Wüssten Sie sofort, wie Sie auf die Frage: „Sie wissen nicht, wo sich ihr Mann versteckt hält?“ richtig antworten? Zum Glück aber unser Sprachwissenschaftler.
Frage an den SprachwissenschaftlerAntwortet man auf verneinte Fragen mit „ja“ oder „nein“?
Mich beschäftigt die korrekte Antwort auf verneinte Fragen wie „Sie wissen nicht, wo sich die Urkunde befindet?“ oder „Sie wissen nicht, wo sich ihr Mann versteckt hält?“. Wenn die Gefragten es nicht wissen, antworten sie typischerweise mit einem entschiedenen „nein“, dabei müsste die korrekte Antwort in diesem Fall doch „ja“ lauten. Können Sie hier weiterhelfen? Hubert Bell
Da diese Kolumne ja praktische Hilfe in der Kommunikation leisten will, zunächst ein dringender Ratschlag: Halten Sie sich in solchen Fällen unbedingt an die von Ihnen beschriebene Praxis, und antworten Sie mit „Nein“. Auch wenn Sie die Logik auf Ihrer Seite hätten — eine schwierige Frage, auf die ich gleich komme — würde man Sie sonst nicht verstehen. In der Kommunikation gilt: Erst kommt die Konvention, dann die Logik!
Aber wie sieht es mit der Logik aus? Bei positiven (also nicht verneinten) Fragen scheint die Sache einfach zu sein: Die fragende Person stellt einen hypothetischen Sachverhalt in den Raum und fordert ihr Gegenüber auf, diesen Sachverhalt als wahr oder falsch zu bewerten. Die meisten Sprachen — so auch das Deutsche — haben dafür spezielle Wörter, sogenannte Antwortpartikeln. Im Falle der Frage „Wissen Sie, wo sich die Urkunde befindet?“ lautet die zu bewertende Aussage: „Es ist der Fall, dass Sie wissen, wo sich die Urkunde befindet.“ Ist diese Aussage wahr, antworten wir mit „ja“, ist sie falsch, antworten wir mit „nein“. So weit, so logisch.
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Bei verneinten Frage wird es im Deutschen schwierig
Bei verneinten Fragen wird es schwierig. Auch hier stellt die fragende Person zunächst einen Sachverhalt in den Raum und bittet um Bestätigung oder Verneinung — allerdings verneint sie diesen Sachverhalt in der Frage schon selbst. Diese Verneinung kann auf zwei sehr verschiedene Arten interpretiert werden. Im ersten (vielleicht „logischeren“) Fall ist die Verneinung Teil der Aussage, die vom Gegenüber bewertet werden soll. Die Aussage wäre hier „Es ist nicht der Fall, dass Sie wissen, wo sich die Dokumente befinden.“ Hier müssten wir, wie Sie vermuten, eigentlich ebenfalls mit „ja“ antworten, wenn die Aussage wahr wäre und mit „nein“, wenn sie falsch wäre. Und tatsächlich gibt es Sprachen, in denen man genau so vorgeht — z.B. das Japanische.
Das Deutsche macht es anders: Ist die verneinte Aussage wahr, verneinen wir sie auf eine scheinbar völlig unlogische Weise, was ja eigentlich heißen müsste, dass sie falsch ist. Ist sie dagegen falsch, haben wir dafür eine ganz eigene Antwortpartikel: „Doch.“ Der Grund dafür ist, dass wir die verneinte Frage im Deutschen anders interpretieren als etwa japanische Muttersprachige: Wir behandeln die Verneinung nicht als Teil der hypothetischen Aussage, sondern als ein Signal, welche Antwort die fragende Person erwartet. Die Aussage wäre hier also: „Es ist der Fall, dass Sie wissen, wo sich die Dokumente befinden (ich vermute, Sie werden diese Aussage als falsch bewerten).“ Und — eigentlich ganz logisch — beantworten wir die Frage dann auch mit „nein“, wenn die Aussage falsch ist. Die Antwortpartikel „doch“ bedeutet dementsprechend ungefähr: „Ich bewerte die Aussage als wahr (anders, als Sie es vermutet haben).“
Es gibt Sprachgemeinschaften, die haben cleverere Lösungen gefunden
Das ist Ihnen zu kompliziert? Da sind Sie in guter Gesellschaft! In der Sprachphilosophie wird seit Jahrzehnten diskutiert, warum sich manche Sprachgemeinschaften für die eine und manche für die andere Interpretation entscheiden. Besonders clevere Sprachgemeinschaften — etwa die des Finnischen — vermeiden das Problem elegant, in dem sie auf Antwortpartikeln ganz verzichten. Stattdessen antwortet man dort wunderbar logisch mit einer vollständigen Aussage – zum Beispiel „ich weiß es“ oder „ich weiß es nicht“. Ob wir aber deshalb in Zukunft alle Finnisch sprechen sollten, das sei dahingestellt.
In unserer Stilkolumne „Wie geht's?“ beantworten Experten Ihre Fragen zum stilsicheren Auftreten in allen Lebenslagen. Zum Beispiel Vincent Moissonnier, Chef des gleichnamigen Kölner Restaurants, der die perfekten Tipps zu Tischmanieren ohne Etepetete hat. Oder Anatol Stefanowitsch, Professor für Sprachwissenschaft, der sagt, wie wir mit Sorgfalt, aber ohne Krampf kommunizieren. Senden Sie uns Ihre Fragen bitte per Mail an: Stilkolumne@dumont.de