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Die Angst vor der KälteFlutbetroffene im Kreis Euskirchen warten auf eine Heizung

Lesezeit 7 Minuten

700 Heizgeräte haben Michael Stadler (v.l.), Werner Kasper, Carlos Emunds und Norbert Niebes im Zwischenlager abgeladen.

Kreis Euskirchen – Tausende Häuser sind im Kreis durch die Flutkatastrophe beschädigt worden. Bei den meisten hat es auch die Heizung erwischt – und nun wächst die Sorge, dass viele im Winter in einem kalten Haus leben müssen. Die Heizungsbauer sind nahezu rund um die Uhr im Einsatz – doch es ist utopisch anzunehmen, dass sie binnen weniger Wochen alle Baustellen abarbeiten können.

Gleich mehrere Faktoren erschweren ihnen die Arbeit, wie Thomas Rendenbach aus Euskirchen, Obermeister der Innung für Sanitär- und Heizungstechnik im Kreis, und Jan Kremp aus Kirchheim stellvertretend für ihre Kollgen berichten: Es fehlt an Material und vor allem an Fachkräften.

Bis November ausgebucht

Bis November, so berichtet Rendenbach, sei das siebenköpfige Team seiner Firma ausgebucht: „Das war nur die erste Welle mit denen, die versichert sind. Jetzt kommen noch all die, die nicht versichert sind und Fördermittel aus dem Wiederaufbaufonds beantragen.“ Bei Kremp sieht es ähnlich aus: Bis Dezember könne man die derzeitige Liste abarbeiten – doch es kommen ständig weitere Aufträge rein. Zu elft ist das Team von Kremp-Energie vor allem im Raum Bad Münstereifel und Euskirchen unterwegs, doch auch Kunden in Dernau sehnen sich nach einer Heizung. Schon vor der Flut, so Kremp, habe er drei zusätzliche Monteure gesucht – und nicht gefunden. Es wolle kaum einer ins Handwerk: „Jeder will viel Geld verdienen, aber am liebsten nichts dafür tun.“

Unmittelbar nach der Katastrophe, so berichtet Kremp, habe sein Team mit der Schadenserfassung bei den Kunden begonnen und auch bereits Material bestellt, für das die Firma in Vorleistung gegangen sei. Zudem habe man überlegt, wo die Not am größten sei und eine Prioritätenliste erstellt. Ganz oben stand für sein Team zunächst warmes Wasser – und nach dieser Liste wurden Familien mit kleinen Kindern und Pflegebedürftigen zuerst versorgt. Zuweilen habe man auch notdürftig Durchlauferhitzer installiert, damit wenigstens Warmwasser vorhanden ist.

Zulieferungs-Probleme durch Corona

Doch es sind auch unzählige komplette Heizungsanlagen oder wenigstens entscheidende Komponenten zu beschaffen und einzubauen. Und da wartet bereits das nächste Problem auf die Firmen: Wie gewohnt, eine bestimmte Anlage von einem bestimmten Hersteller zu einem bestimmten Datum zu bestellen, geht schlicht nicht. Von einem großen Hersteller, sagt Kremp, sei derzeit nur eine Art von Therme lieferbar – alles andere sei ausverkauft. Bei Wärmepumpen gebe es ebenfalls lange Wartezeiten: „Wenn ich Glück habe, bekomme ich Anfang der Woche welche.“

Nicht nur die hohe Nachfrage nach der Flut ist Ursache für die Lieferschwierigkeiten: Durch Corona stocke beispielsweise noch die Zulieferung der in den Anlagen benötigten Platinen. „Wer jetzt bestellt, muss hoffen“, sagt Kremp mit Blick auf einige Lieferzeiten. Und schwierig, so seine Einschätzung, könnte es für diejenigen werden, die sich noch nicht entschieden haben, welche Art Heizung sie einbauen möchten, sowie für die, die noch keinen Installateur haben und seine Mitarbeiten zuweilen auf der Straße anhalten und um Hilfe bitten.

Teams vor Ort verstärken

Trotz all der Flut-Aufträge geht auch die „normale“ Arbeit der Unternehmen weiter. Obermeister Rendenbach sagt aber klipp und klar, dass seine Firma dieses Jahr keine Wartungen mehr durchführt. Bis auf wenige Ausnahmen, bei denen potenzielle Kunden unverschämt werden, stoßen er und Kremp dabei auf Verständnis. Bei Notfällen und Störungen jedoch sind die Monteure trotzdem gefragt. Kremp: „Wir können doch die 90-jährige Oma, bei der die Toilette nicht funktioniert, nicht sitzen lassen. Oder den Hausbauer, der auf die Heizung wartet und seine Wohnung schon gekündigt hat.“ Dass er wahrscheinlich Kunden verlieren wird, weil eben trotz 13-Stunden-Tagen und Sechs-Tage-Wochen nicht alles sofort erledigt werden kann, ist Kremp klar.

