Ausverkaufte DamensitzungWarum die Hölle von Vettweiß so erfolgreich ist
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Vettweiß überwältigt erneut mit einem XXL-Vorverkaufserlebnis.
Alle Damensitzungen sowie der karnevalistische Männerstammtisch im Festzelt in Vettweiß waren innerhalb von 120 Sekunden ausverkauft.
Autor Stefan Lieser gibt Einblicke.
Vettweiß – Eine Woche lang ist im 2900-Einwohner-Ort Vettweiß, keine zehn Kilometer von der Kreisgrenze entfernt, die Hölle los. Täglich ab 13 Uhr. Die „Hölle von Vettweiß“, in diesem Jahr noch bis zum Freitag – das sind vor allem fünf Mädchensitzungen mit insgesamt 8500 Jecken.
Es ist kurz vor 13 Uhr an diesem Dienstag. Die Sonne scheint, ein böiger Wind weht ums Bördedorf. Hier, neben der Hauptschule, bildet sich in Minutenschnelle Ungewohntes für einen Wochentag: eine lange Warteschlange bunt kostümierter Frauen vor einem großen Festzelt. Alle wollen in die Hölle.
Fünf Damensitzungen in 120 Sekunden ausverkauft
„Wir haben Glück gehabt“, sagt Julia Zens aus Kreuzau. Ihre Clique hat wieder Karten bekommen, die Bestellbeauftragte ist in zwei Minuten Anfang Februar vergangenen Jahres unter den Auserwählten gewesen. 120 Sekunden – und alle fünf Damensitzungen sowie der karnevalistische Männerstammtisch zwischen dem 10. und 18. Januar im 1700 Plätze fassenden Festzelt sind ausverkauft. Weitere 8500 Frauen und 850 Männer sind auf den nächsten Versuch für 2021 vertröstet worden. Das sind Vorverkaufserlebnisse, die sonst vielleicht die Fans von Rammstein, Helene Fischer oder des Wiener Opernballs haben.
„Hier ist es so toll, weil hier eben alle mit Herz und Fröhlichkeit feiern. Wir können albern sein wie die Kinder“, sagt Julia Zens. Sie und ihre Freundinnen tragen pinke Accessoires wie Federn oder Tüll im Kostüm, was Jenny Kreitz von der KG Vettweiß fachfraulich als einen Kostümtrend für die Session ausmacht. Bei an die 10 000 Jecken an sieben Tagen hat man ein Gefühl dafür, was des Narrenvolkes Meinung ist: „Als die Krümelmonster in waren, haben wir die hier auch als Erste gesehen.“
Die „Vorhölle"
Wer die Taschenkontrolle passiert und im Tausch mit der Eintrittskarte sein Besucher-Bändchen bekommen hat, betritt ein Vorzelt, das den meisten Dorfkarnevalsvereinen ob seiner Größe als Hauptaktionsort reichen würde. In der „Vorhölle“ mit Garderobe und Catering halten sich auch an diesem friedlichen Dienstag die KG-Honoratioren, „Die Weißröcke“, am liebsten auf. Peter Eversheim ist KG-Vorsitzender: „Wenn Sie den Frohsinn mögen und gerne mit anderen feiern, sind Sie in der Hölle eben genau richtig.“ Dem stimmen Besucherinnen bis aus Hunsrück, Taunus oder Münsterland seit Jahren begeistert zu.
Eine Ecke weiter, am 18er-Tisch Nummer 66 vor der Empore mit Beleuchter- und Soundmix-Podium im festlich geschmückten Zelt macht es sich eine Gruppe aus Euskirchen, Zülpich, Bad Münstereifel, Rheinbach und Lommersum gemütlich. „Wir haben Herzhaftes, und Süßes, Gesundes und Ungesundes dabei“, erklärt Tina Bungardt das Tagesprogramm an ausgewogener Ernährung.
Auf der Empore haben zehn Dürenerinnen Frikadellen, Pizzaschnecken, Salamiwürstchen, Baguette, Gouda und Krapfen aufgetischt. Das Mitbringen von Speisen ist erlaubt – doch ob die Damen zum Verzehr kommen, ist mit zunehmend steigendem Stimmungspegel wohl eher fraglich.
Dramaturgie der Bandauftritte muss stimmen
Dafür verantwortlich sind KG-Literat Marcus Maubach und Künstleragentin Julia Uebel. „Die Dramaturgie der Bandauftritte muss stimmen. Das soll sich kontinuierlich aufbauen, von Höhepunkt zu Höhepunkt“, so Uebel. Auch deshalb sind an jedem Höllen-Tage mindestens drei Top-Bands des Kölner Karnevals vor Ort: Brings, Höhner, Kasalla, Cat Ballou, Bläck Fööss, Paveier, Räuber. Hit- und Stimmungsgarantie sind so im Kartenpreis enthalten. Dazu kommen Gardeauftritte der KG und aus Köln. „Ehrengarde und Altstädter kommen 2021. Dann hatten wir sie alle hier“, so Literat Maubach.
