Erkelenz/Berlin – Die vorübergehende Reaktivierung alter Kohlekraftwerke im Rheinischen Revier wegen der Gas-Krise in Deutschland ist kein Grund, das Dorf Lützerath bei Erkelenz abzubaggern. Zu diesem Ergebnis kommt eine Kurzstudie der Coal Exit Research Group.
Es gebe keine „energiewirtschaftliche Notwendigkeit für die Inanspruchnahme weiterer Dörfer und Höfe am Tagebau Garzweiler II“, heißt es in einer Erklärung der Gruppe, zu der sich Wissenschaftler der Europa-Universität Flensburg, der Technischen Universität Berlin und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zusammengeschlossen haben. Eine Genehmigung von Abbauflächen, die über den geltenden Hauptbetriebsplan hinausgehen, sei daher auch energiewirtschaftlich nicht zu rechtfertigen.
Wissenschaftler: 271 Millionen Tonnen Braunkohle reichen
Die Wissenschaftler haben die Auswirkung der angekündigten Reaktivierung von Kohlekraftwerken sowie staatliche Pläne etwa für den Ausbau der erneuerbaren Energien und zum Kohleausstieg untersucht.
Danach werden bis zum Ende der Kohleförderung in NRW noch maximal 271 Millionen Tonnen Braunkohle aus den Tagebauen Hambach und Garzweiler II gebraucht. „Dem gegenüber sind noch 300 Millionen Tonnen in den aktuell genehmigten Bereichen beider Tagebaue förderbar, ohne dass Lützerath zerstört werden muss“, erklärten die Forscher.
Erst Ende Juni hat die RWE Power AG im Braunkohlenausschuss der Bezirksregierung Köln erklärt, man werde auf das Abbaugebiet Lützerath nicht verzichten.
Im September muss der letzte verbliebene Landwirt Eckardt Heukamp seinen Hof verlassen. Nach der Niederlage vor dem Oberverwaltungsgericht Münster Ende März hatte er nach jahrelangem Widerstand aufgegeben an RWE verkauft.
RWE hat neuen Betriebsplan bereits beantragt
Danach soll mit dem Abbruch der noch bestehenden Gebäude begonnen werden. Zum 1. Januar 2023 hat RWE den Antrag auf einen neuen Hauptbetriebsplan gestellt, der nach Einschätzung des Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) „weit über die aktuell geltenden Abbauflächen“ des bisher gültigen Hauptbetriebsplans hinausgehen soll. Ohne diesen neuen Plan stünde der Bergbau still.
Die schwarz-grüne Landesregierung und vor allem das von der Grünen-Politikerin Mona Neubaur geführte Wirtschaftsministerium gerät durch die Studie unter Druck. Im Koalitionsvertrag von CDU und Grünen ist der vorgezogene Kohleausstieg für Nordrhein-Westfalen bis 2030 festgeschrieben. Die neue Landesregierung will eine neue Leitentscheidung – das wäre dann die fünfte – erarbeiten, um dieses Ziel zu erreichen.
Das Wirtschaftsministerium betonte auf Anfrage erneut, dass es trotz der Gaskrise beim Kohleausstieg 2030 bleibe und deshalb die „rechtlichen und finanziellen Grundlagen auf Bundesebene zügig angepasst werden müssen.“
Neubaur: Flächenbedarf auf ein Minimum begrenzen
Zwar habe RWE das Recht, alle Flächen innerhalb des derzeit genehmigten Bereichs in Anspruch zu nehmen, dennoch „soll die Tagebauführung so angepasst werden, dass der weitere Flächenbedarf auf ein Minimum begrenzt wird. Hierbei wird zu klären sein, wie hoch der Bedarf an Kohle aus den Tagebauen ist, damit die Energieversorgungssicherheit gewährleistet wird und auch die Deckung der Massenbedarfe für die Rekultivierung der Tagebaulandschaft sichergestellt ist. Die Studie der CoalExit Research Group wird dabei ebenso betrachtet wie andere, unabhängige Gutachten und Daten, beispielsweise aus dem zweiten Stresstest der Bundesregierung für die Stromversorgung.“
Aus Sicht von RWE gibt es zu Lützerath keinen neuen Stand, so der Konzern auf Anfrage. „Bereits vor dem Ukraine-Krieg hatten die Gerichte entschieden. Ende März hatte das OVG Münster die Inanspruchnahme des ehemaligen Dorfes rechtskräftig bestätigt. Damit verfügt RWE über alle Genehmigungen zur planmäßigen Fortführung des Tagebaus Garzweiler im Rahmen der geltenden Gesetzeslage.“
Dirk Jansen, NRW-Geschäftsleiter des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) erwartet von Wirtschaftsministerin Neubaur klare Entscheidungen zugunsten des Klimaschutzes. „Alle weiteren Tagebaugenehmigungen müssen auf das neue Kohleausstiegsdatum 2030 und ein klimaneutrales NRW ausgerichtet werden“, sagt Jansen.
Damit sei aber klar, dass der der neue Hauptbetriebsplan so nicht zugelassen werden dürfe. „Die bergrechtliche Genehmigung muss auf die bisherige Abbaufläche unter Aussparung von Lützerath beschränkt werden. Alles andere widerspräche auch den Festlegungen im Koalitionsvertrag.“
Es sei eine „glatte Lüge, wenn RWE behauptet, dass die Kohle unter Lützerath dringend benötigt wird“, sagte Alexandra Brüne, Sprecherin der Initiative „Alle Dörfer bleiben“.