FlutprotokolleNoch nicht alle Wunden sind im Kreis Euskirchen geheilt
Kreis Euskirchen – Ein Jahr ist die Flutkatastrophe her, die weite Teile des Kreises verwüstete. Um den betroffenen Menschen und den vielen Helfern eine Stimme zu geben, haben der Kölner Stadt-Anzeiger und die Kölnische Rundschau das Videoprojekt „Flutprotokolle“ gestartet und die Menschen in der Region gefragt, wie es ihnen geht, was schief läuft, was gut läuft und woraus sie Hoffnung schöpfen. Nun, ein Jahr später, haben wir versucht, noch einmal mit allen Teilnehmern zu sprechen und sie gefragt: Wie geht es Ihnen heute? Einige der Gespräche haben wir erneut in Videos festgehalten.
Elisa McClellan, Bad Münstereifel
Elisa McClellan hat nach der Flut viel Schönes erfahren, sagte sie im November im Interview. Und auch noch heute, über ein halbes Jahr später, sei sie dankbar für die Unterstützung, die sie und ihr Sohn bekommen haben. Aber es gibt auch einige rastlos machende Umstände, so McClellan. Das Haus, in dem die Sozialarbeiterin mit ihrem Sohn wohnte, muss abgerissen werden. Und bis Ende des Jahres müssen sie aus ihrem Übergangsquartier wieder ausziehen. Wohin? Derzeit unklar. „Es ist sehr schwierig, Wohnraum hier in der Gegend zu finden“, sagt McClellan. Denn in Bad Münstereifel möchte sie eigentlich wohnen bleiben.
Im privaten Alltag begleitet die Flut sie nicht mehr täglich. „Aber es ist schwer, zu reflektieren, wie es mir heute geht“, so McClellan. Einerseits sei sie gesund, ihr ginge es gut, sie und ihr Sohn leben. Andererseits mache sich ein Erschöpfungszustand bemerkbar. Auch bei ihrem Sohn: „Er ist wahnsinnig stark im Umgang mit seinen Gefühlen und verdrängt die Flut auch nicht. Aber manchmal kommt er auch an und sagt, dass er am liebsten mal gar nichts machen möchte“, so die Mutter.
Als nächstes hat sich McClellan vorgenommen, Dankeskarten an die vielen Helfer, die sie auch finanziell unterstützt haben, zu schreiben.
Michael Freiherr Spies von Büllesheim, Weilerswist
„Wir sind seit sechs Wochen wieder in unserem Haus. Bis auf den Holzboden im Wohnzimmer, der ist feucht verlegt worden und dann hochgegangen, gab es wenig Probleme“, berichtet Michael Freiherr Spies von Büllesheim, der auf Burg Metternich zu Hause ist.
Handwerker habe er recht schnell gefunden, aber das sei auch durch gute Kontakte möglich gewesen. Mehr Sorgen als um sein eigenes Grundstück macht Spies sich aber um die öffentliche Infrastruktur in Metternich: „Da hat sich noch nicht viel getan.“
Der nächste Schritt sei für ihn nun, ein Gutachten über alle entstandenen Schäden an seinem Grundstück erstellen zu lassen. „Aber ich denke, bis alles geklärt ist, dauert es mindestens noch ein Jahr“, so Spies von Büllesheim.
Steffi und Klemens Hensen, Gemünd
Ein halbes Jahr lebten Steffi und Klemens Hensen in einem Rohbau – ihr Haus in Gemünd war trotz erhöhtem Standort voll Wasser gelaufen. Erdgeschoss und Keller mussten zum Teil komplett entkernt werden. Nun sind wieder Tapeten und Farbe an den Wänden, Fliesen liegen, die neue Einbauküche steht und im Wohnzimmer steht ein neuer Kamin. Doch viel steht bisher nicht in den Schränken. Lust, neue Dekoration für das Haus zu kaufen, hat Steffi Hensen auch nicht.
