Deutschlandweit legen Mütter eine Rose dort nieder, wo sie bei der Geburt ihres Kindes Gewalt erlebt haben – Mona S. ist eine von ihnen.
Wenn die Entbindung zum Trauma wird„Was ich bei der Geburt erlebt habe, ist nicht richtig“
Eine junge Frau wacht auf, sie liegt in einem fremden Bett. Auf der einen Seite sieht sie eine weiße Wand, auf der anderen Seite stehen Betten, in denen andere Patienten liegen. Ihr Handy und ihre anderen persönlichen Sachen sind weg. Die junge Frau heißt Mona S. und ist vor wenigen Tagen zum ersten Mal Mutter geworden. Auch ihr Mann und ihr frischgeborener Sohn sind nicht bei ihr. Mona S. befindet sich in einer geschlossenen Psychiatrie.
Eigentlich sollen die Ärzte und Ärztinnen, Hebammen und Pflegekräfte in den Kliniken Frauen bei der Geburt helfen. Aufgrund von Personalmangel und Überarbeitung gelingt das in vielen Fällen nicht. Am Roses Revolution Day am 25. November machen Frauen weltweit auf die Missstände in der Geburtshilfe aufmerksam. Sie legen dort, wo sie bei der Geburt Gewalt erlebt haben, eine Rose nieder, oft mit einem Brief an die Hebammen oder die medizinischen Fachkräfte. Viele Frauen machen ein Foto von der rosanen Rose und posten es in den sozialen Netzwerken. Der Aktionstag findet in Deutschland bereits zum zehnten Mal statt.
Einleitung in der Klinik statt gewünschter Hausgeburt
Eigentlich wollte Mona S. vor gut zweieinhalb Jahren ihr Kind zu Hause zur Welt bringen. Bei einer Vorsorgeuntersuchung kurz nach dem errechneten Geburtstermin sagte ihr Gynäkologe zu ihr: „Das Kind wiegt über fünf Kilogramm, es muss sofort per Kaiserschnitt geholt werden.“ Mona S. fuhr in die Klinik und ließ die Geburt einleiten. Doch in die Klinik kamen an diesem Abend viele Frauen zur Geburt, die Hebammen wirkten überfordert.
Mona S. war mit ihrem Partner allein in einem Zimmer, bekam von den Medikamenten Wehenstürme, dann fehlen die Pausen zwischen den Wehen. Die Hebamme war freundlich, aber so gestresst, dass sie sich über Stunden nur wenige Male um Mona S. kümmern konnte. „Ich war völlig alleingelassen“, erzählt Mona S.
Diese Vernachlässigung, die die junge Mutter erlebt hat, ist eine Form von Gewalt unter der Geburt. Die Psychologin und Psychotherapeutin Lea Beck-Hiestermann forscht zu diesem Phänomen. In einer Onlinebefragung mit 1079 Müttern im Jahr 2020 hat sie an der Psychologischen Hochschule Berlin herausgefunden, dass 30 Prozent der Mütter bei der Geburt Vernachlässigung erlebt haben. Die Befragten erlebten auch körperliche Gewalt (30,9 Prozent) – dazu zählen Eingriffe ohne Zustimmung vorzunehmen und ein grober Umgang mit der Gebärenden – und psychische Gewalt (23,1 Prozent), wie Beschimpfungen und lächerlich gemacht zu werden. Insgesamt war jede zweite befragte Frau von einer Form der Gewalt betroffen.
Beim Kaiserschnitt an den Armen fixiert
Als es bei Mona S. zum Kaiserschnitt kam, wurde sie im OP an den ausgestreckten Armen fixiert. In vielen Kliniken wird so verfahren, um Medikamente besser verabreichen zu können. Mona S. hatte man das vorher nicht gesagt. Sie bekam ihren Sohn kurz auf die Brust gelegt. Als die Hebamme ihn wieder genommen hatte, rief sie nach ihrem Mann.
Der Anästhesist erklärte ihr, dass die Hebamme und der Vater mit ihrem Sohn gegangen wären. Als sie ihren Sohn später sah, war er gewaschen, steckte in einem Schlafsack und hatte eine Mütze auf. „Die hätten da jedes Kind hinlegen können“, sagt Mona S.
