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Bomberabsturz bei ArloffKurz vor Weihnachten 1943 verlor Dafydd Williams sein Leben

Lesezeit 5 Minuten
Mike Williams steht vor den Gräbern britischer Soldaten.

Mike Williams am Grab seines Onkels.

Anfang des Jahres entdeckte eine Waliserin in einem Schuhkarton ein Schreiben über den Tod ihres Onkels im Zweiten Weltkrieg bei Arloff.

Es klingt ein wenig wie aus einem Hollywood-Film. In einem Karton, der über die Jahre hinweg nie beachtet wurde, findet man einen Brief und wird in die Vergangenheit versetzt. Jane Raw-Rees, die in der walisischen Küstenstadt Aberystwyth lebt, passierte genau das.

Sie entdeckte um den Jahreswechsel herum in einem Schuhkarton ein Schreiben des britischen Luftfahrtministeriums vom 6. Mai 1944, adressiert an ihre Großmutter Lydia Williams. Deren Sohn David (auf Walisisch: Dafydd), Raw-Rees' Onkel, habe am 20. Dezember 1943 sein Leben verloren und liege auf dem Friedhof in Kirspenich begraben. Damit war für die Familie gewiss, wovor sie sich seit dem 31. Januar 1944, als das Verteidigungsministerium einen Brief gesandt hatte, in dem stand, dass Williams' Verbleib unklar sei, fürchtete: Dafydd Williams war im Zweiten Weltkrieg in Deutschland gefallen.

Dafydd Williams war Funker im abgeschossenen Halifax-B-II-Bomber

Der 29-jährige Flight Sergeant war als Funker eines von sieben Besatzungsmitgliedern eines Halifax-B-II-Bombers, der am 20. Dezember 1943 um 17.01 Uhr die nordwestenglische Stadt Pocklington mit dem Ziel Frankfurt verlassen hatte. Bereits in den Monaten zuvor hatte die Bomberstaffel 102 die Städte Kassel, Düsseldorf, Cannes, Leverkusen, Berlin und schon einmal Frankfurt angegriffen.

Eine Porträtaufnahme von Dafydd Williams.

Ein Waliser in Diensten der Royal Air Force: Dafydd Williams starb kurz vor Weihnachten 1943 in Kirspenich.

Diesmal bestand der Verbund aus 650 Flugzeugen, von denen 609 ihre Mission erfüllten. 41 kehrten jedoch nicht zurück. Die Halifax mit der Seriennummer JD467, die vom 22-jährigen Robert Fiddes gesteuert wurde und in der sich Williams befand, war eine davon. Sie war von einem Nachtjäger, gesteuert von Oberleutnant Ludwig Meister, abgeschossen worden. Laut Unterlagen war es dessen 17. Abschuss.

Brennender Bomber stürzte zwischen Iversheim und Steinbachtalsperre ab

Die Halifax stürzte nach britischen Geheimdienstinformationen vermutlich zwischen 22 und 23 Uhr im Arloffer Wald, auf halber Strecke zwischen Iversheim und der Steinbachtalsperre, ab. „Einer dieser Bomber sauste brennend, tieffliegend über uns hinweg u. landete im Walde. 5 tote eng Flieger, davon 2 verkohlt, fand man am 21.12.43 neben ihrem ausgebrannten Flugzeug im Walde, in der Nähe der Jagdhütte, auf der Grenze Arloff-Kirchheim. Ein abgesprungener Flieger wurde zwischen Mahlberg u. Rodert, ein anderer be Aachen gefangen genommen“, heißt es im Buch „Die Geschichte Arloff-Kirspenichs von 1914 bis 1953“, zusammengestellt von Friedel Jülich.

Die walisische Flagge liegt auf dem Grab von Dafydd Williams.

Auf dem Soldatenfriedhof in Rheinberg befindet sich das Grab von Dafydd Williams. Die Flagge hat sein Neffe abgelegt.

In der Tat: Fünf der sieben Besatzungsmitglieder (laut Unterlagen der Pilot Robert Fiddes, Funker David Williams, Bombenschütze Kenneth Dunger, Navigator Robert Hoynes und Techniker Henry Kitchener) starben beim Absturz, Alan Adams und Alexander Currie wurden wohl noch am 20. Dezember gefangen genommen. Bekannt ist, dass sie später Kriegsgefangene im Stammlager IV B in Mühlberg/Elbe (Brandenburg) waren, in dem einer der beiden angeblich am 6. Mai 1945 umgekommen sein soll.

Fünf Tote aus dem Flugzeug wurden zunächst in Kirspenich beigesetzt

Die fünf Toten wurden durch den örtlichen Priester am 22. Dezember 1943 zunächst in Kirspenich beigesetzt. Dafydd Williams' Ruhestätte befand sich laut britischem Luftfahrtministerium in „Grab Nummer zwei, an der nordwestlichen Ecke direkt an der Mauer, in den vier letzten Gruppen vom Friedhofseingang aus gesehen“, wie es der Ex-Journalist Stefan Woll aus Berlin übersetzt hat.

