Earth DayWorauf es bei nachhaltiger Ernährung ankommt – auch für Kinder
- Die Ernährungswissenschaftler Prof. Markus Keller und Edith Gätjen befassen sich wissenschaftlich mit veganer Ernährung bei Kindern.
- Sie wissen: Bestimmte Nährstoffe kommen in pflanzlichen Quellen nicht vor oder können schlecht verwertet werden.
- Auf was Eltern besonders achten sollten, was im Einkaufskorb landen muss und wie eine gesunde vegane Ernährung auch bei Kindern und Jugendlichen funktionieren kann.
Köln – „Jeder Bissen zählt“: Das Motto des Earth Days wirbt für bewusste Ernährung. Nachhaltige Ernährung. Heißt: Verzehr von Lebensmitteln, die für unsere eigene Gesundheit, die der anderen, die der Tiere und die des Planeten gut sind. Viele Aspekte gleichzeitig, die wir unserem Teller mit etwa Kartoffeln, Spinat und Fischstäbchen stellen müssen. Ernährungswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler geben Antworten, wie das am besten funktioniert. Und ob auch die Kleinsten schon dabei mitmachen können, wenn es darum geht, auf tierische Produkte zu verzichten.
Der Speiseplan steht erstmal Kopf
Joaquin Phoenix war nach eigenen Angaben drei Jahre alt, als er kein Fleisch mehr essen wollte – seither lebt der Schauspieler vegan. Auch in sozialen Netzwerken machen immer wieder Videos die Runde, in denen Kinder weinend erzählen, dass sie keine toten Tiere mehr essen möchten. Ob Kleinkind oder Teenager – für viele Familien stellt es den gewohnten Speiseplan auf den Kopf, wenn sich die Tochter oder der Sohn künftig vegan ernähren möchte.
Für viele Eltern gehören aber Fleisch und Milchprodukte zu einer gesunden Ernährung dazu und sie haben Angst, dass es gesundheitliche Folgen für ihr Kind hat, wenn es auf Fleisch, Käse und Milch verzichten möchte. Dass eine vegane Ernährung per se schlecht für die Gesundheit der Kinder ist und eine Mangelernährung verursacht, stimmt allerdings nicht.
Mein Kind will sich vegan ernähren, was muss ich beachten?
Eine gute Orientierung, welche Lebensmittel häufig auf den Tellern von veganen Kindern landen sollten und welche nicht, bietet diese vegane Ernährungspyramide. Edith Gätjen ist Ernährungswissenschaftlerin und beschäftigt sich beruflich beim Verein für unabhängige Gesundheitsberatung (UGB) mit einer vollwertigen, veganen Ernährung. Sie rät dazu, dass Eltern ihre Kochgewohnheiten umstellen müssen: „Nur Kartoffeln und Gemüse sind keine vollwertige und gesunde Mahlzeit. Das weggelassene Fleisch muss ersetzt werden, zum Beispiel durch einen Bratling aus Getreide.“ Die Kölner Ernährungswissenschaftlerin Saskia Meyer sagt: „Voraussetzung ist, dass die Kinder gesund sind und man gut informiert ist. Dann kann der Körper auch ohne tierische Produkte mit ausreichend Nährstoffen versorgt werden.“
Unbedingt genügend Eiweiß aufnehmen
Gerade bei der veganen Kinderernährung bestehe die Gefahr, dass die Kinder nur Beilagen zu essen bekommen. Ein wichtiger Aspekt ist, dass genügend Eiweiß aufgenommen werde. Pflanzliche Proteinquellen sind: Getreide, Hülsenfrüchte, Kartoffeln, Samen, Nüsse und Saaten. Diese können über den Tag hinweg gegessen werden. Gätjen empfiehlt, immer zwei Proteinquellen miteinander zu kombinieren. Dies gelte für Kinder jeden Alters. Wichtig sei, Brot, Nudeln und Reis in der Vollkornvariante zu essen.
