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NRW-GrenzregionKontrollen starten – Reisende sollten diese Dokumente bereithalten

Lesezeit 7 Minuten
ARCHIV - 09.04.2020, Nordrhein-Westfalen, Kaldenkirchen: PKW und LKW fahren bei Kaldenkirchen auf einer Landstraße über die deutsch niederländische Grenze. Um mögliche Gefahren für die öffentliche Gesundheit abzuwehren, will die Bundespolizei am bevorstehenden Osterwochenende ihre Grenzüberwachung in Nordrhein-Westfalen verstärken. (zu dpa: «Vor dem Start der Grenzkontrollen: Sorgen um Auswirkungen») Foto: Oliver Berg/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

PKW und LKW fahren bei Kaldenkirchen auf einer Landstraße über die deutsch niederländische Grenze. Bildfunk +++

Ab Montag soll es Kontrollen an allen deutschen Grenzen geben. Damit will die Bundesregierung gegen illegale Migration vorgehen. Die Auswirkungen auf den Verkehr sollen gering bleiben.

Die Bundesinnenministerin hat Grenzkontrollen an allen deutschen Landgrenzen angeordnet. Ab Montagfrüh wird daher auch in NRW verstärkt kontrolliert. Angekündigt sind „Kontrollen mit Augenmaß“. Die Auswirkungen auf den Verkehr sollen gering bleiben, heißt es. Allerdings sind längst nicht alle derart optimistisch.

Die ab Montag beginnenden Grenzkontrollen zu Belgien und den Niederlanden rufen in der Grenzregion von Nordrhein-Westfalen Besorgnis hervor. „Wir sind besorgt, dass Grenzkontrollen den Charakter unserer Region verändern könnten“, sagte ein Sprecher der Stadt Herzogenrath der Deutschen Presse-Agentur. „Es besteht die Gefahr, dass sie eine Belastung für die vielen tausend Bürgerinnen und Bürger beider Länder darstellen und sich auch wirtschaftlich negativ auswirken.“

In Herzogenrath verläuft die deutsch-niederländische Grenze mitten durch die Stadt. „Viele Menschen aus beiden Städten leben und arbeiten tagtäglich auf der jeweiligen anderen Seite der Grenze oder erledigen grenzüberschreitend Besorgungen“, so der Sprecher. Die Grenze sei an vielen Stellen nicht sichtbar und fließend.

Die Stadt wolle alte Grenzhäuschen und -mauern nicht reaktiviert sehen. „Anstatt die Binnengrenzen der EU wieder aufleben zu lassen, sollten Lösungen für den Schutz der EU-Außengrenzen gefunden werden. Was an den Außengrenzen nicht gelingt, kann im Innern kaum nachgeholt werden.“

Grenzkontrollen zunächst für sechs Monate

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat angeordnet, dass es ab Montag an allen deutschen Landgrenzen Grenzkontrollen geben soll, um die Zahl unerlaubter Einreisen stärker einzudämmen. Die zusätzlichen Kontrollen sollen zunächst sechs Monate andauern. Das betrifft Frankreich, Dänemark, Belgien, die Niederlande und Luxemburg. An den Grenzen zu Österreich, Polen, Tschechien und der Schweiz gibt es solche Kontrollen bereits. Sie sind im Schengen-Raum eigentlich nicht vorgesehen.

In NRW will die Bundespolizei nach eigenen Angaben ab 0 Uhr am Montag mit den Kontrollen beginnen. „Das heißt nicht, dass jeder, der die Grenze überschreitet kontrolliert wird. Es sind keine Vollkontrollen. Jeder muss sich aber darauf einstellen, dass er ohne Anlass beim Grenzübertritt kontrolliert wird“, sagte ein Sprecher der dpa. Es gebe keine stationären Kontrollstellen, das Konzept sei mobil.

NRW-Grenzen: Diese Dokumente sollten Pendler bereithalten

„Wir werden stichprobenartig, punktuell, und temporär an verschiedene Stellen aus dem fließenden Verkehr heraus Kontrollen durchführen“, so der Sprecher. Für die zusätzlichen Kontrollen seien etwa Streifenwagen, Polizeimotorräder aber auch zivile Fahrzeuge im Einsatz. Der Pendler- und Reiseverkehr solle dabei möglichst wenig beeinträchtigt werden.