Woll ist mit dem bei Wellington in Neuseeland lebenden Lehrer Mike Williams befreundet, dem Neffen des abgestürzten Funkers. Gemeinsam besuchten sie Anfang des Jahres die tatsächlich letzte Ruhestätte von Dafydd Williams in der Kriegsgräberstätte Rheinberg War Cemetary (Kreis Wesel), in die die fünf im Arloffer Wald abgestürzten Insassen der Halifax vermutlich im Mai 1947 nach ihre Exhumierung verlegt worden waren. Lydia Williams erfährt erst im November 1948 davon, dass ihr Sohn nicht mehr in Kirspenich beerdigt ist. 3334 Soldaten wurden in Rheinberg beigesetzt, der überwiegende Teil sind Briten.

Am Grab des Onkels sang Mike Williams „Hen Wlad Fy Nhadau“

Mike Williams, dem man laut Stefan Woll nachsagt, dass er seinem Onkel sehr ähnlich sei, erwies dem Verwandten die letzte Ehre. Er legte eine walisische Fahne auf dem Grab ab und sang die Nationalhymne „Hen Wlad Fy Nhadau“ (dt.: „Altes Land meiner Väter“). „They Never Fail Who Die in Great Cause“ (dt.: „Wer für einen guten Zweck stirbt, scheitert nie“) steht auf dem Grabstein, ebenso Name, Dienstgrad, Funktion, Sterbetag und Alter.

Eine Reihe von Soldatengräbern auf dem Kirspenicher Friedhof.

Auf dem Kirspenicher Friedhof, hier symbolisch die Gräber deutscher Kriegsgefallener, war Dafydd Williams beerdigt worden.

Williams bringt aktuell sein Leben zu Papier. „Woher komme ich, wie bin ich aufgewachsen?“, seien laut Woll entscheidende Fragen. Doch einige Puzzleteile, etwa über den Verbleib seines Onkels Dafydd und dessen Schicksal, fehlten lange Zeit – bis eben der Schuhkarton auftauchte.

Mike Williams und Stefan Woll beschäftigen viele offene Fragen

In ihren Recherchen haben Stefan Woll und Mike Williams Lücken aufgetan. So war die Absturzstelle zunächst unklar. Es wird behauptet, dass der Flieger auf einem Feld zwischen Kirspenich und Kirchheim havariert sei. Das Flugzeug soll sich auf einem Bauernhofgelände befunden haben und sei, weil die Kommunikation noch funktionierte, mit Stacheldraht abgeschirmt worden. Auch der Arloffer Ortshistoriker Robert Zimmermann kennt diese Geschichte.

Laut Frank Güth von der Arbeitsgemeinschaft Luftkriegsgeschichte Rhein/Mosel könnte es sich dabei aber um eine Verwechslung handeln, denn am 24. Februar 1945 war bei Kirspenich auch ein US-amerikanischer B-26-Bomber abgestürzt, die sechs Insassen starben. Die Absturzstelle der Halifax sei definitiv der Arloffer Wald. „Das ist in diesem Fall klar zuzuordnen“, so Güth.

Ein Porträtbild von Jane Raw-Rees.

Fand den Schuhkarton: Jane Raw-Rees.

Unklar ist auch der Zustand der Insassen. Während in Friedel Jülichs Arloffer Chronik eben von zwei verkohlten Leichen die Rede ist, haben Woll und Williams die Information, dass die Toten „not damaged“, also unversehrt gewesen seien. Daraus schließen die beiden, dass die fünf Crewmitglieder offenbar schon in der Luft getötet wurden.

Auf einer gefundenen Rettungsweste war Mae West abgebildet

Nach Recherchen von Woll und Williams gebe es in der Auswertestelle West in Oberursel eine Quittung vom 28. Dezember 1943 über 1000 französische Francs, 350 belgische Franc, 250 niederländische Gulden und ein paar englische Schilling. „Wer hatte das Geld bei sich?“, fragt sich Stefan Woll. Es sollen an der Absturzstelle auch ein zerbrochenes Uhrarmband, Fotografien, eine Funker-Urkunde sowie eine Mae-West-Rettungsweste gefunden worden sein. „Wurde das bei Dafydd und den anderen gefunden?“, fragt sich Woll.

Der Berliner und der Neuseeländer würden sich freuen, wenn die Bevölkerung von Arloff und Kirspenich Hinweise zur Lösung des Puzzles beisteuern könnte. Auch wenn es immer unwahrscheinlicher wird, gebe es vielleicht noch Augenzeugen oder Aufzeichnungen wie Tagebücher, in denen der Absturz dokumentiert wurde. „Jetzt schon ein aufrichtiges und herzliches Dankeschön an alle, die bereit sind, Licht ins Dunkel zu bringen“, sagt Stefan Woll, der per E-Mail erreichbar ist.

Dank an Heike Pütz (Kreisarchiv), Frank Güth (Arbeitsgemeinschaft Luftkriegsgeschichte Rhein/Mosel), Friedel Jülich und Robert Zimmermann (beide Arloff) sowie Stefan Woll, Mike Williams und Jane Raw-Rees.