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Kölner StudieSex, Lebenslust – Generation 50plus lässt es nochmal richtig krachen

Lesezeit 6 Minuten
Älteres Ehepaar Strand

Die meisten Paare der Generation 50plus sind einer Studie zufolge zufrieden mit ihrer Partnerschaft, zwei Drittel bezeichnen sie als Liebesbeziehung.

Die zweite Lebenshälfte schon erreicht? Sie Glücklichen! Einer Studie zufolge sind ältere Deutsche überwiegend zufrieden und fühlen sich jung.

Im Unglück, so ist es vom griechischen Dichter Hesiod überliefert, „pflegen die Menschen früher zu altern“. Das Zitat ist freilich an die 3000 Jahre alt. Aber gültig scheint es auch heute noch zu sein. Das lässt zumindest eine neue Studie mit dem Titel „So lebt und liebt die Generation 50+“ vermuten. Im Groben spiegelt sie eine durchaus lebenslustige, zufriedene und auch sexuell aktive Altersgruppe wider, die sich ganz im Sinne Hesiods im Schnitt dann auch deutlich jünger fühlt als ein Blick in den Personalausweis nahelegt.

So viel Glück in einer gesellschaftlichen Situation, in der sich Krise an Krise reiht, mag zunächst überraschend wirken. Für Stephan Grünewald vom Rheingold Institut, der mit seinem Team die Studie im Auftrag der Witt-Gruppe durchgeführt hat, passt beides durchaus schlüssig zueinander. „Wir sehen bei der Generation 50 plus eine große Selbstbezogenheit. Das liegt auch an den Krisen der Gesellschaft. Da zieht man sich lieber auf sich selbst zurück – und findet hier Zuversicht“, sagt Grünewald im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Gesellschaftlich herrsche Pessimismus, sowohl was den Klimawandel als auch kriegerische Auseinandersetzungen betrifft. „Wir wissen: Irgendwann kommt das bittere Ende. Aber die Restzeit bis dahin wollen wir gerade deshalb besonders genießen.“ Bei Menschen, die in der zweiten Lebenshälfte angekommen sind, falle diese „kollektive Nachspielzeit“ mit der individuellen zusammen. Die apokalyptische Zukunft verliere etwas an Schrecken, wenn gar nicht mehr so viel Zukunft zu erwarten sei. Die Generation „Ich“ habe sich deshalb dafür entschieden: Jetzt lassen wir es nochmal krachen.

ARCHIV - 07.09.2017, Nordrhein-Westfalen, Köln: Stephan Grünewald, Leiter des Rheingold Instituts. (zu dpa: «Studie: Deutsche ziehen sich zunehmend ins Private zurück») Foto: Rolf Vennenbernd/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Stephan Grünewald hat die Studie für die Witt-Gruppe durchgeführt. Er hat gute Nachrichten für die ältere Generation: „Wir sehen Einsamkeit als viel größeres Problem bei den Jungen.“

So ist in der Studie wenig die Rede von Einsamkeit, Gebrechen oder gar der Angst vor dem Tod. Sondern eher von glücklichen Partnerschaften, Lust auf Sexualität und guten Freundschaften. Immerhin sind neun von zehn Menschen, die in einer Partnerschaft leben, mit dieser zufrieden. Zweidrittel sprechen immer noch von einer „Liebesbeziehung“, nur vier Prozent von einem reinen „Zweckbündnis“. Fast die Hälfte aller Befragten wünschen sich mehrmals pro Monat oder pro Woche Sex. Knapp vierzig Prozent suchen diesen über Dating-Portale im Internet, fast alle werden diesbezüglich auch fündig. Fast neunzig Prozent können auf ihre Freunde zählen, acht von zehn geben an, mit ihnen „über alles reden“ zu können.

Aber es gibt natürlich auch Unterschiede. Vor allem die Geschlechter gehen durchaus mit unterschiedlichen Strategien auf die zweite Lebenshälfte zu. Das hat Grünewald in dieser Deutlichkeit dann doch ein wenig überrascht. „Frauen sind diejenigen, die agiler waren, sich neu aufzustellen und neu zu erfinden.“ Sie seien im großen Ganzen gesehen die Ideengeber und Treiber, während Männer „eher auf Halten spielen“. Während Frauen sich der Studie zufolge nach den Wechseljahren neuen Herausforderungen zuwenden, viel mit Freundinnen unternehmen, auf Reisen gehen, beim Yoga neue Erkenntnisse suchen oder eine neue Sprache lernen, versuchen Männer „eher das weiterzutreiben, was sie schon immer konnten“.

Grünewald erklärt damit auch das Auseinanderdriften bei der Sexfrage. Fragt man Männer, ob sie bei einer neuen Beziehung großen Wert auf guten Sex legen, so antworten mehr als zwei Drittel mit Ja. Bei den Frauen ist der körperliche Teil der Liebe nur für jede Dritte wichtig. „Männer versuchen in ihren alten Wirklichkeitsfeldern, in welchen sie schon immer ihren Mann gestanden haben, weiter zu reüssieren.“ Wiederholungsschleife nennt Grünewald das.

