Viele Eltern sind überfordert, wenn ihre Kinder Fragen zu Krieg oder Katastrophen haben. Wie soll man die Themen dann kindgerecht ansprechen? Die ZDF-Journalistin Sara Bildau gibt in einem Buch Tipps.
Krieg und Krisen in der Welt„Ich kann meine Kinder mit ihren Fragen nicht alleine lassen“
Krieg und Krisen prägen unsere Gegenwart. Das bemerken auch Kinder und Jugendliche und sind verunsichert. Vielen Eltern fällt es schwer, auf die Fragen ihrer Kinder zu diesen Themen passende Antworten zu finden. Sie wollen ihre Kinder nicht überfordern oder belasten. Sara Bildau, Mutter zweier Töchter (5 und 10 Jahre alt) und Moderatorin der „heute“-Nachrichten im ZDF, findet: Eltern sollten keine Angst haben, mit ihren Kindern über düstere Themen zu sprechen. Sie hat daher ein Sachbuch mit dem Titel „Mama, kommt der Krieg auch zu uns?“ geschrieben. Im Interview erklärt sie, was sie selbst bei der Recherche gelernt hat.
Frau Bildau, leben wir in besonders unsicheren Zeiten?
Über diese Frage habe ich schon viel nachgedacht. Ich habe zum Beispiel mit meiner Mutter, also mit jemanden aus einer anderen Generation darüber gesprochen. Sie sagt, früher gab es auch unsichere Zeiten. Der große Unterschied aber: Heute treffen so viele Krisen aufeinander und Medien berichten 24 Stunden am Tag. Ich verspüre derzeit oft ein Gefühl der Unsicherheit – für mich persönlich, für meine Familie, für mein direktes Umfeld. Die Konflikte und Katastrophen dieser Welt sind nicht nur gefühlt näher kommen, sondern auch geografisch: Der Ukraine-Krieg ist direkt vor unserer Haustür. Die Klimakrise bemerken wir in unserem Alltag immer mehr, auch wenn sie überhaupt nicht neu ist. Die Krisen und Konflikte sind uns zuletzt sehr viel bewusster geworden als früher.
Donald Trump hat seine zweite Amtszeit als US-Präsident angetreten. In Deutschland steht uns die Bundestagswahl noch bevor. Bei vielen Erwachsenen ist die Verunsicherung groß. Eine der wichtigsten Aufgabe von Eltern ist es, ihren Kindern ein Gefühl von Sicherheit zu geben – auch dann, wenn man selbst unsicher ist. Das ist keine leichte Aufgabe.
Genau, es ist heutzutage nicht mehr so einfach, den Kindern ihre Ängste zu nehmen. Das bemerke ich auch bei mir zu Hause. Als meine große Tochter noch kleiner war und es um das Gespenst im Kleiderschrank ging, was sie dort vermutet hat, konnte ich noch sagen: „Nee, nee, da ist nichts“. Wenn mich meine Tochter jetzt fragt „Mama, kommt der Krieg auch zu uns?“, da muss ich selbst schlucken. Das ist natürlich auch eine Sorge, die ich tief in mir trage. Diese Frage kann ich nicht mehr so einfach wegwischen mit einem „Nein, das passiert nicht“. Ich muss ihr das erklären: „Ich glaube es nicht – aus den und den Gründen“. Zum Beispiel kann ich mit ihr über die Nato sprechen, natürlich kindgerecht, nach dem Motto: Zusammen sind wir stark! Das Problem oft: Solche Fragen erwischen Eltern eiskalt, unvorbereitet. Diese Erfahrung war der Grund für mich, warum ich das Buch zu dem Thema geschrieben habe. Ich hatte manchmal selbst einfach keine Antworten auf die Fragen.
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Mit Gegenfragen herauskitzeln, was das Kind genau wissen will
Und das sagen Sie als Medienschaffende, die sonst im Fernsehen erklärt, was auf der Welt passiert!