Reisende sollten darauf achten, stets gültige Reisedokumente wie Personalausweis, Reisepass oder Kinderreisepass griffbereit zu haben, um Verzögerungen zu vermeiden. Wichtig: auf die Gültigkeit der Dokumente achten. Das Innenministerium betont, dass größere Staus vermieden werden sollen und die Kontrollen eng mit den Nachbarländern abgestimmt sind. Genaue Details zum Konzept nennt man bewusst nicht: „Damit sollen auch Ausweichbewegungen von Schleusern verhindert werden“, teilt das Bundesinnenministerium mit.

Herausforderung für Grenzpendler

„Wir haben uns erschrocken über die Nachricht, dass Deutschland entlang aller Bundesgrenzen verstärkte Kontrollen durchführen möchte“, sagte eine Sprecherin der Euregio Rhein-Waal. Es sei eine „schlechte Nachricht“ für die Region. Offene Grenzen hätten die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verbindungen sehr stark gefördert. Die Grenzpendler, die täglich für Arbeit, Studium oder Schule die Grenze überqueren, würden die Folgen spüren. Die Maßnahme widerspreche der Idee eines grenzenlosen Europas.

Probleme für Grenzpendler befürchtet auch der deutsch-niederländische Zweckverband Euregio Rhein-Maas-Nord. Grenzbewohner seien es gewohnt, jenseits der Grenze zu arbeiten, einzukaufen, zu tanken, ihre Familie oder einen Arzt zu besuchen, sagte ein Verbandssprecher. Sinnvoll sei daher die Wiedereinführung einer Pendlerkarte. Bereits während der Corona-Pandemie konnte diese vom Arbeitgeber ausgestellt werden, damit Grenzpendler einfach und ohne großen Kontrollen über die Grenzen kommen.

Angst vor wirtschaftlichem Schaden

Grundsätzlich müssten die Kontrollen so umgesetzt werden, dass die Rechte der Menschen im Schengen-Raum nicht beeinträchtigt würden. „Dazu gehört vor allem der freie Reiseverkehr durch die Mitgliedsstaaten“, hieß es vom Euregio Rhein-Maas-Nord. Der Tourismusverband in NRW rechnet durch die vorübergehenden Kontrollen stellenweise mit Wartezeiten, hieß es auf Nachfrage. Inwieweit sich das auf das Reise- und Freizeitverhalten insbesondere in den grenznahen Regionen auswirke, sei noch nicht absehbar.

Von der Deutsch-Niederländischen Handelskammer hieß es, dass niederländische Unternehmer die plötzliche Einführung von Grenzkontrollen komplett überrascht und in Alarmbereitschaft versetzt habe. Langwierige Kontrollen könnten sowohl niederländischen Firmen, für die Deutschland der weltweit wichtigste Exportmarkt sei, als auch deutschen Unternehmen wirtschaftlich schaden. Auch wenn nicht endgültig festgelegt sei, mit welcher Intensität die Kontrollen umgesetzt werden, würden sie den Handel Zeit und Geld kosten.

Logistikbranche: Wartezeiten und Staus

Laut Logistikverband TLN passierten täglich rund 100.000 Lastwagen die deutsch-niederländische Grenze. Jede Stunde Wartezeit koste demnach 100 Euro pro Lkw-Fahrer, so die Handelskammer. Der Verband Spedition und Logistik NRW warnte indes, dass die geplanten Grenzkontrollen zu Verzögerungen bei Lkw-Lieferungen führen könnten. Erfahrungen aus der Corona-Pandemie und der Fußball-EM hätten gezeigt, dass solche Kontrollen lange Wartezeiten und Staus verursachen können.

Da derzeit aber unklar sie, wie intensiv die Kontrollen durchgeführt würden, ließen sich die Auswirkungen auf den Güterverkehr nicht einschätzen. Es fehle an Planungssicherheit, so der Verband. Der Verband Verkehrswirtschaft und Logistik NRW erklärte, Logistik brauche offene Grenzen. „Wir sind als Branche vom freien Warenverkehr abhängig. Wenn das nicht mehr klappt, wüsste ich nicht mehr, wie wir Versorgung der Bevölkerung und Wirtschaft sicherstellen sollen“, sagte ein Sprecher des Verbands.


Ab Montag wird an allen deutschen Grenzen wieder kontrolliert, für vorerst sechs Monate. Die Bundesregierung begründet dies mit der Migrations- und Sicherheitslage. Eigentlich sind solche Kontrollen im Schengenraum nur als letztes Mittel erlaubt.

