Labor-Fleisch„Steaks züchten ist schwer, aber künstliche Würste könnten bald kommen“
Köln – In Singapur wird seit Ende 2020 Fleisch aus dem Labor verkauft, in Deutschland ist es noch nicht so weit. Prof. Dr. Petra Kluger ist Vizepräsidentin für Forschung der Hochschule Reutlingen und beschäftigt sich als Professorin für Tissue Engineering und Biofabrication mit der Züchtung von Zellen und Geweben. Eigentlich geht es dabei um den Aufbau menschlicher Gewebemodelle für biomedizinische Anwendungen. Seit 2018 ist die Entwicklung von Laborfleisch als zweites Standbein hinzugekommen. Im Interview spricht sie über die Zukunft von künstlichem Fleisch in Deutschland.
Frau Prof. Dr. Kluger, wie kamen Sie dazu, sich mit der Herstellung von künstlichem Fleisch zu beschäftigen?Prof. Dr. Petra Kluger: Schwerpunkt meiner Arbeit war eigentlich die Herstellung von menschlichem Fettgewebe, das bei vielen Erkrankungen eine Rolle spielt. Fleisch aus dem Labor habe ich öfter als Thema in Vorlesungen behandelt und 2018 bei einer Konferenz zum Thema „Cultured Meat“ den Eröffnungsvortrag über künstlich hergestelltes Fettgewebe gehalten. Zu dieser Zeit hat in Deutschland kaum jemand an diesem Thema gearbeitet. Das wollten wir ändern.
Wie ist aktuell der Stand der Dinge?Kluger: Fleisch produzieren wir noch nicht, aber es gibt weltweit verschiedene Start-ups, die unterschiedlich weit sind. In Singapur wurde Ende 2020 das erste Fleisch aus dem Labor zugelassen und verkauft. Weltweit betrachtet sind wir bei der Entwicklung aber noch ganz am Anfang. Es sind noch zu viele Fragen offen: Welche Zellquelle nehmen wir? Wie wird das Konstrukt aufgebaut? Wie schmeckt es? Wie ist der Nährstoffgehalt? Wir in Reutlingen beschäftigen uns vor allem damit, welche Zellen verwendet werden und wie man am meisten daraus macht.
Können Sie einmal für den Laien erklären, wie Sie künstliches Fleisch herstellen?Kluger: Wir fahren zum Bio-Metzger, der selber schlachtet, und bekommen von ihm ein Stück Fleisch, das nicht in der Ladentheke landet. Aus diesem Stück Fleisch entnehmen wir dann möglichst viele Muskel- und Fettvorläuferzellen, die in eine Zellkultur überführt werden. Anschließend werden sie mit Nährstoffen versorgt und entwickeln sich weiter.
Das können ja nur sehr kleine Mengen sein, die so entstehen, oder?Kluger: Man hat ein paar Millionen Zellen, aber das hört sich nur viel an. Um ein größeres Stück Fleisch aufzubauen, brauche ich sehr viel mehr. Wir forschen gerade daran, wie man das aus einer klassischen Zellkultur in der Petrischale in einen Prozess überführen kann, der Mengen im Industriemaßstab ermöglicht. Das ist zwar in einer Art Reaktoranlage möglich, aber nicht so einfach, weil die Zellen gewohnt sind, auf einer Unterlage zu wachsen.
Halten Sie es aus Forschersicht für realistisch, dass künstliches Fleisch bald in größeren Mengen produziert und verkauft wird?Kluger: Ja, auf jeden Fall. Es ist Entwicklungsarbeit, die noch zu tun ist, aber realistisch ist es durchaus.
Kann man mit Laborfleisch alles nachbilden oder sind größere Stücke wie zum Beispiel ein Steak schwierig?Kluger: Wir sollten uns nicht das allerschwierigste als Erstes raussuchen. Ein Steak wäre eine sehr hohe Messlatte. Dafür braucht man eine unglaublich hohe Zellzahl und die passende Struktur. Theoretisch wäre es möglich, die Frage ist nur, ob das zu einem Preis geht, den der Verbraucher akzeptiert. Es bringt mir nichts, für 1000 Dollar ein Steak zu züchten. Einfacher sind Produkte wie Hackfleisch oder Würste. Denkbar sind auch ganz neue Produkte, in denen künstliches Fleisch mit vegetarischen Bestandteilen kombiniert wird. So etwas wird sicherlich als Erstes auf den Markt kommen, weil tierische Zellen noch nicht in Massen hergestellt werden können.
Wissenswertes über Fleisch aus dem Labor
Was gibt es schon?
