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Trotz schwerster MuskelerkrankungSimon Hellenthal nimmt aktiv am Leben teil

Lesezeit 5 Minuten

Mit dem Blickkontakt zu der Kamera im Bildschirm steuert Simon Hellenthal den Computer.

  1. Simon Hellenthal erkrankte als Kind an Muskeldystrophie Duchenne.
  2. Seine Muskulatur ist heute fast komplett verschwunden. Trotzdem kann der 27-Jährige am leben teilnehmen.
  3. Unter anderem schrieb er ein Buch und brachte sich das Sprechen wieder bei.

Blankenheim-Freilingen – Ohne seine Maschine könnte Simon Hellenthal nicht überleben. Ohne sie könnte er auch nicht sprechen. Jeder mechanische Pumpvorgang der Beatmungsapparatur verschafft dem 27-Jährigen aus Freilingen die Möglichkeit, etwas zu sagen. Simon Hellenthal ist an Muskeldystrophie Duchenne erkrankt – unheilbar.

Seine Muskulatur ist im Laufe der Jahre geschwunden, inzwischen ist sie fast nicht mehr vorhanden. Doch das ficht ihn wenig an. Denn Simon Hellenthal hadert nicht mit seinem Schicksal. Er kämpft dagegen an und nutzt seine Fähigkeiten, sein Leben lebenswert zu gestalten.

„Im Kindergarten konnte ich die Treppe nicht mehr hochlaufen“

„Dass ich krank werde, habe ich gemerkt, als ich im Kindergarten die Treppe nicht mehr hochlaufen konnte“, erzählt Hellenthal. Das ist viele Jahre her. Heute muss er rund um die Uhr betreut werden. Wenn er seinen Kopf in eine andere Richtung drehen will, müssen seine Mutter oder die Pflegekraft ihm helfen. Wenn er ein Kissen unter dem Arm braucht oder der Winkel zu seinem Computerbildschirm nicht stimmt, ist ebenfalls Hilfe nötig.

Augensteuerung

Wenn er mit dem Computer schreiben oder im Internet recherchieren will, dann ist Simon Hellenthal zunächst auf fremde Hilfe angewiesen, denn er kann sich ja nicht bewegen. Seine Gliedmaßen gehorchen den Befehlen des Gehirns nicht mehr. Aber Simon Hellenthal kann seine Augen bewegen.

Vor der Arbeit mit dem PC müssen ihm zunächst seine Mutter oder eine Pflegekraft den Bildschirm so über dem Bett positionieren, dass sein Gesicht in einem kleinen Scan-Feld erscheint. Während er ein bestimmtes Symbol auf dem Bildschirm verfolgt, erkennt der Computer die Augen des jungen Mannes.

Und dann kann Simon Hellenthal mit der Bewegung seiner Pupillen eine Tastatur auf dem Bildschirm bedienen oder bestimmte Symbole ansteuern, die ihm den Zugang ins Internet ermöglichen. (bz)

Der junge Mann verfügt über beachtliche Fähigkeiten und den Willen, diese auch einzusetzen. Hellenthal hat mit seinem allein durch Augenbewegungen gesteuerten Computer ein Buch geschrieben mit dem Titel „Land der Mächtigen und Unbeugsamen“.

Er selbst ordnet das Werk irgendwo zwischen „Herr der Ringe“ und Science-Fiction ein. Und er beschäftigt sich mehrere Stunden am Tag damit, für die seit rund zehn Jahre bestehende, digitale Dorfplattform „Wir in Freilingen“ zu arbeiten. „Ich gestalte die Seite mit, führe Interviews und nehme auch am Dorfleben teil“, sagt der gebürtige Freilinger.

Simon pflegt die Homepage des örtlichen Musikvereins

Simon Hellenthal hat beispielsweise den im Ort aufgewachsenen und inzwischen in Augsburg spielenden Bundesliga-Torhüter Fabian Giefer interviewt. Und den aus Freilingen stammenden Spitzenkoch Falko Weiß. Weiß arbeitet in Trier als Sternekoch und betreibt eine Kochschule in Schweich.

