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Neuer Bürgermeister im Interview„Es wird dringend Zeit für einen Besuch beim Friseur“

Lesezeit 5 Minuten

Der persönliche Kontakt kommt Sacha Reichelt zu kurz – eine Folge der Pandemie.

  1. 100 Tage ist Sacha Reichelt als Bürgermeister von Euskirchen nun im Amt.
  2. Im Gespräch verrät er, was ihn in dieser Zeit besonders gefreut und besonders geärgert hat.

Der 40-jährige Sacha Reichelt wurde im September zum neuen Stadtoberhaupt von Euskirchen gewählt. Seine ersten Wochen im Amt waren vor allem durch eines bestimmt – die Corona-Pandemie.

Herr Reichelt, können Sie schätzen, wie viel Prozent Ihrer bisherigen Dienstzeit als Euskirchener Bürgermeister Sie für die Folgen und die Bekämpfung der Corona-Pandemie aufgewendet haben?

Sacha Reichelt: Das ist schwer zu sagen, da Corona bei kaum einem Vorgang komplett außen vor bleibt. Ich würde es auf mehr als die Hälfte der Zeit schätzen.

Was ist in den ersten 100 Tagen wegen Corona bei Ihrer Arbeit zu kurz gekommen?

Jede Menge Menschliches. Der persönliche Kontakt kommt zu kurz. Ehrungen, Pensionierungen, Beförderungen, Goldhochzeiten et cetera müssen leider weniger persönlich ablaufen oder ganz ausfallen. Weggefallen sind auch die vielen Termine auf Veranstaltungen, die nicht stattfinden konnten, zum Beispiel im Zusammenhang mit Karneval und Weihnachten oder auch mit kulturellen Anlässen. Fachlich versuche ich, nichts zu kurz kommen zu lassen. Allerdings verzögert Corona bestimmte Abläufe allein schon deshalb, weil man sich weniger spontan oder in größeren Runden austauschen kann.

Was von Ihren Plänen haben Sie bisher umgesetzt oder in die Wege geleitet?

So etwas wie eine Schonzeit von 100 Tagen gibt es in Corona-Zeiten nicht, das war auch nicht erforderlich. Durch meine Erfahrungen als Fachbereichsleiter bei der Stadt Euskirchen konnte ich gleich loslegen, ohne große Einarbeitung. Das sehe ich gerade in dieser Zeit als großes Plus.

In den 100 Tagen haben wir schon einiges gemacht, aber auch noch sehr viel vor. Um etwas herauszugreifen: Wir haben die Digitalisierung von Verwaltung und Schulen vorangebracht, zum Beispiel durch eine Bürger-Plattform für einzelne Dienstleistungen. Im Internet sind wir durch Informationen in den Sozialen Medien näher an Bürgergruppen herangetreten, transparent und offen.

Wie ist die Resonanz?

Bislang sind wir zufrieden. Viele Menschen wissen unsere Bemühungen zu schätzen. Allerdings wird es immer solche und solche Reaktionen geben. Uns waren Transparenz und Bürgernähe aber so wichtig, dass wir die Nachteile in Kauf nehmen. Generell würde ich mir aber einen freundlicheren Umgang miteinander in manchen Internetplattformen wünschen.

Wie sieht es in Sachen Stadtentwicklung aus?

Euskirchen wächst. Einen Schwerpunkt bilden daher zurzeit Bauprojekte, dabei haben wir einige große Vorhaben einen weiteren Schritt vorangebracht. Als Beispiel nenne ich die Entwicklung des Gebiets rund um die früheren Westdeutschen Steinzeugwerke. Das Thema steht jetzt wieder im Ausschuss für Umwelt und Planung auf der Tagesordnung.

Was hat Sie besonders erfreut in Ihrem neuen Amt, was besonders geärgert?

Sehr gefreut haben mich die Offenheit und Freundlichkeit, mit denen ich bei meinen Mitarbeitern, den Institutionen und auch vielen Einzelpersonen in Euskirchen als Bürgermeister aufgenommen wurde. Geärgert? Ich bin kein Mensch, der sich häufig ärgert. Unterschiedliche Meinungen und Verhaltensweisen sind menschlich und gehören einfach dazu. Weniger schön finde ich es, wenn Menschen andere anzeigen, ohne sich vorher hinreichend vergewissert zu haben, ob das angezeigte Verhalten tatsächlich verboten ist.

Sie spielen auf die Treffen einer Religionsgemeinschaft in Dom-Esch an, die Bürger aus dem Dorf für illegal hielten?

Ich spiele auf keinen Einzelfall an, da die Anzahl solcher Anzeigen in der jüngeren Vergangenheit leider insgesamt erkennbar zugenommen hat. Corona sollte nicht unsere schlechten Seiten allzu sehr ans Tageslicht bringen. Ich sehe es so: Wenn wir zusammenhalten, kommen wir am besten durch die Krise.

Zurück zur Politik. Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit dem Rat? Die erste Sitzung hatten Sie sich womöglich anders vorgestellt. Mehrere Punkte wurden notgedrungen von der Tagesordnung genommen. Es gab Streit wegen der Zahl der stellvertretenden Bürgermeister, also gleich zum Auftakt Parteiengezänk.

Der Rat ist das wichtigste Gremium der Stadt Euskirchen und so vielschichtig zusammengesetzt wie die Stadt selbst. Meine Parteilosigkeit hilft mir hier, glaubhaft zwischen den einzelnen Interessen zu moderieren. Insgesamt bin ich mit der Arbeit mit und im Rat zufrieden. In der ersten Sitzung mussten sich die neuen Parteienbündnisse noch etwas einspielen. Das hat die Sitzung damals geprägt, ist aber nichts Außergewöhnliches. Es ist erfreulich, dass der Rat meinem Vorschlag zur Anzahl der stellvertretenden Bürgermeister letztlich einstimmig gefolgt ist.

So gut wie alle Fachausschusssitzungen, die für Februar geplant waren, sind wegen der Pandemie abgesagt worden. Lässt sich trotzdem eine vernünftige politische Arbeit sicherstellen?

Natürlich. Ohnehin besteht Ratsarbeit nur zu einem Teil aus der Teilnahme an Präsenzsitzungen. So wie bei vielen Unternehmen und Familien gerade Flexibilität und Kreativität gefragt sind, ist es in der Politik auch. Damit können einige Schwierigkeiten gelöst werden. Trotzdem hätte ich mir gewünscht, dass die Landesregierung flexible Regelungen geschaffen hätte, um mehr digitale Sitzungen zu ermöglichen.

Hatten Sie seit Ihrem Amtsantritt Kontakt zu Ihrem Vorgänger Uwe Friedl?

Selbstverständlich. Dr. Friedl und ich haben uns um einen möglichst reibungslosen Übergang bemüht. Ich denke, das ist uns gut gelungen.

Wenn Sie an die Zeit nach Corona denken: Auf was freuen Sie sich besonders, privat wie beruflich?

Auf spontane Gespräche mit den Bürgern. Ich möchte nah und persönlich an den Menschen in Euskirchen und den Dingen sein, die sie beschäftigen. Außerdem wird es dringend Zeit für einen Besuch beim Friseur.