Im Jahre 2013 präsentierte Mark Post in den Niederlanden den ersten im Labor gezüchteten Burger (Foto rechts). Die Produktion hat 250.000 Dollar gekostet. Die Testesser fanden den Burger etwas zu trocken, aber die Aufregung war groß. Könnte in der In-vitro-Methode die Zukunft liegen? Fleisch essen, ohne dass dafür Tiere getötet werden müssen und die Umwelt leidet , schien nun möglich zu sein. Es sollte aber noch sieben Jahre dauern, bis in Singapur Ende 2020 das erste Fleisch aus dem Labor zugelassen und verkauft wurde. Das US-amerikanische Start-up „Eat Just“ brachte im Labor gezüchtetes Hähnchen in Form von Chicken-Nuggets auf den Markt (großes Foto). Die tierischen Zellen wurden mit Pflanzenproteinen vermischt, um die Kosten zu senken. Insgesamt dauerte es zwei Jahre, bis die Zulassung am 26. November 2020 erteilt wurde.
Ist künstliches Fleisch komplett vegetarisch?
Nein. Aber zumindest müssen keine Tiere dafür getötet werden. Um In-vitro-Fleisch herzustellen, braucht man tierische Stammzellen. Aus diesen Zellen werden im Labor mit Hilfe einer Nährlösung aus Zucker, Mineralien und Sauerstoff Muskelfasern, Fett und anderes Gewebe gezüchtet. Wichtig ist dabei eine konstante Temperatur, die in etwa der Körpertemperatur des jeweiligen Tieres entspricht. Die Methode zur Produktion von Zellkultur-Fleisch entspricht damit dem Züchten von Gewebe zu medizinischen Zwecken wie etwa bei der Hauttransplantation.
Steak, Burger, Nuggets: Kann man alles aus künstlichem Fleisch herstellen?
Nein, noch nicht. Die künstlichen Muskelzellen wachsen in einer einzelnen dünnen Schicht zu Muskelfasern heran. Presst man viele davon zusammen, können daraus Frikadellen, Würste oder Nuggets hergestellt werden. Ein ganzes Steak aber eher nicht. Dafür bräuchte man ein Gerüst aus Kollagenen, an denen die Zellen wachsen können.
Hat künstliches Fleisch die bessere Energiebilanz?
Das lässt sich noch nicht sagen, weil bisher noch kein Unternehmen In-vitro-Fleisch unter realen Bedingungen im industriellen Maßstab hergestellt hat. Auf jeden Fall würden die Bioreaktoren viel Strom verbrauchen. Sicher sagen lässt sich aber, dass bei der Herstellung von künstlichem Fleisch im Gegensatz zur konventionellen Tierhaltung keine Gülle das Grundwasser belastet, keine Wälder für den Futteranbau abgeholzt werden müssen und es keine Rinder gibt, die bei ihrer Verdauung klimaschädliches Methan produzieren.
Wann können wir in Deutschland damit rechnen? Was glauben Sie?Kluger: Es könnte ehrlich gesagt schneller gehen als ich es mir gedacht habe. Da in Singapur bereits künstliches Fleisch verkauft wird, könnte es bei uns theoretisch in den nächsten ein, zwei Jahren die ersten Produkte geben. Allerdings muss ein vollkommen neues Lebensmittel auch erstmal einen gewissen Zulassungsprozess durchlaufen. Das dauert.
Gibt es bisher nur in Singapur künstliches Fleisch?Kluger: Bis jetzt ja. Die Regularien dort sind streng. Wenn das Fleisch dort bestanden hat, ist das auch vielversprechend für Europa und die USA. In Amerika gibt es fast mehr Start-ups als Wissenschaftler, die sich von der akademischen Seite mit Laborfleisch beschäftigen. Daher sind viele Fragen noch nicht beleuchtet. Israel und die Niederlande sind ebenfalls dran, aber auch in Deutschland passiert einiges. Wir holen auf.
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Wie schätzen Sie die Akzeptanz in der Bevölkerung ein? Sind die Leute bereit, Fleisch aus dem Labor zu essen?Kluger: Hätten Sie mich vor fünf Jahren gefragt, hätte ich gesagt, dass zunächst Einzelne vielleicht mal probieren werden. Mehr aber nicht. Ich frage seit 2013 meine Studierenden in den Vorlesungen, wer probieren würde. Am Anfang waren es sehr wenig. In den vergangenen zwei Jahren hat sich das geändert. Insgesamt tut sich sehr viel auf diesem Feld. Vor allem bei jungen Menschen ist die Akzeptanz hoch.
Was sollte unbedingt beachtet werden, wenn künstliches Fleisch in die Läden kommt?Kluger: Es ist vor allem wichtig, dass wir nicht vorschreiben, was die Leute essen müssen. Jeder kann das frei entscheiden. Es geht darum, mit dem sogenannten Cultured Meat eine weitere Alternative zu konventionellem Fleisch, Bio-Fleisch und vegetarischen Fleischersatzprodukten zu schaffen. Was man dann am Ende essen und kaufen möchte, kann jeder Konsument ganz für sich allein entscheiden.