Jeder verlegt mal etwas – das ist nicht ungewöhnlich. Wem das aber ständig passiert, der könnte ins Grübeln geraten, ob das in diesem Ausmaß noch normal ist. Wann diese Sorge berechtigt ist – und wann nicht.
Vergesslichkeit im AlltagWarum sie meistens kein Grund zur Sorge ist
Jede und jeder kennt es: Man läuft in die Küche, in den Keller oder ins Wohnzimmer und kaum angekommen, weiß man gar nicht mehr, warum man überhaupt dort hingelaufen ist. Oder: Man muss schnell zur Arbeit, aber der Autoschlüssel ist weg und lässt sich einfach nicht finden. Aber warum passiert uns so etwas eigentlich – und sollte man sich Sorgen machen, wenn es zu oft vorkommt?
Gehirn will möglichst ökologisch arbeiten
„Die Menschen verlieren oder verlegen im Alltag so oft Dinge, dass es erst einmal übertrieben wäre, sich deswegen zu sorgen“, beruhigt Frank Erbguth, Neurologe, Psychologe und Präsident der Deutschen Hirnstiftung. Der Klassiker sei dem Mediziner zufolge, dass Menschen das Haus verlassen und sich später fragen, ob sie wirklich die Tür abgeschlossen haben. Grund dafür seien zwei wesentliche Säulen: „Die Automatisierung von Dingen und die Konzentration und Aufmerksamkeit“, erklärt Erbguth.
Die Automatisierung von Abläufen nimmt in unserem Alltag eine große Rolle ein. „Unser Gehirn ist viel damit beschäftigt, Dinge zur Seite zu legen und zu vergessen – und das muss es auch“, sagt der Präsident der Deutschen Hirnstiftung. Er erklärt: „Wenn wir zum Beispiel durch die Stadt gehen, bemerken wir ständig visuelle und akustische Eindrücke. Wenn unser Gehirn sich das alles merken müsste, wäre es klar überfordert, deswegen filtert es, um möglichst ökonomisch zu arbeiten.“ Das betrifft auch den Mechanismus der Automatisierung, unser Gehirn versucht, uns das Nachdenken zu ersparen, indem es den Vorgang des Türabschließens automatisiert – und wir uns so nicht daran erinnern können.
An Ungewöhnliches kann man sich gut erinnern
Das bestätigt auch eine kanadische Studie, die bereits im Jahr 2017 erschienen ist. Die Forscher haben dabei herausgefunden, dass das Ziel der Erinnerung ist, Entscheidungsprozesse zu optimieren – und nicht alles zu speichern. So werden ältere Erinnerungen im Gehirn von neuen Eindrücken „überschrieben“ – die alten Informationen werden für den Menschen schwerer zugänglich, erklären die Forscher. Tatsächlich gibt es davon aber auch Ausnahmen.
„Dieses Programm wird nur unterbrochen, wenn ungewöhnliche Sachen passieren“, sagt Erbguth. Das kann etwa ein Unfall sein. Der Neurologe erklärt: „Wenn man durch die Stadt läuft, kann man sich abends nicht mehr an jedes Schild erinnern, das man gesehen hat. Wenn man in der gleichen Situation aber mit einem Radfahrer zusammengeprallt ist, kann man sich abends vermutlich noch an die Aufschrift des Hauses erinnern, vor dem das passiert ist.“ Unser Vergessen und Aussortieren hänge demnach immer auch vom Kontext und emotionalen Ereignissen ab, so Erbguth.
Smartphone ist eine große Ablenkung
Die zweite Säule für Alltagsvergesslichkeiten begründet der Neurologe mit fehlender Konzentration und Aufmerksamkeit. Denn: „Wenn wir abgelenkt sind und unsere Konzentration durch andere Dinge gefesselt ist, kann unser Gehirn schnell einmal vergessen“, erklärt Erbguth. Die Hauptursache für diese Ablenkung: das Smartphone.
„Wenn wir zum Beispiel aus der Haustür gehen, während wir Whatsapp-Nachrichten beantworten, können wir später nicht mehr sagen, ob wir die Tür abgeschlossen haben oder nicht“, so Erbguth. Generell kann die Anzahl der Stunden am Smartphone Auswirkungen auf die Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeit haben, erklärt der Neurologe. Interessant: Einer Studie zufolge kann das Handy sogar dann Auswirkungen auf die Aufmerksamkeit haben, wenn wir es gar nicht benutzen. Denn: Ein Teil der Rechenkapazität im Gehirn wird bei Anwesenheit des Smartphones darauf verwendet, „die Handynutzung vorzubereiten, daran zu denken oder das Handy sogar zu bedienen, wenn man etwas anderes nebenher macht“, erklärt der Hirnforscher Martin Korte von der Technischen Universität Braunschweig.
Tipp: Rituale in den Alltag einbinden
Es gibt aber auch andere Ursachen für die Alltagsvergesslichkeiten. „Bei älteren Menschen kann eine Demenz für Vergesslichkeit sorgen, bei Jüngeren auch das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom“, erklärt Erbguth. Auch Schlafmangel oder emotionale Belastungen können dem Neurologen zufolge für Vergesslichkeit sorgen, „weil in dem Moment die Prioritäten im Gehirn anders sind“.
Wen die Schusseligkeit im Alltag stört, der kann übrigens durchaus etwas dagegen tun. Erbguth empfiehlt: Rituale einbinden. „Beim Abschließen der Tür könnte man zum Beispiel dreimal auf die Türklinke klopfen. So fällt das Abschließen zum Teil aus der Automatisierung raus und man kann sich später besser an das Klopfen und somit das Abschließen erinnern.“ Aber: „Natürlich ist es wichtig, die Ablenkungen zu minimieren, dann wird es auch besser mit der Konzentration“, erklärt er.
Die wenigsten müssen sich wirklich Sorgen machen
Aber wann sollte man sich Gedanken machen – und wann ist häufige Vergesslichkeit zu häufig? „Man sollte sich frühestens dann Gedanken machen, wenn man in unterschiedlichen Dimensionen vergisst“, erklärt Erbguth. Wenn der Schlüssel demnach ständig weg sei und man ihn im Kühlschrank wiederfinde und das Vergessen den Alltag deutlich beeinflusse, könne es dem Mediziner zufolge besser sein, einen Neurologen aufzusuchen.
Grundsätzlich rät Erbguth aber zur Besonnenheit, denn auch wenn Alltagsvergesslichkeiten störend sein können: „Meiner Erfahrung nach müssen sich die Menschen, die sich Sorgen machen, meist keine Sorgen machen.“