Warum scheint es, als ob die Zeit im Alter wie im Flug vergeht, während unsere Kindheit sich endlos erstreckte? Die Antwort liegt nicht in der Physik der Zeit.
Phänomen psychologisch erklärtWieso vergeht im Alter die Zeit schneller?
Tatsächlich haben wir das Gefühl, dass die Zeit im Alter schneller vergeht. Das hat eine Studie gezeigt, die ich zusammen mit meiner Kollegin Sandra Lehnhoff 2005 zum ersten Mal durchgeführt habe. Wir befragten 500 Probandinnen und Probanden aus Deutschland und Österreich im Alter von 14 bis 94 Jahren zu ihrem Empfinden von Zeit.
Das Ergebnis war eindeutig: Je älter die befragten Männer und Frauen waren, desto eher hatten sie das Gefühl, dass die Zeit schneller vergeht. Dieses Phänomen gilt weniger für kurze Zeiträume wie Tage oder Monate, sondern eher für längere Zeiträume wie fünf oder zehn Jahre. Bei einer Woche, einem Monat oder einem Jahr unterscheidet sich das Zeitempfinden eines 20-Jährigen kaum von dem eines 70-Jährigen. Interessanterweise wurden diese Ergebnisse in mehreren Studien sowohl in Deutschland als auch in Ländern wie Japan, den Niederlanden und Neuseeland bestätigt.
Neue Erlebnisse verlängern subjektives Zeitempfinden
Unser Zeitgefühl ist manchmal paradox: Die Zeit scheint umso langsamer zu vergehen, je mehr Ereignisse wir erleben. Ein einfaches Beispiel verdeutlicht dies: Wenn wir eine Woche in Rom verbringen und die Stadt mit all ihren Sehenswürdigkeiten zum ersten Mal erkunden, erscheint uns der Urlaub lang. Verbringen wir jedoch eine Woche zu Hause auf dem Sofa, wirken dieselben sieben Tage erstaunlich kurz. Neue und vielfältige Erfahrungen prägen unser Gedächtnis und verlängern subjektiv die Zeitdauer. Diese Erklärung lässt sich auch auf längere Lebensabschnitte anwenden.
In den ersten 20 oder 30 Jahren unseres Lebens passiert natürlich vieles und vor allem zum ersten Mal. Diese Zeit nehmen wir als besonders lang wahr. Wir kommen in die Schule, verlieben uns und führen Partnerschaften, werden langsam erwachsen, machen einen Abschluss, beginnen eine Ausbildung oder ein Studium, ziehen in die eigene Wohnung, treten den ersten Job an und werden vielleicht noch Eltern. Das alles ist aufregend, und Erinnerungen von tiefer Bedeutung sammeln sich an.
Lebensspanne zwischen 30 und 60 Jahren rauscht schneller dahin
Doch nach den vielen ersten Malen stellt sich Routine ein. Selbst wenn wir alle zwei Jahre den Arbeitsplatz wechseln, unseren Urlaub an neuen Orten verbringen, kommt die Erfahrung des Neuen, die wir in unserer Jugend gemacht haben, nicht mehr zurück. Weniger bedeutsame Ereignisse werden gespeichert, und somit beschleunigt sich die gefühlte Zeit. Deshalb rauscht die Lebensspanne zwischen 30 und 60 Jahren schneller dahin als die Pubertät und die frühen Erwachsenenjahre.
Interessanterweise gibt es Unterschiede zwischen Personen mit und ohne Kinder. Bei Eltern scheint die Zeit noch schneller zu vergehen als bei Kinderlosen. Dies könnte verschiedene Gründe haben. Vielleicht wachsen die Kinder einfach schnell heran und die Eltern verändern sich kaum, was zur Wahrnehmung einer beschleunigten Zeit führt. Vielleicht sind es auch die vielen Routinetätigkeiten im Familienalltag, die das subjektive Zeitempfinden beschleunigen. Außerdem haben die Eltern weniger Zeit für sich selbst, was auch ein Grund für die andere Wahrnehmung sein könnte.
Die gute Nachricht ist, dass wir das Gefühl der rasenden Zeit etwas verlangsamen können, indem wir bewusst neue Erfahrungen machen und unsere Erinnerungen achtsam genießen. Auch wenn wir den Alterungsprozess nicht aufhalten können, können wir zumindest die gefühlte Zeit etwas dehnen. (RND)