Was ist der Schengenraum?

Er gilt als eine der wichtigsten Errungenschaften in Europa: ein Zusammenschluss von Staaten, die an ihren Binnengrenzen freies Reisen ohne Passkontrollen und einen unbürokratischen Gütertransport vereinbart haben. Das Gründerabkommen unterzeichneten im Juni 1985 - also vor fast 40 Jahren - Deutschland, Frankreich und die Benelux-Staaten in dem Luxemburger Grenzort Schengen.

Wer gehört dazu?

Heute 29 Länder. Dazu gehören 25 EU-Staaten sowie Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz. Zuletzt kamen Bulgarien und Rumänien dazu. Dort sind bisher nur die Kontrollen an den Luft- und Seebinnengrenzen aufgehoben, nicht aber an den Landgrenzen.

Wann sind Kontrollen erlaubt?

Im Fall „außergewöhnlicher Umstände“ kann ein Mitgliedsland laut Schengen-Kodex wieder kontrollieren. Allerdings nur „vorübergehend“ und „als letztes Mittel“. Durch hohe Migrationszahlen, Terroranschläge und die Corona-Pandemie ist die Ausnahme jedoch zur Regel geworden. In mehr als 440 Fällen wichen die Mitgliedsländer seit 2006 von dem Grundprinzip der unbegrenzten Reisefreiheit ab, wie eine Aufstellung der EU-Kommission zeigt. Die Kommission kann die Länder ermahnen, hat aber kein Vetorecht.

Wo wird derzeit kontrolliert?

Aktuell haben acht Länder Kontrollen in Brüssel angemeldet - unter anderem Deutschland, Österreich, Italien, Frankreich, Dänemark und Schweden. Österreich begründet dies etwa mit der „irregulären Migration“ und Italien mit dem „Risiko terroristischer Aktivitäten“.

Deutschland hatte 2015 wegen der Migrationslage Kontrollen zu Österreich eingeführt. Seit Oktober 2023 gibt es solche Kontrollen auch zu Polen, Tschechien und der Schweiz und derzeit im Nachgang von Olympia noch zu Frankreich. Ab Montag weitet die Bundesregierung die Kontrollen auf alle Landgrenzen aus, also auch zu Belgien, Dänemark, Luxemburg und den Niederlanden.

Wie rechtfertigt Deutschland die neuen Kontrollen?

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) verweist in einem Schreiben an die EU-Kommission auf die Migrations- und Sicherheitslage. Die Ressourcen von Bund und Ländern zur Aufnahme und Versorgung von Geflüchteten seien „nahezu erschöpft“, schreibt Faeser. Neben „Gefahren durch den islamistischen Terrorismus“ hätten zudem „zuletzt Vorfälle von Messer- und Gewaltkriminalität durch Geflüchtete zu einer massiven Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls und des inneren Friedens geführt“.

Wie reagieren die EU-Partner?

Ungarn und Italien fühlen sich in ihrer harten Migrationspolitik bestätigt, andere kritisieren das deutsche Vorgehen scharf, etwa Polen und Griechenland. Polens Regierungschef Donald Tusk hat „dringende Konsultationen“ mit anderen deutschen Nachbarn angekündigt. Gegen irreguläre Migration seien nicht Kontrollen an den EU-Binnengrenzen nötig, sondern ein besserer Schutz von Europas Außengrenzen, sagte Tusk.

Letzteres sieht die im Mai besiegelte Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylrechts (Geas) vor. Sie wird allerdings erst Mitte 2026 wirksam. Faeser hatte bereits im Frühjahr angekündigt, sie wolle die bis dahin bestehenden Kontrollen so lange fortsetzen, „bis das neue EU-Asylsystem mit dem starken Außengrenzschutz greift“.

Wie lange dürften die deutschen Grenzkontrollen dauern?

Die neuen Kontrollen sind vorerst auf sechs Monate befristet, bis zum 15. März 2025. Sie können in begründeten Fällen auf bis zu zwei Jahre verlängert werden. Nach dem im Mai reformierten Schengen-Kodex ist es möglich, sie „in schwerwiegenden Ausnahmesituationen im Hinblick auf eine anhaltende Bedrohung“ um bis zu ein weiteres Jahr zu verlängern, also auf insgesamt drei Jahre. Die Praxis zeigt jedoch, dass Länder mit Unterbrechungen immer neue Kontrollen anmelden. (dpa, tis, afp)