- Die Gesellschaft scheint zu zerfallen in Impfwillige, Impfskeptiker, Impfsnobs und Impfdrängler.
- Hinzu kommt mit Astrazeneca ein Impfstoff, der sich aufgrund einer vermeintlich geringeren Immunisierung zum Ladenhüter entwickelt.
- Helfen könnten nun Kölner Programmierer.
Köln – Die Pandemie, da sind sich Wissenschaft und Politik einig, lässt sich nur durch flächendeckendes Impfen bekämpfen. Erst dann kann auch wieder sorgenfrei gelockert werden, können Menschen wieder in Cafés sitzen oder sich auf Konzerten den Kopf freitanzen. All das bleibt zumindest vorerst nicht mehr als ein schöner Traum.
Das Land befindet sich inzwischen in einer absurden Lage. Es gibt Menschen, die geimpft werden wollen, aber noch nicht an der Reihe sind. Und viele, die laut Priorisierung den Piks bekommen dürften, aber gar nicht wollen. Hinzu kommt mit Astrazeneca ein Impfstoff, der sich aufgrund einer vermeintlich geringeren Immunisierung zum Ladenhüter entwickelt. In der Politik wächst das Unverständnis über die Haltung der eigenen Bevölkerung. Sogar der Bundespräsident hat sich nun eingeschaltet. Er habe „nur wenig Verständnis für die Zurückhaltung gegenüber dem einen oder dem anderen Impfstoff“, sagte Frank-Walter Steinmeier. Das sei ein ziemliches „Luxusproblem“.
Massenimmunisierung bislang ein Rohrkrepierer
Die Massenimmunisierung ist bislang eher ein Rohrkrepierer. Gerade mal knapp 4,5 Prozent der NRW-Bevölkerung ist geimpft. Die Gesellschaft scheint zu zerfallen in Impfwillige, Impfskeptiker, Impfsnobs und Impfvordrängler. Besonders letztere Gruppe hat zuletzt das Vertrauen in einen gerechten Ablauf der Kampagne erschüttert.
Einer zog nun die Konsequenzen. Der FDP-Landtagsabgeordnete Ralph Bombis, Leiter dreier Seniorenpflegeheime, hat am Donnerstag sämtliche Parteiämter niedergelegt. Der Politiker und eine bislang nicht bekannte Anzahl weiterer Personen aus seinem engsten Umfeld hatten sich entgegen der vorgegebenen Reihenfolge vorzeitig impfen lassen. Bombis zeigt sich reumütig: „Ich bitte noch einmal bei allen, die ich durch mein Verhalten verletzt habe, um Entschuldigung.“ Die Bundesregierung sieht sich offenbar gezwungen, dem Auswuchs etwas entgegenzusetzen. Abschrecken soll künftig eine gesetzlich verankerte Geldbuße in Höhe von 25 000 Euro.
Astrazeneca ist zum großen Problem der Politik geworden
Doch rein zahlenmäßig betrachtet ist das Problem mit denen, die sich nicht an die Reihenfolge halten, viel kleiner als das mit denen, die sich aussuchen möchten, welchen Stoff sie bekommen. Zum größten Problem der Politik ist das Vakzin der Marke Astrazeneca geworden. Das Image des Produkts ist mittlerweile derart ramponiert, dass immer weniger Menschen das Präparat in Anspruch nehmen wollen. Die Auswirkungen sind längst messbar: Von den 7844 Dosen, die etwa dem Kölner Impfzentrum für Februar zur Verfügung stehen, wurden bislang nur 3100 Dosen abgerufen. Laut Stadt werden von den täglich 500 möglichen Astrazeneca-Terminen im Schnitt 100 abgesagt oder verschoben. „Wir bauen dadurch sukzessive Überkapazitäten auf, die wir mit der Zeit immer schwieriger abarbeiten können“, so Christian Miller, Leiter der Berufsfeuerwehr.
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Grund für die Zurückhaltung sind Berichte darüber, dass die Immunisierung durch Astrazeneca nur zu 70 Prozent wirksam sein soll. Der vergleichsweise niedrige Wert sei aber nur aufgrund eines speziellen Studien-Designs zustande gekommen, sagt der Kölner Infektiologe Gerd Fätkenheuer: „Wurden in der Biontech-Studie nur Infektionen untersucht, die von Probanden selbst erkannt wurden, suchte man bei Astrazeneca gezielt nach zunächst unerkannten Infektionen.“ Demnach wären einige Infektionen unter den Probanden, die mit Astrazeneca geimpft wurden, in anderen Phase-III-Studien – etwa der von Biontech – nicht erfasst worden. Angesichts der durchweg überzeugenden Daten zur Verhinderung von schweren Verläufen und Todesfällen sieht Fätkenheuer alle zugelassenen Impfstoffe auf Augenhöhe.
Auch die NRW-Landesregierung wurde von der Impfzurückhaltung kalt erwischt
Wie sämtliche Bundesländer wurde auch die NRW-Landesregierung von der Impfzurückhaltung kalt erwischt. Inzwischen hat Düsseldorf reagiert und angekündigt, Lehrer und Erzieherinnen in der Impfreihenfolge vorzuziehen. Allerdings passte auch das nicht allen. Der deutsche Ethikrat machte deutlich, dass er von einer Veränderung nichts hält. Schließlich gebe es andere Gruppen, die ein deutlich höheres Risiko hätten, schwer zu erkranken oder zu sterben. Der Regensburger Staats- und Gesundheitsrechtler Thorsten Kingreen sagte dieser Zeitung: "Diskussionen über eine höhere Priorisierung der einen oder anderen Berufsgruppe hätten wir im vorigen Jahr führen müssen. Jetzt ist es zu spät. Denn es ist für das Vertrauen in die Impfgerechtigkeit nicht besonders günstig, wenn jede Woche eine andere Gruppe mit mehr oder weniger guten Gründen fordert, vorrangig geimpft werden zu müssen."
Ein weiteres Problem ist die Vermittlung von Impfresten. Bislang sei zwar noch keine Dosis verfallen, so ein Sprecher der Stadt Köln. Die Reste seien allesamt entsprechend der Impfverordnung an Personen der Priorität eins verimpft worden. Personen für spontane Termine zu bekommen, bedeutet für die meisten Impfzentren allerdings einen hohen Aufwand. Nach Schließung der Zentren müssen die Mitarbeiter die Listen der entsprechend priorisierten Gruppen durchgehen, anrufen und darauf hoffen, jemanden zu erreichen. Auf digitale Lösungen von der Landesregierung muss man nicht hoffen. Vom Gesundheitsministerium heißt es auf die Frage nach automatisierten Systemen: „Die Entscheidung darüber obliegt der koordinierenden Einheit vor Ort.“
Eine Gruppe freiberuflicher Programmierer aus Köln könnte Abhilfe schaffen. Die fünf Männer haben in Eigeninitiative ein Programm entwickelt, das den Prozess der Vermittlung von Impfresten vollautomatisiert. Die Personen werden per Zufallsgenerator ausgewählt und per SMS kontaktiert. In einem Pilotprojekt im Duisburger Impfzentrum wird die „Impfbrücke“ derzeit getestet. Die Stadt zeigt sich angetan. „Die Idee ist wirklich gut. Das Programm hilft uns sehr dabei, übrig gebliebene Dosen schnell und noch am selben Tag zu verimpfen“, heißt es von Seiten der Stadt. Das Lotterieprinzip gewährleiste zudem Impfgerechtigkeit. „Niemand kann uns unterstellen, dass wir jemanden bevorzugen.“