„Man braucht nicht viele Dinge, wenn man gelernt hat, mit wenig auszukommen“, sagt die Gemünderin. „Man hat viele unnütze Sachen, unbewussten Ballast, der fehlt einem heute überhaupt nicht.“ Ihr Mann stimmt ihr zu: „Die Prioritäten, wie sie früher waren, haben sich verschoben.“
Statt sich Gedanken über eine neue Lampe zu machen, freut sich das Ehepaar lieber über seinen Enkel, der im September letzten Jahres geboren wurde. „Es ist einfach nur schön, zu sehen, wie er sich entwickelt.“ Und auch die Hilfe, die Hensens von Freunden, Bekannten und Fremden bekommen haben, hat sie nachhaltig bewegt. „Noch jetzt bieten Freunde und Familie ihre Hilfe an“, so Steffi Hensen. Und nach wie vor kommt ein Versorgungstrupp vorbei, der alltägliche Sachen mitbringt. Auch wenn das Ehepaar nicht darauf angewiesen ist, freut sie diese Geste sehr, sagt Steffi Hensen: „Das ist schön zu sehen und schön zu erleben, dass wir nach dieser langen Zeit immer noch Hilfe bekommen.“
Thomas Pavlik, Buchhandlung Pavlik, Kall
Zwei Meter hoch stand in der Buchhandlung von Thomas und Kirsten Pavlik in der Flutnacht das Wasser und zerstörte deren komplette Existenz. Eine Versicherung hatten sie nicht, aber aufgeben sei nicht in Frage gekommen. Tatsächlich konnte das Ehepaar Pavlik bereits das Weihnachtsgeschäft mitnehmen, wenn auch noch etwas improvisiert.
Den schnellen Wiederaufbau möglich gemacht habe vor allem die unglaublich große Unterstützung von Buchhändlern aus der gesamten Republik: „Wir haben eine so große Solidarität erfahren“, sagt Thomas Pavlik immer noch gerührt und erzählt, dass der Kaller Schriftsteller Norbert Scheuer viel dazu beigetragen habe, andere in der Branche auf die Not aufmerksam zu machen.
Mit der Kamera vor Ort
Ein Jahr ist vergangen seit der verheerenden Flutkatastrophe. Wie geht es den Betroffenen in der Region heute? Wir schauen zurück auf ein Jahr Wiederaufbau, ein Jahr voller Anstrengung und großer Solidarität.
In der Serie „Flutprotokolle“ lassen wir die Betroffenen vor Ort vor der Videokamera erzählen. Sie berichten, wie sie den Wiederaufbau stemmen, ob die Hilfen bei ihnen ankommen, was sie sich wünschen und wovor sie Angst haben. Wir haben sie auch gefragt, was ihnen Hoffnung in dieser Zeit schenkt. Wir zeigen, wie ihre aktuelle Wohnsituation aussieht und welche Baustellen es noch gibt. Denn während die einen schon seit Monaten wieder in ihren Häusern leben, haben andere auch ein Jahr nach der Flut noch immer nasse Wände.
Zu sehen sind die „Flutprotokolle“ aus dem Kreis Euskirchen und anderen betroffenen Regionen hier. (enp)
„Alles in allem haben wir unheimlich großes Glück gehabt“, resümiert der Buchhändler und fügt an: „Wir freuen uns jeden Tag, dass wir hier in unserem Laden stehen können.“
Jutta Faß, Bad Münstereifel-Kirspenich
Bei Familie Faß war – in Anführungszeichen – nur der Keller vom Hochwasser betroffen. „Trotzdem sind wir immer noch nicht durch mit den Sanierungsarbeiten“, berichtet Jutta Faß. Manche Schäden hätten sich zum Teil auch erst viel später gezeigt: „Die Treppenstufen sind aufgequollen, und in den Fensterrahmen war Wasser – das muss jetzt noch alles gemacht werden.“
Glücklich war die Familie, als im Dezember endlich die neue Heizung lief. Von langwierigen Abstimmungen mit der Versicherung und mit Handwerkern, die Termine nicht einhalten oder trotz Auftrag gar nicht erscheinen würden, kann die Kirspenicherin ebenfalls ein Lied singen. „Wenn’s uns nochmal trifft mit der Flut, dann wird alles verkauft, dann ziehen wir weg“, hat die Familie entschieden.
Ilona Zündorff, Weilerswist
Wieder richtig gut sehe es in dem Wohnhaus von Ilona Zündorff aus. „Drinnen sind wir im Grunde fertig“, sagt Zündorff: „Unser Glück war, dass wir sehr gut versichert sind.“ Als nächstes soll der Außenbereich gemacht werden. Dort liege „noch einiges brach“.
Weil sie den Eindruck habe, die Gemeinde engagiere sich wenig für den Hochwasserschutz, wolle sie jetzt selbst nach Möglichkeiten suchen, ihr Grundstück vor einer erneuten Flut abzuschirmen: „Wir überlegen, was wir in Eigeninitiative machen können.“ Dennoch: Bei Starkregen komme ein mulmiges Gefühl auf, sagt sie.
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„Im Nachhinein betrachtet kommt mir die Zeit während und nach der Flut ganz surreal vor“, erzählt Ilona Zündorff: „Wo man funktionieren musste, hat man einfach funktioniert, ohne viel nachzudenken.“