43 Prozent weniger Bäder152.000 Schüler in NRW können nicht schwimmen
Köln – Schon vor der Corona-Pandemie waren Wartelisten für Schwimmkurse lang. Nach zwei Jahren mit geschlossenen Bädern hat sich die Situation weiter verschärft: Eltern müssen mittlerweile mit einer Wartezeit von drei statt ein oder zwei Jahren rechnen, Plätze sind nach Minuten komplett ausgebucht. Und auch das Schulschwimmen konnte nicht stattfinden. Die Konsequenz: etliche Nichtschwimmerinnen und Nichtschwimmer an weiterführenden Schulen, die jetzt ohne zusätzliche Förderung vielleicht nie schwimmen lernen.
Nur etwa 40 Prozent der Grundschülerinnen und Grundschüler im Alter von zehn Jahren konnten 2017 sicher schwimmen, hatten also mindestens ein Freischwimmer- oder Bronze-Abzeichen erfolgreich absolviert. Das ergab eine Forsa-Umfrage im Auftrag der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG). „Aktuelle Zahlen würden aufgrund der Auswirkungen der Pandemie sicherlich ein noch düsteres Bild zeichnen“, meint Dirk Zamiara von der DLRG Nordrhein. Der Generalsekretär des Schwimmverbands NRW, Frank Rabe, bezifferte die Zahl der Nichtschwimmer in NRW für das Schuljahr 2020/21 aufgrund der Pandemie auf etwa 152.000. Um nur auf den Stand von vor Corona zu kommen, seien 7000 zusätzliche Angebote nötig. Dafür fehle es aber an Ausbildenden und Wasserflächen.
43 Prozent weniger geeignete Bäder als 2002
Gegenüber 2002 stehen in NRW für die Schwimmausbildung und den Schwimmsport 43 Prozent weniger geeignete Bäder zur Verfügung. So können Schwimmvereine nicht mehr Kurse anbieten und die Fahrtwege von Schulen sind teils sehr lang, wodurch die Wasserzeit kürzer wird. Mindestens eine Wochenstunde Schwimmunterricht für die Dauer eines ganzen Schuljahrs – das schreibt das Schulministerium den Grundschulen vor. Nur entspricht die Vorschrift selten der Realität. Neben der schrumpfenden Wasserflächen schränkt auch der Mangel an ausgebildeten Lehrkräften den Schwimmunterricht ein. Fällt ein Lehrer krankheitsbedingt aus, ist ein Ersatz nur schwer zu finden.
Und auch die vorhandenen Lehrkräfte für den Schwimmunterricht seien oft nur unzureichend ausgebildet, das findet jedenfalls Ilka Staub von der Deutschen Sporthochschule Köln. Sportunterricht wird an Grundschulen häufig von fachfremden Lehrkräften unterrichtet. Seit 2015 ist dafür eine Qualifikationserweiterung und alle vier Jahre der Nachweis der Rettungsfähigkeit notwendig. Aber: Lehrkräfte, die vor 2015 fachfremd Sport unterrichtet haben, dürfen weiter ohne zusätzliche Schulung unterrichten.
Sporthochschule spricht von dramatischen Zuständen
„Dramatisch“, findet Ilka Staub, denn Schulklassen sind heterogen. Während der eine Schüler sich noch nicht traut, unterzutauchen, kann eine andere Schülerin schon Brustschwimmen. „Eine Lehrkraft muss imstande sein, den Unterricht für alle diese Belange zu strukturieren, das ist hochgradig anspruchsvoll“, sagt Staub. Dafür sei auch die Qualifikationserweiterung kaum ausreichend.
Das Problem ist kein neues, aber auch keines, das schnell gelöst werden könnte. Die notwendige Investition in Bäder stellt ein Mammut-Projekt dar. Expertinnen und Experten fordern deshalb auch kurzfristige und mittelfristige Lösungen, um den Nichtschwimmer-Trend abzuwenden.
Pandemie kam Aktionsplan in die Quere
Dafür ist grundsätzlich auch die Landesregierung offen: 2019 startete der Aktionsplan „Schwimmen lernen in Nordrhein-Westfalen 2019-2022“ vom Schulministerium. Passiert ist in der Zeit aufgrund der Pandemie aber nicht so viel wie geplant.
Zwei zentrale Maßnahmen waren zum Beispiel die Schulschwimmwochen und das Programm „NRW kann schwimmen“, das außerschulische Kurse anbietet. Die Schulschwimmwochen fielen 2020 coronabedingt ganz aus, die außerschulischen Kurse fanden statt, aber nur in sehr geringer Zahl, 2020 waren es insgesamt 272. Fast so viele Kurse (265) konnten dafür 2022 allein in den Osterferien durchgeführt werden. Für beides wurde die Fördersumme angehoben und das Schulministerium gab kürzlich bekannt, den Aktionsplan fortführen zu wollen – für die Projekte soll auch Geld im Haushalt des Landes für das Jahr 2023 angemeldet werden.
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Damit diese zusätzlichen Kurse stattfinden können, braucht es aber eine effiziente Wasserflächen-Planung. „Freizeiten, bei denen 20 Minuten das Becken leer steht, können wir uns nicht mehr leisten“, sagt Ilka Staub. Kommunen müssten die Wasserzeiten möglichst effizient verteilen. In Köln beobachte Staub beispielsweise, dass Aqua-Fitness-Kurse für Senioren häufig nachmittags stattfinden. Eigentlich sei dann aber eine gute Zeit für Kinder-Schwimmkurse. Staub schlägt auch vor, dass in der Mittagspause Schwimm-Förder-AGs geplant werden. Hier könnten die Kinder, die noch besonders viel Hilfe brauchen, unterstützt werden.
Pool-LKWs in Köln
Außerdem planen manche Kommunen für den Schwimmunterricht jetzt mit Containern. Köln denkt sogar darüber nach, einen Pool-LKW einzusetzen. Der könnte dann von Schule zu Schule fahren.