Der an der Uni in Rostock arbeitende Germanistikprofessor Dr. Karl Heinz Ramers hat wiederum Simon Hellenthal Rede und Antwort gestanden. Und Cousin Lukas Hellenthal natürlich auch, der jüngst wieder als „Der Blechbaron“ an der Gemeinschaftsausstellung „Kunst im Garten“ mit seinen Metallarbeiten mitgewirkt hat.

„Nur“ die Interviews sind für Simon Hellenthal nicht genug. Er gestaltet auch den Facebook-Auftritt der Freilingen-Seite mit und informiert mit „Simons Tipps“ über Veranstaltungen im im Dorf. Darüber hinaus gibt er Film- und Buchtipps. Genauso sorgt er dafür, dass die Homepage des örtlichen Musikvereins up to date ist.

Online-Petition

Simon Hellenthal ist derzeit geradezu erschüttert von den Gesetzesplänen des Bundesgesundheitsministers Jens Spahn, in dessen Ministerium das Reha- und Intensivpflege-Stärkungsgesetz vorbereitet wird.

Beatmungspatienten wie Simon Hellenthal befürchten, dass dieses häusliche Intensivpflege für Beatmungspatienten nahezu unmöglich mache. „Ich kämpfe dafür, dass dieses Gesetz nicht in Kraft tritt, denn für mich und viele andere macht die Intensivpflege zu Hause das Leben lebenswert. Und das ist es für mich hier“, sagt der Patient, der ohne Beatmung und ohne eine 24-Stunden-Betreuung nicht überleben kann.

Der Freilinger bittet, sich unter dem Motto „Lasst Pflegebedürftigen ihr Zuhause“ in einer Online-Petition gegen den Gesetzesvorschlag zu wenden. (bz)

www.change.org

Rita Hellenthal, Simons Mutter, bestätigt, dass ihr Sohn im Dorf integriert und akzeptiert ist: „Bei jedem Fest ist Simon dabei, denn er kann in seinem Rollstuhl ja an Veranstaltungen wie dem Seefest, der Kirmes oder dem Karneval teilnehmen. Die Leute im Dorf gehen ganz unverkrampft und freundlich mit ihm um.“ Ihr Sohn sei ein außergewöhnlicher Kämpfer und komme mit seiner Erkrankung recht gut zurecht.

„Ich habe wieder Sprechen gelernt“

Wie sehr, das verdeutlicht eine Bemerkung, die Simon Hellenthal eher beiläufig am Rand des Gesprächs fallen lässt: „2015 musste ich einen Luftröhrenschnitt bekommen. Da haben die Ärzte gesagt, ich würde wohl nicht mehr sprechen können. Nie mehr, haben sie gesagt. Ich habe nach zwei Monaten wieder angefangen zu üben, und jetzt kann ich wieder sprechen, wenn ich eine entsprechende Kanüle im Hals habe, die die Luft über meine Stimmbänder fließen lässt.“

Simon will an weiteren Projekten teilnehmen

Wenn Simon Hellenthal Ausflüge macht, dann muss er mit einer Hebeapparatur aus seinem Bett in den Rollstuhl gehoben und der Rollstuhl an einem Treppenlift vom Obergeschoss des Hauses ins Erdgeschoss gefahren werden. Nicht einfach, aber für Simon Hellenthal die Möglichkeit, am Dorfleben teilzunehmen.

Der 27-Jährige will an weiteren Projekte mitwirken, die ihm am Herzen liegen. Nicht alleine, aber dafür mit vollem Einsatz. So werden Dokumente und Bilder aus der Freilinger Geschichte digitalisiert und Menschen befragt, die etwas zu den Personen auf den Bildern sagen können, um den Erfahrungsschatz früherer Generationen auch der Nachwelt zu erhalten. Ortsvorsteherin Simone Böhm jedenfalls ist des Lobes voll ob des Engagements des 27-Jährigen. Wer mit Simon Hellenthal Kontakt aufnehmen will, der findet ihn auf Facebook und Instagram oder eben auf der Homepage.

https://www.wir-in-freilingen.de/