AboAbonnieren

Neurologin erklärtDarum sind wir an Katertagen oft so deprimiert

Lesezeit 5 Minuten
Neuer Inhalt

An Katertagen haben wir oft nicht nur Kopfschmerzen, sondern auch richtig miese Laune. Am liebsten würde man sich zurückziehen. 

  1. Gestern noch lag man sich schunkelnd mit fremden Menschen in den Armen. Und heute?
  2. An Katertagen sinkt die Stimmung auf den Tiefpunkt. Man ist unzufrieden mit sich selbst und möchte sich am liebsten nur verkriechen.
  3. Was Alkohol in unserem Hirn auslöst und warum wir uns nach dem Feiern oft so schlecht fühlen, erklärt eine Neurologin.

Köln – Plötzlich sitzt man in einer fremden Küche und der Gastgeber paniert Schnitzel für alle. Irgendwer hat eine Dachterrasse mit Blick auf den Sonnenuntergang über der Südstadt. Und im Falafel-Laden freundet man sich mit einer Fee und einem Huhn an und verabredet sich direkt für den nächsten Tag. Mit Weiberfastnacht beginnt eine magische Zeit, in der Köln für kurze Zeit inoffiziell zur „Stadt der ungeahnten Möglichkeiten“ wird. Sechs Tage Ausnahmezustand, vollgepackt mit Altstadt, Südstadt, Umzügen, Kneipentouren, deftigem Essen – und Kölsch natürlich.

Gestern noch hat man mit fremden Menschen in der Kneipe geschunkelt und mit den Bläck Fööss die Liebe zum Veedel besungen. Und heute? Nie geht es Karnevalisten so elend wie am Tag nach dem Feiern, besonders schlimm ist es am Aschermittwoch. Das liegt nicht nur am Kater. Bei vielen hat auch ein mieses Stimmungstief eingesetzt. Man ist schlecht drauf, lustlos und unzufrieden mit sich selbst, grübelt viel und möchte sich am liebsten nur verkriechen.

Warum wir uns nach dem Feiern oft so schlecht fühlen, erklärt Privatdozentin Dr. Maike Hesse, sie ist Neurologin und leitende Oberärztin an der Uniklinik Köln. Hesse erklärt auch, ob Serien zu schauen und Pizza zu bestellen jetzt eine gute Idee ist.

Was löst Alkohol im Gehirn aus?

Dr. Maike Hesse: Alkohol beeinflusst verschiedene Botenstoffe im Gehirn. Zum einen erhöht er GABA, den wichtigsten hemmenden Botenstoff und fährt das aktivierende Glutamat herunter. Dadurch wirkt er beruhigend und entspannend, dämpft unsere Wahrnehmung und unser Bewusstsein. Mit zunehmender Dosis kann das bis zum Koma führen. Unser Urteilsvermögen ist eingeschränkt. Gleichzeitig steigert Alkohol unsere Glückshormone Dopamin und Serotonin, wir fühlen uns gut und je mehr wir trinken wie im Rausch. Eine vermehrte Ausschüttung von Cortison und Adrenalin macht uns aktiver: Wir trauen uns mehr zu, werden gesprächiger und gehen mehr auf andere zu. Mit steigendem Pegel können wir jedoch auch enthemmt und aggressiv werden.

Wieso sind wir am Tag nach dem Feiern – abgesehen vom Kater – oft auch richtig schlecht gelaunt und deprimiert?

Dr. Maike Hesse: Vereinfacht gesagt: Durch den Alkohol geraten unsere Botenstoffe aus dem Gleichgewicht. Das Gehirn steuert gegen und bemüht sich, dieses Gleichgewicht wiederherzustellen. Lässt die Wirkung des Alkohols dann nach, kehren sich die Effekte ins Gegenteil um: Aus der Euphorie beim Feiern fällt man in ein Stimmungstief. Statt wohliger Entspannung verspüren wir Ängste und die Enthemmung vom Vorabend weicht einem Schamgefühl – je nachdem, wie wir uns am Vorabend gefühlt und verhalten haben. Kater verstärkt das Gefühl: Wir sind müde, dehydriert und schlapp, unser Schlafrhythmus ist gestört, wir haben Kopfschmerzen und können uns nicht konzentrieren – das schlägt auf die Stimmung.

