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FFH-Schutzgebiet übersehen?Bau eines Solarparks bei Schmidtheim steht auf der Kippe

Lesezeit 5 Minuten
Das Bild zeigt eine Wiese bei Schmidtheim, im Hintergrund ist ein landwirtschaftliches Betriebsgebäude zu erkennen.

Ist diese Mähwiese bei Schmidtheim ein geschütztes Biotop? Von dieser Frage hängt womöglich der Bau des Solarparks an der B51 ab.

Laut der Unteren Naturschutzbehörde Euskirchen handelt es sich bei dem 15-Hektar-Areal bei Schmidtheim um eine geschützte FFH-Fläche.

Der geplante 15 Hektar große Freiflächen-Photovoltaik-Park an der B51 oberhalb von Schmidtheim sorgt für Ärger beim Projektierer und der Gemeinde Dahlem: Offenbar wurde übersehen, dass es sich um eine geschützte FFH-Fläche handelt.

Es hätte alles so schön sein können: Am 30. September bereitete der Gemeinderat Dahlem mit der Änderung des Flächennutzungsplans und der entsprechenden Aufstellung eines Bebauungsplans alles vor, um auch die letzte Lücke der laut Potenzialflächenanalyse möglichen 100 Hektar für Solarparks im Gemeindegebiet zu schließen. Die Firma MK Solutions aus Euskirchen hat sich im Auftrag des Investors, der Stahl-Gruppe aus dem baden-württembergischen Reutlingen, um das Gelände beworben und mit den Planungen begonnen. Man rechnet mit 19 Megawatt Leistung in der Spitze. Ein Landwirt hat das Gelände an MK Solutions verkauft.

Gemeinde Dahlem trieb Verfahren zunächst routiniert voran

Zunächst ging alles den gewohnten Gang: Pflichtgemäß erfolgte durch Offenlegung der Pläne zwischen dem 10. April und dem 17. Mai dieses Jahres die Beteiligung der Öffentlichkeit und der Träger öffentlicher Belange. Im Gemeinderat wurden die eingereichten Stellungnahmen kurz diskutiert, dann die Beschlüsse gefasst.

Vor der Sitzung hatte noch ein Ortstermin stattgefunden. Um die direkte Blickbeeinträchtigung für einen Anwohner im nordwestlichen Eck des Geländes zu verringern, sollte eine Hecke gepflanzt werden. Immerhin sind die Modultischreihen 2,85 Meter hoch.

Zum Zeitpunkt des Beteiligungsverfahrens war nicht absehbar, dass es sich bei dem betroffenen Gebiet um ein geschütztes Biotop handelt.
Aus der Stellungnahme der Unteren Naturschutzbehörde Euskirchen

Auf weitere Bedenken dieses Anliegers war die Verwaltung in ihrer Antwort auf die Stellungnahmen nach der öffentlichen Auslegung der Pläne nicht weiter eingegangen: Eine verstärkte Rinnenbildung an den Modultischen bei Starkregen mit der Folge ebenfalls stärkeren Wasserzuflusses in den unterhalb der leicht geneigten Wiese liegenden Bauernhof werde nicht befürchtet. Eine mögliche Verunreinigung der 90 Meter unterhalb des Hofes gelegenen Quelle sei auch bei einem Schaden an der Solaranlage praktisch ausgeschlossen.

Wiese bei Schmidtheim ist ein geschütztes Biotop

Wenige Tage später platzt jetzt aber möglicherweise eine kleine Bombe. Denn die Untere Naturschutzbehörde (UNB) des Kreises Euskirchen, die bis zum Abschluss des Beteiligungsverfahrens am 17. Mai neben kleineren Korrekturwünschen am geplanten PV-Areal keine grundsätzlichen Einwände hatte, hat ihre Meinung geändert. Auf Anfrage teilt die UNB schriftlich über die Kreisverwaltung mit: „Zum Zeitpunkt des Beteiligungsverfahrens war nicht absehbar, dass es sich bei dem betroffenen Gebiet um ein geschütztes Biotop handelt.“ Das kann in letzter Konsequenz bedeuten: Baustopp.

Mehrere Teilenehmer des Ortstermins stehen mit Schirmen und in Regenjacken auf einer Wiese.

Beim Ortstermin des Gemeinderates ging es um eine Bepflanzung, um optische Beeinträchtigungen zu reduzieren.

Aufmerksam geworden sei man darauf durch die von der MK Solutions vorzulegende Grünlandkartierung des Areals. „Diese kam zu dem Ergebnis, dass es sich um den FFH-Lebensraumtyp 6510 ,Magere Flachland-Mähwiese' mit einem guten Erhaltungszustand (B) handelt“, so der Kreis. Dies habe man erst am 1. Juli durch das Planungsbüro erfahren. Der FFH-Lebensraumtyp 6510 ist gemäß Paragraf 30, Absatz 2, Nummer 7 des Bundesnaturschutzgesetzes geschützt.