„Ach, ist das herrlich hier. Hier fühle ich mich immer von den Frauen wie auf die Bühne getragen. Ich könnt’ kaputtgehen vor Freude!“ Marita Köllner strahlt. „Et fussich Julche“ ist vor dem großen Block mit Domstürmer, Räuber, Paveier und Brings dran. Noch ist Zeit für ein Gruppenfoto mit einer Hippies-Clique aus Düren. Es wirkt auch später am Tag, etwa bei Musikern wie Peter Brings oder Micky Nauber, wie ein Familienfoto oder das Wiedersehen alter Freunde.
Köllner soll es sein, die den Begriff „Die Hölle von Vettweiß“ einst in die Welt gesetzt hat. Die Domstürmer, so Sänger Micky Nauber, haben ihn Anfang der 2000er-Jahre aufgegriffen und in einen ihrer Hits eingebaut: „Is dat he Hollywood – nee, die Hölle von Vettweiß!“ Natürlich ist das Lied sofort zur Höllen-Hymne geworden. Doch Nauber hat wenig Zeit für solche Feinheiten. Er muss, wie alle Musiker, wenn sie vom Hauptzelteingang zur Bühne wollen, alternativlos durch den 70 Meter langen Tunnel, den die jecken Frauen auf beiden Seiten des Mittelgangs mit ihren Armen bilden.
Nichts für Untrainierte
„Das ist nichts für Untrainierte, so im Bückgang“, grinst Claus Mundt. Der Mann für den Sound aus der 55 000 Watt-Anlage und mit Blick aufs Mischpult fürs Bühnenlicht macht den Job seit 26 Jahren. Andere packen mit an beim morgendlichen Zelt-Dienst, wenn in der Höllen-Woche aufgeräumt und geschrubbt werden muss, bei der Einlasskontrolle neben der Zelt-Security, vor allem aber zuvor in den Tagen beim Zeltaufbau. „Da waren es täglich ab 16 Uhr bis zu 40 Mann“, berichtet KG-Geschäftsführer Jürgen Ruskowski erfreut. Ganz Vettweiß, so scheint es, baut an seiner Hölle mit. Die meisten denken wohl wie der Sound-Spezialist, für den es „eine Ehre ist, dabei zu sein“.
Mit ehrenamtlichem Engagement bereiten die rührigen KG-Leute und ihre Helfer den Boden für die Partys. Die feiern sie alle – von den neun „Ikea-Funken“ aus Nideggen in gelb-blauen Plastik-T-Shirts des Möbelhauses, über die „Beer Bitches“ Heidi und Melanie aus Kerpen mit ihren mit kleinen Figuren und Accessoires vollgepackten, LED-beleuchteten pinken Fantasiekopfbedeckungen bis hin zu Rebecca aus Düren, eines von zehn „Candy Girls“, die sich ebenfalls für ihren Kopfschmuck aus Süßem und Gebäck „ein paar Stunden“ Zeit genommen hat: „Es soll ja auch schön aussehen.“
Und dann stimmt die angekündigte Dramaturgie: bei den Räubern, den Paveiern, danach bei Brings. Die Bands rocken in jeweils knapp 30 Minuten das Zelt. Der Bohlenboden vibriert von 1700 tanzenden und klatschenden jecken Frauen. Nach dem Brings-Auftritt sackt die Stimmung im Hexenkessel ab. Erste jecke Frauen machen sich auf den Heimweg oder suchen ihr „Männertaxi“. Im Festzelt sorgen schließlich Klüngelköpp, Miljö und die Männer-Showtanzgruppe „Fauth Dance Gentleman“ aus Viersen fürs stimmungsmäßige Nachglühen in der Hölle von Vettweiß.
Dieses Motto hat sich die KG nebenbei seit Jahresbeginn fürs Merchandising schützen lassen. So gibt es den Spruch demnächst vielleicht auf Kühlschrankmagneten, Kaffeebechern oder Schals. Fehlt noch die Anmeldung fürs immaterielle Weltkulturerbe. Aber das war jetzt nicht ernst gemeint. Noch nicht.
Der Vorverkauffür die Sitzungen 2021 in Vettweiß beginnt am 1. Februar um 9 Uhr. Kartenbestellungen sind dann nur online möglich.