Gibt es Situationen, in denen der Körper so ähnlich reagiert?

Dr. Maike Hesse: Man kann sich da schon Parallelen vorstellen: Zum Beispiel bei Künstlern, die wie im Rausch eine Tournee durchlebt haben oder bei Sportlern nach einem wichtigen Wettkampf. Das hat mit dem Stress- und Aktivitätslevel des Körpers zu tun. Wenn anschließend eine Entspannungsphase eintritt, kann es ein ähnliches Tief geben. Beim Alkohol spielen allerdings noch weitere Faktoren eine Rolle, insofern ist das nicht gleichzusetzen, aber es gibt vergleichbare Aspekte.

Was passiert, wenn wir sechs Tage am Stück feiern – und trinken?

Dr. Maike Hesse: In dem Moment, in dem ich wieder Alkohol zu mir nehme, werden Abbauprozesse verändert und verschoben, sodass ich zwar kurzfristig den Kater nicht so spüre. Der Alkohol putscht mich wieder auf und macht mich wacher und aktiver. Mittelfristig und langfristig sowieso ist das aber gefährlich für den Körper – es verursacht Schäden an der Leber, am Hirn und unter Umständen am Magen. Der Alkoholspiegel im Blut steigt noch weiter an, weil der Körper keine Chance hat, ihn abzubauen. Je höher der Alkoholspiegel, desto gefährlicher wird es für den Körper. Früher oder später muss ich durch diesen Abbauprozess durch und der verlängert sich und wird umso heftiger, je länger ich ihn mit noch mehr Alkohol hinauszögere.

Das könnte Sie auch interessieren:

Ist der psychische Kater dann umso schlimmer?

Dr. Maike Hesse: Über die sechs Tage hinweg würde es mir psychisch helfen, aber im Anschluss würde ich viel länger und tiefer in dieses Tief fallen. Und wenn man dann sagt „Ich trink nochmal einen, um den Kater zu hemmen“ oder „Ist doch grad' so schön“, dann kann man leicht in eine Alkoholabhängigkeit hineinrutschen. Und das kann auf längere Zeit wirklich gefährlich werden.

Kann man vorbeugen?

Dr. Maike Hesse: Ich kann vorbeugen, indem ich kontrolliert trinke. Ich kann schon trinken, aber sollte es über die Tage verteilt tun, nicht in größeren Mengen und lieber mit mehr Pausen. Ich sollte ausreichend dabei essen, weil gerade herzhafte, fetthaltige Speisen die Aufnahme von Alkohol verzögern und ich den Alkoholspiegel dadurch gleichmäßiger verteilen kann. Und ich sollte ausreichend Flüssigkeit zu mir nehmen. Denn der Alkohol treibt das Wasser aus dem Körper heraus. Für jedes Glas Bier müsste ich parallel mindestens zwei Glas Wasser trinken.

Was kann man machen, wenn man in ein Kater-Tief fällt – und was sollte man auf keinen Fall tun?

Dr. Maike Hesse: Auf keinen Fall: direkt wieder zum Alkohol greifen. Wer gegen seine schlechte Stimmung antrinkt, ist gefährdet, in die Alkoholsucht zu rutschen. Gut ist es an solchen Tagen, für ausreichend Schlaf zu sorgen, an die frische Luft zu gehen, sich zu bewegen und soziale Kontakte zu suchen. Viele Menschen würden sich am liebsten verkriechen. Doch anstatt sich zurückzuziehen und in diesem Tief zu verharren, sollten sie lieber etwas mit Freunden unternehmen – aber mit welchen, die verstehen, wenn man gerade nichts trinken will. Sechs Tage Karneval feiern ist also kein Problem für die Stimmung – nur sechs Tage Alkohol trinken.