Das ist etwas ganz anderes! In meinem Job bin ich professionell und nicht so emotional wie daheim. Wir Eltern lieben unsere Kinder und haben deshalb alle das gleiche Problem bei solchen Themen: Wir wollen ehrlich sein, ihnen aber nicht noch mehr Angst machen.
Deshalb haben Sie sich für Ihr Buch mit vielen Experten ausgetauscht. Hängen geblieben ist mit daraus Ihr Rat, dass Eltern keine Angst davor haben müssen, vor ihren Kindern ihr eigenes Unwissen und auch eigene Unsicherheiten einzugestehen.
Ich habe zu diesem Thema mit mehreren Psychologen gesprochen. Und deren Antwort war ganz klar: Ihre Kinder merken sowieso, dass Sie nicht allwissend sind. Sicherlich kommt es noch einmal darauf an, wie alt die Kinder sind. Es ist etwas anderes, ob ich mit einem Kitakind über Themen wie die Messerattacke auf die Kindergartengruppe in Aschaffenburg spreche oder einem Grundschulkind oder einem Teenie. Das differenziere ich in meinem Buch. Aber wenn ich gefragt werde: „Warum hat der Mann in Aschaffenburg das gemacht?“ Dann kann ich ehrlich sagen: „Ich verstehe das auch nicht!“ Das hilft Kindern übrigens: Zu wissen, dass sie mit ihrem Unverständnis nicht alleine sind. Aber damit ist es für uns Eltern nicht getan, denn meist steckt ja eine Frage hinter der Frage. Oft hilft es, mit Gegenfragen herauszukitzeln, was das Kind genau wissen möchte. So checkt man den Wissensstand ab und vermeidet, dass man die Kinder mit Vorträgen über Dinge, die sie gar nicht wissen wollen, überfordert. Ganz oft steckt die Sorge dahinter, ob so etwas Schreckliches auch einem selbst passieren kann. Und diese Frage stellen wir uns als Erwachsene ja auch.
Vergleiche ziehen, um den Kindern eine Vorstellung zu geben
Und das ist wirklich keine Frage, auf die wir Erwachsenen eine abschließende Antwort haben.
Nein, und deswegen können wir als Mama oder Papa auch nicht einfach sagen „Nein, das kann uns nicht passieren!“. Ich kann aber natürlich mit meinem Kind darüber sprechen, wie unwahrscheinlich so eine Attacke ist. Oft hilft es Kindern, sich das besser vorstellen, wenn wir Vergleiche ziehen. Zum Beispiel: Es ist viel wahrscheinlicher, dass jemand an einer Vergiftung stirbt, als dass er bei einem Anschlag umgebracht wird. „Kennst du jemanden, der an einer Pilzvergiftung gestorben ist?“ „Nein.“ Das ist die klügere Strategie. Wir sollten solche Fragen nicht versuchen, mit bloßen Floskeln zu beantworten.
Ein gut gemeintes „Du musst keine Angst haben“ ist also ein absolutes No-Go?
Die Angst ist ja trotzdem da! Ich kann das hundertmal sagen: „Du musst keine Angst haben.“ Ich muss versuchen, ihnen die Hintergründe zu erklären, soweit mir das möglich ist. Man darf die Fragen der Kinder nicht einfach abtun. Mit einem „Dafür bist du zu jung“ oder „Das ist nichts für Kinder“ mache ich ihnen noch mehr Angst und es wird noch interessanter. Tatsächlich bekomme ich jetzt wegen des Buchs viele Zuschriften von aufgebrachten Eltern, die glauben, ich würde dazu animieren, mit Kindern über Krieg und Terror zu sprechen. Das sage ich aber gar nicht! Es ist aber absurd zu glauben, dass Kinder die Krisen und Katastrophen dieser Welt nicht so oder so mitkriegen – über die Medien, bei Gesprächen zu Hause, in der Schule. Auch in der Kita können sie diese Themen schon aufschnappen. Zum Teil sind das nur Informationsfetzen, und da muss ich meine Kinder an die Hand nehmen. Ich kann sie nicht mit diesen Informationsfetzen alleine lassen. Ich darf sie dann nicht überfordern, aber ich kann auch nicht sagen: „Dafür bist du zu jung.“
Kindern Sicherheit und Orientierung geben
Aber wie soll das ganz praktisch gehen? Vielen Erwachsenen fällt es auch schwer, sich mit Gleichaltrigen über Politik zu unterhalten. Nach dem Motto: Was verstehe ich denn von der Weltpolitik und von Donald Trump?
