht machen zu wollen, sollten die Entscheidungen aber vor allem zur Realität der Kinder passen.“ Sie müssten schließlich auch die praktischen Konsequenzen tragen. „Die Kinder müssen Verantwortung übernehmen“, sagt sie, „auch wenn es ungewohnt ist, weil in diesem Haus eben vorher 50 Jahre die Eltern zuständig waren.“

8. Auf die Geschwister achten

Oft kommt es zwischen erbenden Geschwistern bei der Auflösung zum Streit. „Der Tod eines Elternteils oder der Verlust des Elternhauses löst in der Regel intensive Gefühle aus“, sagt Erdmann, „selbst wenn man kein gutes Verhältnis zu den Eltern hatte.“ Und Geschwister hätten in dieser Situation häufig unterschiedliche Gefühle, die dann aufeinanderprallten. „Nicht selten sehen Geschwister die Auflösung des Elternhauses unbewusst auch als letzte Möglichkeit, in Kindheitszeiten entstandene Ungerechtigkeiten auszugleichen“, sagt Erdmann. „Nach dem Motto: ‚Mama hat dich immer mehr geliebt – jetzt will ich wenigstens ihren Schmuck!‘“ Alte Wunden würden wieder aufgerissen und es gebe oft heftige Streitereien. „Geschwister können in so einer Situation aber durchaus auch zusammen finden, wenn sie sich gemeinsam vor allem an die schönen Dinge erinnern.“

9. Bei Briefen und Tagebüchern vorsichtig sein

Beim Ausräumen findet man in der Regel auch Briefe und Tagebücher der Eltern. „Ob man die liest, das kann nur jeder für sich beantworten“, sagt Erdmann. Auf der einen Seite gehörten diese Schriften zum Privatleben der Eltern. „Manche Kinder wollen das nicht lesen, weil sie keine Erlaubnis dafür bekommen haben oder die Privatsphäre der Eltern auch über den Tod hinaus respektieren wollen.“ Andere seien einfach neugierig. „Dann sollte man aber auf alles gefasst sein, denn diese Schriftstücke können auch unangenehme Überraschungen enthüllen.“

10. Den letzten Moment im Haus bewusst gestalten

Nachdem das Haus leer geräumt ist, ziehen viele in der Hektik einfach die Tür zu. Genau das würden viele nachträglich bereuen, erzählt Erdmann. „Wichtig ist, den letzten Moment im Haus bewusst zu gestalten, kurz anzuhalten und sich zu fragen: Was brauche ich als Abschied? Möchte ich noch einmal durch jeden Raum gehen?“ Auch die Tür zu schließen und „Gott sei Dank!“ zu denken, könne ein bewusster Abschied sein.

Buchtipp: Christina Erdmann: „Adieu Elternhaus“, Rowohlt Verlag, 240 Seiten, 16 Euro