Interessanterweise führt die Aufgeschlossenheit des weiblichen Teils der Bevölkerung dazu, dass laut Studie auch beim klassischen Altersgefälle (alter Mann, junge Frau) etwas ins Rollen geraten zu scheint. Zwar suchen immer noch zwei Drittel der älteren Männer eine deutlich jüngere Frau, aber auch jede dritte Frau gibt an, einen jüngeren Mann sexuell attraktiver zu finden. Die Kombination ältere Frau und jüngerer Mann mache häufig gerade in späteren Jahren tatsächlich Sinn, sagt Grünewald. Frauen, die sich nochmal neu erfinden, seien seelisch gesehen jünger. „Wenn ich bereit bin zu experimentieren und neue Wege zu gehen, bin ich mit einem jüngeren Partner aber natürlich deutlich besser unterwegs als mit einem festgefahrenen alten.“

Natürlich seien nicht alle Frauen „Neuerfinderinnen“ und alle Männer „Festhalter“. Eine Tendenz sei aber nicht von der Hand zu weisen. Grünwald erklärt die weibliche Experimentierfreude im Alter auch damit, dass Frauen nach den permanent überfordernden Jahrzehnten in der Familienphase, in der sie sich in „multiplen Perfektionszwängen gefangen“ sahen, mit dem Eintreten ins fünfte Lebensjahrzehnt einen größeren Befreiungsimpuls verbänden als ihre gleichaltrigen Männer, die sich weniger in der Familie engagiert haben. „Diese Frauen wissen: Die Kinder sind aus dem Haus, beruflich habe ich bewiesen, dass ich was kann. Und jetzt freue ich mich einfach darauf, endlich wirklich selbstbestimmt agieren zu können.“

Das führe auch zu einer gewissen Kompromisslosigkeit in der Liebe. So wünscht sich fast zwei Drittel der befragten Single-Frauen keine neue Partnerschaft mehr. Bei den männlichen Alleinstehenden ist dagegen noch die Mehrheit auf der Suche nach einem neuen Liebeshafen. Kompletter Beziehungsverzicht muss es für viele Frauen gar nicht sein, aber ein gemeinsamer Haushalt mit der Hauptverantwortung für „seine“ dreckigen Socken wird dann doch häufiger abgelehnt. „Viele Frauen kommen zu dem Schluss: Lieber ambulant lieben als stationär.“

Frauen, die bereit sind zu experimentieren und neue Wege zu gehen, sind mit einem jüngeren Partner natürlich deutlich besser unterwegs als mit einem festgefahrenen Alten
Stephan Grünewald, Psychologe

So viel gute Laune angesichts von körperlichem Verfall und unaufhaltsamem Voranschreiten Richtung Lebensende mögen verwunderlich wirken. Und in der Tat hält die Generation 50plus ihre Stimmung laut Grünewald vor allem durch einen allseits bekannten Trick oben: Die Verdrängung. „Der Tod wird in unserer jugendbewegten Welt nicht als Realität, sondern als Bedrohung wahrgenommen. Und vor einer Bedrohung kann man versuchen davonzulaufen.“ Gerade Menschen über 60 Jahre, die sich vielleicht schon im Ruhestand befänden, fielen zunehmend durch ein Vitalitätsdiktat auf, wie Grünewald das nennt: „Wenn wir Interviewtermine mit Menschen aus dieser Lebensphase vereinbaren, dann heißt es oft: Ach, das geht frühestens in zehn Tagen, erstmal habe ich Termine für mein Ehrenamt, dann was Sportliches, dann folgt noch ein Kurztrip. Das hat mitunter etwas Demonstratives.“

Einsamkeit ist nur für jeden Vierten der Befragten ein bekanntes Gefühl. Für Grünewald ist es damit nicht das bestimmende Thema der Generation 50 plus. „Wir sehen Einsamkeit als viel größeres Problem bei den Jungen. Die haben während der Pandemie verlernt, Cliquen zu bilden und Freundschaften zu pflegen.“ Ältere dagegen könnten auf ein größeres soziales Repertoire zurückgreifen, sie kämen im Zweifel auch mal mit sich alleine zurecht. Und sie pflegten Freundschaften vermehrt analog. „Der persönliche Kontakt trägt natürlich gerade bei Freundschaften zu einer größeren Befriedigung bei. Wir spüren anders als im Digitalen die Schwingungen des anderen.“

Könnte man all das Glück der lebenslustigen Alten nicht auch noch nutzbar machen für eine Gesellschaft, die sich in keinem guten Zustand befindet und etwas unterstützende Energie durchaus gut gebrauchen könnte? „Politisch wäre das natürlich sehr sinnvoll“, sagt Grünewald. Auch ein Ehrenamt biete schließlich die Möglichkeit, sich neu zu erfinden. Allerdings werde private Energie an die Gesellschaft immer nur dann abgegeben, wenn es ein klares Ziel oder eine klare Vision gebe. Zudem müssten die Menschen das Gefühl haben, bei der Umsetzung wirklich etwas beitragen zu können, sagt Grünewald. „Zuletzt funktioniert hat das im kalten Winter nach dem Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine. Da wollten es alle Putin zeigen und haben die Heizung runtergedreht.“ Geklappt habe das auch, weil alle betroffen waren. „Das Gerechtigkeitsprinzip blieb gewahrt, schließlich haben alle geholfen. Und so hat sich auch die Generation „Ich“ nicht schwer getan, ein Wir-Gefühl zu empfinden.“