Helfen könnte eine Solidaraktion, bei der Firmen aus anderen Regionen Monteure abstellen, die die Teams vor Ort verstärken, um der Flut der Aufträge Herr zu werden. Doch noch bewege sich da nichts – und viel Hoffnung machen sich die Unternehmen im Kreis nicht. Rendenbach: „Wer macht das denn? Ich glaube nicht, dass es in Deutschland jemanden gibt, der Leute dafür rumstehen hat.“

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Aufgrund der Lage ist klar, dass viele Betroffene sich zunächst anderweitig behelfen müssen. Elektrische Heizgeräte stehen da hoch im Kurs. In der Stadt Schleiden etwa sind 1500 Haushalte von der Katastrophe betroffen. In einer ersten Befragung Anfang September haben 299 Personen Angaben zur Wohnsituation gemacht – 208 davon, dass sie ohne Heizung sind. Michael Stadler, einer der Organisatoren der im alten Rewe in Gemünd untergebrachten Fluthilfe, hat hochgerechnet, dass etwa 1400 Heizgeräte nötig sein dürften, damit die Menschen in der Stadt im Winter nicht frieren.

Dem Ziel, die zu beschaffen, ist das Team einen großen Schritt nähergekommen: 700 Geräte sind am Donnerstag in Heinsberg abgeholt worden. Dazu sind rund 300 noch auf Lager, zahlreiche sind bereits ausgegeben. Möglich wurde die Beschaffung der 700 Geräte unter anderem durch eine 15000-Euro-Spende des Vereins „Wäller helfen“ aus dem Westerwaldkreis. In bar, so Stadler, habe die Fluthilfe das Geld erhalten – und musste dann eine Firma finden, die so viele Geräte vorhält und bei der man in bar zahlen kann. Fündig wurde man in Heinsberg, dank eines von einer Möbelspedition zur Verfügung gestellten Lkw wurden die Geräte in die Eifel gebracht.

Kostenlos ausgegeben werden die Heizgeräte ab Montag ab 10 Uhr im Spendenlager im alten Rewe in Gemünd an Betroffene aus dem Stadtgebiet Schleiden. Michael Stadler hofft, dass je nach Größe der Immobile bis zu drei Geräte pro Haushalt abgegeben werden können.

Umfragen der Kommunen

Befragungen bei den Betroffenen der Flutkatastrophe führen zahlreiche Kommunen durch. Unter anderem soll dabei ermittelt werden, wie viele Haushalte auf absehbare Zeit nicht über eine Heizung verfügen werden.

In Bad Münstereifel ist die Erhebung ist noch nicht vollständig abgeschlossen. Hunderte Häuser sind dort von der Flut beschädigt worden. Aktuell sind nach Angaben der Stadt rund 100 Fragebögen zurückgesendet. Davon haben 19 Befragte angegeben, dass der Einbau einer funktionierenden Heizung noch zwei bis drei Monate dauern wird. 27 Befragte geben an, dass der Zeitpunkt später oder unbekannt ist. Die Stadtverwaltung unterstützt bei der Beschaffung von elektrischen Heizgeräten. Diese Woche seien 25 angekommen, die aktuell verteilt werden. Weitere seien geordert, allerdings sei der Liefertermin noch unklar. Da die Stadt davon ausgeht, dass in den kommenden Wochen die Nachfrage nach Heizgeräten stark steigt, hofft man im Rathaus auch darauf, dass durch private Hilfsinitiativen Geräte für die Bedürftigen beschafft werden können.

Die Stadt Euskirchen gibt aufgrund der bisherigen Rückläufe der Fragebögen an, derzeit von 124 Haushalten im Stadtgebiet zu wissen, die noch ohne Heizung sind. Davon sei bei 61 Betroffenen noch nicht bekannt, wann sie wieder versorgt sein werden. 15 haben laut Stadt angegeben, zeitnah versorgt zu sein, 23 innerhalb der nächsten ein bis zwei Monate, 18 innerhalb der nächsten drei bis vier Monate und drei Haushalte erst in fünf bis sechs Monaten. Aktuell, so die Stadtverwaltung auf Anfrage, werde geprüft, wie die Betroffenen zielführend unterstützt werden können.

In der Gemeinde Kall sind die Befragungen noch nicht abgeschlossen. 240 Fragebögen seien bisher zurückgekommen, so Bürgermeister Hermann-Josef Esser. 54 Häuser und Wohnungen, die derzeit auch bewohnt seien, seien demnach noch ohne Heizung. Auch werde noch ausgewertet, wie lange die betroffenen Bürger ohne Heizung auskommen müssen. Jedoch habe die Gemeinde erfahren, dass viele eine Instandsetzung in näherer Zukunft erwarten. „Oft sind es auch Ersatzteile, auf die gewartet werden muss“, sagt Esser. Auch das Rathaus sei derzeit noch ohne Heizung und müsse sich mit 40 Heizgeräten behelfen, teilt der Bürgermeister mit. Sobald dort die Heizung aber wieder läuft, sollen die Geräte kostenlos an Betroffene verteilt werden. Sollten die 40 Geräte nicht ausreichen, wolle die Gemeinde beim Organisieren weiterer Geräte unterstützen. Esser weist zudem darauf hin, dass die Stromkosten für die elektrischen Heizgeräte bei den Wiederaufbauhilfen eingereicht werden können. (jes)