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Krankenstand auf hohem NiveauIst Deutschland kränker als vor der Corona-Pandemie?

Lesezeit 4 Minuten
Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung liegt auf einem Tisch.

Die Zahl der Krankschreibungen ist im ersten Quartal des Jahres auf einem hohen Niveau.

Der Krankenstand ist auch im ersten Quartal 2024 ungebrochen hoch, vor allem bei jüngeren Arbeitnehmern – Daten bilden Realität nicht ab.

Seit Corona ist Deutschland offenbar deutlich kränker. Darauf deuten zumindest Zahlen der Krankenkasse DAK-Gesundheit hin: Im ersten Quartal des Jahres lag der Krankenstand demnach bei 5,8 Prozent – das bedeutet, zwischen Januar und März waren an jedem Tag im Schnitt 58 von 1000 Beschäftigten krank­geschrieben. Damit verharren die Zahlen auf hohem Niveau.

Doch was ist der Grund für den hohen Krankenstand? Ist er der Tatsache geschuldet, dass sich unter die Krankheitserreger nun ein weiteres Virus gemischt hat, das grundsätzlich einfach mehr Menschen krank macht? Oder sind wir als Gesellschaft womöglich sensibler für Krankheiten geworden? Bleiben wir eher zu Hause, wenn wir merken, dass die Nase läuft oder der Hals kratzt?

Elektronische Krankschreibung verändert Statistiken

Diese Faktoren könnten durchaus eine Rolle spielen, statistisch belegen ließen sie sich jedoch nicht, meint Thorsten Flach. Der Psychologe vom Institut für Betriebliche Gesundheitsförderung sieht einen anderen Grund für den hohen Krankenstand: die elektronische Arbeitsunfähigkeits­bescheinigung. Seit vergangenem Jahr händigen Ärztinnen und Ärzte keine gelben Scheine mehr an krankgeschriebene Patientinnen und Patienten aus, sondern übermitteln die Krankmeldung auf elektronischem Weg an die Krankenkassen.

„Das heißt, insbesondere die Kurzzeiterkrankungen, die in den vergangenen Jahren immer auf dem Tisch der Versicherten liegen geblieben sind, sind jetzt in den Statistiken der Krankenkassen erfasst“, sagt Flach. Bei Krankschreibungen für Kurzzeiterkrankungen wie Magen-Darm-Infekten zeige sich ein „enormer Zuwachs“. „Das heißt, wir haben nicht mehr kranke Menschen, sondern die Statistiken der Krankenkassen bilden jetzt den Krankheitsstand besser ab.“

Ist die Generation Z weniger belastbar?

Dass sich die Dunkelziffer verringert, ist auch der Grund dafür, warum der Krankenstand bei jüngeren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern so hoch ist. Den Zahlen der DAK zufolge fehlten bei den unter 20‑Jährigen rund 59 Prozent mindestens einmal mit einer Krankschreibung im ersten Quartal des Jahres. Dass Jüngere häufiger krankgeschrieben sind, sei jedoch kein neueres Phänomen, sagt Flach. „Das war bei der Generation X damals genauso. Auch die Generation Z ist da keine Ausnahme.“

Häufig wird jüngeren Generationen vorgeworfen, weniger belastbar zu sein und sich eher krankzumelden. Eine Umfrage der Krankenversicherung Pronova BKK hatte vergangenes Jahr zudem ergeben, dass 54 Prozent der Befragten die 18‑ bis 29‑Jährigen verdächtigen, sich krankzumelden, obwohl sie arbeitsfähig wären.

„Es ist erkennbar, dass sich die junge Generation durch ein sensibleres Frühwarnsystem für die eigenen Bedürfnisse auszeichnet, was aus meiner Sicht sehr wertvoll ist“, sagte Wirtschafts­psychologin Patrizia Thamm von der Pronova BKK damals zu den Ergebnissen. „Sie schreibt also ihrer Selbstfürsorge und eigenen Gesundheit eine hohe Priorität zu und zieht nicht um jeden Preis das Arbeitspensum durch, wenn sie gesundheitlich angeschlagen ist.“ Gerade bei psychischen Problemen sei diese Selbstfürsorge sehr wichtig, sie werde jedoch von jüngeren und älteren Generationen unterschiedlich betrachtet.

Junge Arbeitnehmer: Am häufigsten sind Atemwegserkrankungen

Was bei jüngeren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern besonders auffällt: Die Dauer ihrer Krankschreibung ist wesentlich kürzer als die von älteren. Sie fehlen zwar häufiger, dann aber nur wenige Tage.

Da Jüngere eher von geringfügigen Krankheiten wie Atemwegsinfekten betroffen sind, sei auch die Krankheits­dauer geringer, schrieb die DAK zuletzt in ihrem Gesundheitsreport als Erklärung. Atemwegs­erkrankungen sind laut der DAK 2022 der häufigste Grund für Krankschreibungen in der Altersgruppe der 15‑ bis 19‑Jährigen gewesen, auch Verletzungen spielten mit rund 13 Prozent eine Rolle. Auffällig ist, dass der Anteil von psychischen Erkrankungen offenbar abnimmt:

Dem allgemeinen Trend entspricht das nicht. Vielmehr nehmen die Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen in der Bevölkerung zu, wie etwa der Fehlzeiten-Report des Wissenschaftlichen Instituts der Krankenkasse AOK, der Universität Bielefeld und der Berliner Hochschule für Technik vergangenes Jahr deutlich machte. Auch die Techniker Krankenkasse kam zu dem Ergebnis, dass psychische Erkrankungen der zweithäufigste Grund für Krankschreibungen in 2023 gewesen sind.

Das ist auch die Entwicklung, die Flach beobachtet. Vor allem zwei Diagnosen seien für einen Großteil der Fehltage verantwortlich: depressive Episoden und Belastungsstörungen. „Die Fälle steigen – und zwar in allen Altersgruppen.“ Allerdings geht der Experte auch hier von einer Dunkelziffer aus. Denn nicht alle Betroffenen würden zum Arzt gehen und sich krankschreiben lassen – oder wenn vielleicht aus Scham andere Symptome beschreiben, um eine Krankschreibung zu erhalten.

Dennoch: „Wir sind als Gesellschaft offener gegenüber diesen Erkrankungen geworden und reden darüber“, sagt Flach. „Wir haben gelernt, dass es Lebens­situationen gibt, in denen man Unterstützung braucht oder achtsamer ist. Das ist positiv.“