In meinem Bekanntenkreis sind einige nach der Wiederwahl von Trump zum Beispiel sehr besorgt. Ihre Kinder haben das mitgekriegt und Fragen gestellt. Wenn man über Trump redet, muss man nicht das ganze politische System in den USA erklären können. Es geht darum, dass man mit seinen Kindern über seine eigenen Haltungen und Gefühle zu dem Thema spricht. Warum man glaubt, dass seine Politik Amerika spaltet, zum Beispiel. Eltern müssen bei schwierigen Themen Stellung beziehen. Das gibt den Kindern Sicherheit und Orientierung. Dabei sollte man natürlich keine falschen Informationen weitertragen, aber man muss kein Politikexperte sein.
Wo Sie Fake News ansprechen: Wie schlecht steht es um die Medienkompetenz hierzulande?
Die Medien werden immer vielfältiger. Ein großer Teil der Jugendlichen zum Beispiel bezieht seine Infos aus den sozialen Netzwerken. Ohne diese zu verdammen, aber: Die sind quasi ein Superspreader für Fake News. Ich glaube, für uns Eltern ist es daher besonders wichtig, dass wir immer und immer wieder mit unseren Kindern daran arbeiten, dass sie mit den Medien richtig umgehen können. Medienkompetenz ist nicht angeboren, die muss man lernen. Im Buch zeige ich Wege auf, wie wir Eltern unsere Kinder dabei unterstützen können. Man muss sie dafür sensibilisiert, dass eben nicht alles wahr ist, was im Netz steht. Dann kann ich mich nicht alleine auf die Schule verlassen, wo Medienkompetenz im Lehrplan enthalten ist. Und es gibt ja auch viele Medienangebote, die sich speziell an Kinder und Jugendliche richten. Diese können Eltern auch gut zur Unterstützung nutzen, um ihren Kindern Antworten auf ihre Fragen zu geben.
Müssen Eltern ihre Kinder aber nicht auch manchmal mit einem Machtwort in die Schranken weisen? Etwa Erstwählende, die sagen, dass sie Rechtsaußenparteien wählen wollen?
Wir müssen unsere Kinder demokratisch erziehen. Was viel mehr bringt, als irgendein Machtwort zu sprechen, ist zu Hause eine vernünftige Debattenkultur vorzuleben. Dass es nicht nur eine Antwort oder eine Wahrheit gibt, sondern es darauf ankommt, sich auszutauschen und für seine Position Argumente zu haben. Als Eltern müssen wir die Positionen von unserem Kind ernst nehmen. Und ich kann Argumente von meinen Kindern einfordern. Was nicht geht, ist, dass ich meinem Kind eine politische Richtung vorschreibe. Wenn es um wirklich extreme Positionen geht, die auch strafrechtliche relevant werden, dann muss natürlich ein elterliches Machtwort her. Aber es geht ja darum, mit politischer Bildung zu Hause, in Schulen und Kitas den Extremen viel früher entgegenzuwirken. Wir müssen mit den Kindern darüber sprechen, dass extremen Positionen niemandem helfen. Daher sollten wir Fächer wie Politik oder Gesellschaftskunde nicht als „Laberfächer“ abtun. Sie sind total wichtig. Wir sollten uns nicht nur für die binomischen Formeln aus dem Matheunterricht interessieren, denn unsere Kinder müssen auch die Formeln für das Zusammenleben in unsere Gesellschaft lernen.
Sara Bildau, „Mama, kommt der Krieg auch zu uns?“, mit einem Vorwort von Peter Maffay, 22,99 Euro. Erscheint am 6. Februar 2025.