Bei kleinen Kindern müssen Eltern daran denken, dass sie einen sehr hohen Nährstoffbedarf haben. „Die Kleinen können aber noch nicht so große Portionen essen wie ein Zehnjähriger“, sagt Gätjen. „Eltern müssen stark darauf achten, dass die Kinder die Nährstoffe in konzentrierter Form aufnehmen – zum Beispiel Eisen.“
Auf welche Nährstoffe müssen Eltern besonders achten?
Ein Nährstoff kommt in pflanzlichen Quellen nicht vor – Vitamin B12, erklärt Professor Markus Keller. Er ist Ernährungswissenschaftler und beschäftigt sich an der Fachhochschule des Mittelstands wissenschaftlich mit der veganen Ernährung. „Eine Supplementierung von Vitamin B12 ist bei einer veganen Ernährung unumgänglich.“ Vitamin B 12 sollte also aus anderen Quellen zum Beispiel in Form von Tabletten oder Tropfen aufgenommen werden. Das bestätigt auch Meyer, die betont, dass B12 vor allem bei Kindern für die Entwicklung des Gehirns wichtig sei.
Es gebe weitere Nährstoffe, auf die man besonders achten sollte, das gelte aber teilweise für alle Ernährungsformen. Wird beispielsweise nicht viel Fisch gegessen, ist es wichtig, auf Jod zu achten – dies geht durch jodiertes Speisesalz oder Norialgen, sagt Keller. Auch Kalzium, Eisen, Zink und die langkettigen Omega-3-Fettsäuren sind kritische Nährstoffe bei veganer Ernährung.
„Eisen zum Beispiel ist für den Körper aus pflanzlichen Quellen nicht so leicht aufzunehmen, weil es dort in einer dreiwertigen Form vorliegt, der Mensch es aber besser in einer zweiwertigen Form verwerten kann“, erklärt Edith Gätjen. Daher sollten Eltern vor allem auch bei kleinen Kindern darauf achten, dass sie Eisen mit Vitamin C kombinieren, weil es Eisen in die zweiwertige Form bringe. Ein Beispiel: Haferflocken enthalten viel Eisen und sollten im Müsli mit viel frischem Obst kombiniert werden.
Wichtig sind Omega-3-Fettsäuren, die über kaltgepresste Öle wie Lein-, Hanf-, Raps- und Walnussöl aufgenommen werden können. Auch Nüsse sind ein guter Lieferant – für kleine Kinder empfiehlt die Expertin Nussmus. Zink ist ein wichtiger Nährstoff und findet sich zum Beispiel in Haferflocken, Erdnüssen und Cashewkernen (darin steckt auch Vitamin B2), erklärt Gätjen.
Ist das überhaupt gesund?
„Aus gesundheitlicher Sicht kann es eine vegetarische, eine vegane oder eine Ernährung mit wenigen tierischen Produkten sein – das ist eine individuelle Entscheidung.“ In der Theorie höre es sich so an, dass es bei der veganen Ernährung schwierig sei, Kinder so zu versorgen, dass sie gesund sind.
Die Praxis zeige aber, dass Kinder auch vegan gesund ernährt werden können. Durch „unsere Studien ‚VeCHi- Diet‘ mit ein- bis dreijährigen Kleinkindern und der ‚VeChi-Youth‘ mit sechs- bis 18-jährigen Kindern und Jugendlichen wissen wir“, dass man eine vegane Ernährung gut durchführen könne, wenn „man es richtig macht“ und auf kritische Nährstoffe achte, sagt Keller. „Man muss sich näher mit der Ernährung auseinandersetzten.“ Das sei aber grundsätzlich bei jeder Ernährungsform sinnvoll.