Die Probleme sind bekannt
Vernachlässigung, verbale und körperliche Gewalt während der Geburt ist mittlerweile auch in der Fachwelt als Problem bekannt. Der Deutsche Hebammenverband hat 2020 ein Positionspapier dazu veröffentlicht. Die Hebammen zeigen sich darin erschüttert, dass Frauen weltweit bei der Geburt fehlenden Respekt und missbräuchlichen Umgang erfahren. Auch die Fachgesellschaft für Geburtshilfe und Gynäkologie (DGGG) hat den Leitfaden „Respektvoller Umgang mit Patientinnen in Praxis und Klinik in der Gynäkologie und Geburtshilfe“ herausgegeben.
Darin steht unter anderem, dass Kliniken auf eine „adäquate Kommunikation im gesamten Team, auch im Notfall“ achten sollten. Positionspapiere und Empfehlungen sind für Mitarbeitende der Geburtsstationen nicht bindend.
Mona S. ging es auf der Wochenbettstation nicht gut. Sie hatte Schwindel, stürzte, konnte sich nur schwer auf den Beinen halten. „Sie gehen ja wie eine alte Oma“, sagte eine Pflegerin zu ihr, als sie versuchte, zu laufen.
Auf Fehler im System hinweisen
Mona S. fühlte sich nicht mehr wie sie selbst, konnte nicht mehr klar auf Fragen antworten. Dissoziation nennt sich das. Die Psyche spaltet dabei in einer traumatischen Situation einen Teil ab. Die junge Mutter hatte schon bei der Anmeldung in der Klinik darauf hingewiesen, dass sie vor einigen Jahren eine traumatische Erfahrung in einer Klinik gemacht hatte, auch damals war sie dissoziiert.
Bei Frauen mit einer traumatischen Vorerfahrung ist es wahrscheinlicher, dass sie bei einer Geburt eine erneute Traumatisierung erleben.
Nach der Geburt in die Psychiatrie
Ihr Partner bat um psychologische Unterstützung für die junge Mutter, aber niemand kam. Nach einigen Tagen wies ein Arzt sie in die Psychiatrie ein. Sie bekam Beruhigungsmittel und schlief tief und fest. Als sie aufwachte, waren Mann und Kind weg und sie lag neben der weißen Wand in dem kargen Raum. Die Ärztin, mit der Mona am Morgen danach sprach, erkannte den Fehler des Kollegen. Sie durfte bald zurück zu ihrem Mann und ihrem Sohn.
Dennoch war diese Geburt für Mona S. traumatisch. Mit der Rose, die sie auch in diesem Jahr in der Klinik ablegen wird, will sie zeigen: „Das, was ich bei der Geburt erlebt habe, ist nicht richtig.“ Sie möchte auf die Fehler im System hinweisen, damit sich endlich etwas ändert.
Folgen traumatischer Geburten
Wenn Frauen die Geburten ihrer Kinder als traumatisch erleben, kann das weitreichende Folgen haben. Es können Depressionen oder posttraumatische Belastungsstörungen auftreten. Dazu gehören Flashbacks, Albträume und Panikattacken. Auch die Beziehung zum Kind kann unter der Erfahrung leiden.
Mona S. beschreibt, wie sie nach der Geburt zu Hause ständig im Alarmzustand war. Jedes Schreien, jedes Spucken des Kindes hat sie in Angst versetzt. Sie versorgte ihr Kind so wie sie es als Kinder-Intensiv-Schwester gelernt hatte, aber eine elterliche Bindung baute sie erst Monate später auf. Geholfen hat der Mutter eine stationäre sechswöchige Betreuung in einer Mutter-Kind-Klinik und mit anderen Müttern über ihre Erfahrung zu sprechen.
Therapie gegen das Trauma
Sie entdeckte eine Onlinegruppe der Berliner Traumatherapeutin und Psychologin Tanja Sahib, in der Frauen einmal im Monat via Zoom über ihre belastenden Geburtserfahrungen sprechen. Sahib arbeitet seit über zwanzig Jahren mit Frauen nach traumatischen Geburten, sie hat mehrere Bücher darüber geschrieben. Sie erklärt, was Frauen nach solch einer Erfahrung brauchen: Ihre Geschichte erzählen können, auch mehrfach, ohne dass diese kommentiert wird. Ein guter Satz, den Familie oder Freunde sagen können ist: „Es tut mir leid, dass dir das passiert ist.“
Mona S. hat das Erlebte verarbeitet. „Jetzt, zweieinhalb Jahre später, habe ich eine super Bindung zu meinem Kind, aber das hätte alles nicht sein müssen“, sagt sie. Die Mutter ist sich sicher: Es wäre so einfach gewesen, dass diese Geburt nicht so traumatisch wird. „Etwas mehr Zeit, ein paar liebevolle Worte, eine Hand auf der Schulter, das alles hat komplett gefehlt“, sagt sie.