Somit sei es laut der Unteren Naturschutzbehörde „per Gesetz verboten, Handlungen vorzunehmen, die zu einer Zerstörung oder einer sonstigen erheblichen Beeinträchtigung führen können“. Um Missverständnissen vorzubeugen schreibt die Behörde: „Einer Schutzgebietsausweisung bedarf es nicht, da es sich um eine gesetzliche Regelung handelt.“

Schutzstatus des geplanten Baugrunds war Gemeinde unbekannt

Bei Bürgermeister Jan Lembach wie bei Michael Kohlstadt, Geschäftsführer von MK Solutions, ist die Verblüffung groß. Kohlstadt bestätigt, die Grünlandkartierung in Auftrag gegeben zu haben. Überraschend liegt nach seinen Worten aber kein Gutachten vor, dass die Fläche als FFH-Lebensraumtyp 6510 ausweist. Die eigentliche Grünlandkartierung erfolge vielmehr erst im nächsten Schritt des Bauplanverfahrens. Man sei sich natürlich der gesetzlichen Regelungen bezüglich FFH-Flächen bewusst und werde diese selbstverständlich beachten.

Bürgermeister Lembach stellt auf Anfrage fest, „dass auf der erwähnten Fläche keine FFH-Ausweisung bekannt ist“. Die infrage stehenden FFH-Flächen im Gemeindegebiet seien seiner Ansicht nach „transparent und öffentlich bekannt und dargestellt“. An der B51 bei Schmidtheim liege eine solche Ausweisung seines Wissens nicht vor. Laut Lembach werde daher im weiteren Verfahren die Untere Naturschutzbehörde erneut zu hören sein.

Lembach hat auch die Gesamtheit der ausgewiesenen Potenzialflächen in der Gemeinde im Blick: insgesamt 100 Hektar. Sollte dort eine mögliche FFH-Unterschutzstellung nicht berücksichtigt sein? „Mit Sicherheit nicht“, ist Lembach überzeugt.

Naturschutzbehörde war bei Flächensuche nicht beteiligt

Doch seitens der Unteren Naturschutzbehörde wird auf Anfrage darauf hingewiesen, dass es eine flächendeckende Biotopkartierung nicht gibt. Das Areal bei Schmidtheim, das seit Jahrzehnten als Mähwiese genutzt wird, kann also durchaus einen FFH-Status haben, der vielleicht nicht allen Akteuren bekannt ist. Dann wäre zumindest die Kommunikation zwischen UNB und der Gemeinde Dahlem seit dem 1. Juli, als die Behörde vom FFH-Schutzstatus erfahren habe, vorsichtig ausgedrückt lückenhaft.

Für den Projektentwickler MK Solutions ist jedenfalls derzeit unklar, ob er womöglich einige Euros umsonst investiert hat.

Bei der Suche nach der Ursache des Schlamassels um die Wiese in Schmidtheim wird die Untere Naturschutzbehörde fündig: Das Fehlen einer flächendeckenden Biotopkartierung durch das Lanuv (Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz) habe erst zu dem Problem geführt. Was die Gemeinde hätte wissen müssen: „Bei der Erstellung der Potenzialflächen wäre es sinnvoll gewesen, vorab eine solche Kartierung durchzuführen, um die Umsetzbarkeit zu gewährleisten.“ Die UNB sei bei der Flächensuche und -prüfung aber „leider nicht beteiligt gewesen“.

Ausgleichsfläche könnte Rettung für Solar-Pläne sein

Aber wie geht es nun weiter? Ebenfalls nach den Bestimmungen des Bundesnaturschutzgesetzes können Ausnahmeregelungen festgestellt werden. Etwa, wenn der Investor passende Ausgleichsflächen findet. „Das bedeutet, dass das gesetzlich geschützte Biotop in gleicher Art, gleicher Ausprägung und gleicher Flächengröße wiederhergestellt werden muss“, so die UNB. Derzeit läuft ein entsprechendes Prüfverfahren. Ist der Ausgleich nicht möglich, besteht die Option einer Befreiung, da das Vorhaben im übergeordneten öffentlichen Interesse liegt: Gewollte Energiewende schlägt Naturschutz – das ermöglicht Paragraf 2 des Erneuerbare Energien Gesetz (EEG).

Doch einen weiteren, möglicherweise entscheidenden Haken gibt es auch noch: Die Europäische Union hat nach Mitteilung der UNB gegen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet: Man werfe der Bundesregierung vor, die Verschlechterung des Lebensraumtyps bei Flachland-Mähwiesen „vorsätzlich zuzulassen“, so die UNB. Wie in vergleichbaren Fällen schlage daher unter anderem die Bezirksregierung Köln vor, solche geschützten Biotope für die PV-Nutzung vorsorglich auszusparen.

Derzeit ist die weitere Planung des Solarparks an der B51 damit mindestens in der Schwebe. Kommt es zu keiner Ausnahme- oder Befreiungsregelung, muss, so die UNB, „das Vorhaben gestoppt werden.“