Die Studienergebnisse zeigen bei veganen Kindern auch Vorteile gegenüber Mischköstlern: Sie essen viel Obst und Gemüse, Vollkornprodukte und mehr pflanzliche Öle mit ungesättigten Fettsäuren – was generell empfohlen wird. Bei Vitamin C, Vitamin K und Magnesium sind vegane Kinder am besten versorgt und bei Eisen und Folsäure sind die veganen Kinder (im Vergleich mit vegetarischen und omnivoren, also alles essenden, Kindern) nach den Studienergebnissen die einzige Gruppe, die die Zufuhrempfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung im Durchschnitt erreicht.
Geht es darum, sich vor allem aufgrund von Nachhaltigkeit für eine pflanzliche Ernährung zu entscheiden, sei Veganismus jedoch nicht die Lösung zur Rettung des Planeten: „Einfach nur vegan sein, das wäre zu einfach formuliert. Wer sich vegan ernährt, dafür aber exotische Früchte und zum Beispiel viele Avocados isst, wäre ja genauso für einen hohen Wasserverbrauch sowie CO2-Ausstoß durch den weiten Transport verantwortlich“, sagt Saskia Meyer. Wichtig sei die Balance: Wer regionales Gemüse und Obst esse und etwa weniger in Plastik verpackte Lebensmittel kaufe, mache wichtige Schritte hin zu einer nachhaltigen Ernährung.
Brauche ich spezielle Produkte für eine gesunde vegane Ernährung?
Für eine gesunde und vollwertige Ernährung brauche man keine speziellen veganen Produkte wie Fleischalternativen zu kaufen, sagt Gätjen. Eltern sollten auf frische und unverarbeitete Lebensmittel zurückgreifen. Die Basics für eine vegane Kinderernährung sind: Vollkorngetreide, Hülsenfrüchte, Nüsse, Samen, Saaten, viel Gemüse und Obst.
„Chiasamen, Sojadrinks oder irgendwelche Würstchen braucht es bei unserem Ernährungsansatz nicht. Vegane Drinks können aber für den Genuss gut sein und praktisch in der Küche eingesetzt werden“, weiß die Expertin.
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Muss ich mit meinem veganen Kind häufiger zum Arzt?
Vegane Kinder müssten nicht häufiger zum Arzt, als omnivore Kinder, sagt Keller. „Wir empfehlen aus Vorsicht, einmal im Jahr die Blutwerte beim Arzt kontrollieren zu lassen.“
Dabei sollte der Vitamin B12-Status mit gemessen werden. „Im Blut zeigen der Holo-TC- und MMA-Wert wie gut man mit Vitamin B12 versorgt ist.“
Was sind Stolperfallen für Eltern von Neu-Veganern?
„Ich lasse alle tierische Produkten weg und esse aber viel Weißbrot, Süßes, vegane Fleischalternativen, wenig Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte und esse einfach wie vorher“, sagt Edith Gätjen. „Das ist gerade für Kinder nicht gesundheitsförderlich.“
Wichtig sei auch zu wissen, dass in den pflanzlichen Alternativen zu Milch und Fleisch nicht die gleichen Nährstoffe stecken wie im tierischen Produkt: „Ein Haferdrink enthält nicht die gleichen Nährstoffe wie Kuhmilch – er enthält wenig Protein und, wenn nicht angereichert, kein Jod, Vitamin B2 und B12. Es ist ein Fehler zu denken, dass durch eine Milchalternative die gleichen Nährstoffe abgedeckt werden, wie durch tierische Produkte.“
Wo können sich Eltern weiter informieren?
Die Ernährungswissenschaftler empfehlen, sich bei veganer Kinderernährung von einer in veganer Vollwert-Ernährung fortgebildeten Ernährungsfachkraft des UGB beraten zu lassen. Dort gibt es Ansprechpartner in verschiedenen Regionen. „Wir haben ein vegetarisches Familienkochbuch geschrieben – mit über 80 Prozent veganen Rezepten. Das sind viele praktische Tipps“, sagt Gätjen. Vegane Rezepte findet man im Internet zum Beispiel auch bei Nichtregierungsorganisationen wie Peta, der Vegan-Taste-Week der Albert-Schweizer-Stiftung oder ProVeg.