Therapie für FlutopferIm Kreis Euskirchen wird es kein großes Traumazentrum geben
Kreis Euskirchen – Die NRW-Koalition von CDU und FDP hat den Antrag der SPD, ein Traumazentrum im Kreis Euskirchen einzurichten, abgelehnt. Eine Risikopotenzialanalyse für den Kreis Euskirchen kommt zu dem Ergebnis, dass mit einer Zahl von 8000 Menschen zu rechnen sei, die in der Folge der Hochwasserkatastrophe psychologische Beratung benötigen.
Über die Entscheidung der Koalition ist bei SPD-Landtagskandidat Thilo Waasem erwartungsgemäß stinksauer. „In der Debatte wurde auf das geplante ,Mini-Traumazentrum’ verwiesen. Wir haben hier allerdings keine Mini-Probleme. Alleine der Begriff wird dem der Herausforderung und den individuellen Leiden nicht gerecht“, sagt der Bad Münstereifeler. Es bedürfe echter Therapieplätze und dafür mehr Therapeutinnen und Therapeuten. „Ich werde weiter für ein echtes Traumazentrum und mehr Kassensitze für Psychotherapeutinnen und -therapeuten kämpfen“, so der enttäuschte Sozialdemokrat.
„Es geht um den Inhalt“
Klaus Voussem, CDU-Landtagsabgeordnete, wiederum ärgert sich über die SPD. „Ich finde es schade, dass auf dem Rücken der Betroffenen Politik gemacht wird“, sagt der Euskirchener im Gespräch mit dieser Zeitung. Mit seinem Parteifreund Dr. Ralf Nolten ist Voussem nach eigenen Angaben seit Oktober dran, ein Traumazentrum ins Schleidener Tal zu bringen. Das Ganze laufe in enger Abstimmung mit dem NRW-Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales, Schleidens Bürgermeister Ingo Pfennings (CDU) und Frank C. Waldschmidt, Projektleiter der Beratungs- und Koordinierungsstelle sowie Leiter der psychosozialen Unterstützung Fluthilfe NRW der Malteser.
Waldschmidt sei es auch gewesen, der den Begriff „Mini-Traumazentrum“ geprägt habe, so Voussem: „Wie man das Ding nennt, ist aber völlig egal. Es geht um den Inhalt. Und daran arbeiten wir.“ 52 Betroffene aus dem Kreis Euskirchen haben laut Voussem bis Oktober an 27 Gruppensitzungen der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) teilgenommen. „Wir gehen alle davon aus, dass der Bedarf wesentlich höher ist. Das ist völlig unstrittig“, so der Christdemokrat. Zumal nicht jeder gerne an einer Gruppensitzung teilnehme und so manches erst jetzt verarbeitet werde.
Auswirkungen der Flut
Das sagt der Landrat
Landrat Markus Ramers (SPD) sagt zur Entscheidung der NRW-Koalition: „In unserem Kreis leben 5000 bis 8000 Menschen mit starker psychischer Belastung nach der Flut. Die Unterstützungsangebote der Hilfsorganisationen und ehrenamtlichen Gruppen haben eine Menge aufgefangen. Unsere Experten im Gesundheitsamt rechnen jedoch damit, dass nach konservativer Schätzung circa 700 Betroffene ein posttraumatisches Belastungssyndrom oder sonstige psychische Störungen erlitten haben.
„Diese Menschen dürfen wir nicht alleine lassen! Als Landrat setze ich mich dafür ein, dass die psychotherapeutischen Behandlungsplätze deutlich ausgebaut werden. Wartezeiten von mindestens einem Jahr sind nicht zu akzeptieren. Kommende Woche werde ich mich hierzu auch mit der Psychotherapeutenkammer NRW austauschen. Insofern sehe ich selbstverständlich das Land in der Verantwortung, uns auch in diesem Bereich zu unterstützen. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Menschen mit den Sorgen und Nöten nach der Flut-Katastrophe vergessen werden.“
Gespräche bei Einsatzkräften
Nicht nur bei Privatpersonen, sondern auch bei Einsatzkräften wirkt die Flutkatastrophe immer noch nach. „Wir haben vereinzelte Nachfragen“, sagt Kreisbrandmeister Peter Jonas. In den Tagen und Wochen nach dem Juli-Hochwasser sei der Bedarf groß gewesen. „Wir haben in den Löschgruppen Gesprächsrunden angeboten, um das Erlebte aufzuarbeiten“, berichtet Jonas: „Aber natürlich sind auch viele Einzelgespräche geführt worden.“ Unmittelbar nach der Flut habe man nicht nur mit eigenen geschulten Kräften gearbeitet, sondern auch Unterstützung von außerhalb erhalten. Teilweise seien mehr als 40 Helfer im Rahmen der psychosozialen Notfallversorgung im Einsatz gewesen.
Wenn der Bedarf über die Ad-hoc-Hilfe hinausgehe, werde vermittelt. „Wir haben ganz gute Möglichkeiten, beispielsweise durch die Unfallkasse zügig an Spezialisten heranzukommen“, so Jonas.
Mittlerweile sei man wieder mit den eigenen Strukturen unterwegs. Diese werden aktuell ausgebaut. So werde es künftig eine Einheit geben, die kreisweit in der psychosozialen Notfallversorgung unterwegs sein wird. Geleitet wird die Kreis-Einheit laut Jonas von Rainer Brück. Unterstützt wird der Experte von Steffi Mandel und Nadja Züll.
Etwa 20 Mitglieder umfasse das Team aktuell, so der Kreisbrandmeister: „Es setzt sich aus Mitgliedern der Feuerwehren, Rettungsdienst und Privatpersonen zusammen.“ Zudem seien weitere Aus- und Fortbildungen zu dem Thema in Vorbereitung.
Es komme auch schon mal vor, dass die Experten bei Problemen im privaten Bereich unterstützen – oder zumindest Hilfe vermitteln, so Jonas. (tom)
Deshalb arbeite er mit Nolten an einer Förderung der betroffenen Kommunen durch das Land, um die psychosoziale Arbeit betreiben zu können. Ziel sei es, das Angebot im Schleidener Tal fest zu installieren – auch weil die Dichte der niedergelassenen Psychologen im „Nordkreis“ höher sei. „Die KV ist auf jeden Fall gefordert, mit ihren Mitgliedern Angebote zu schaffen“, so Voussem: „Wir setzen auf aufsuchende Hilfe.“
Experte Waldschmidt berichtet von 2000 geführten Entlastungsgesprächen unmittelbar nach der Flut allein im Schleidener Tal. Der Bedarf sei auch sechs Monate nach der Flut enorm. Gerade die Zahl der Menschen, die mit posttraumatischen Belastungsstörungen zu kämpfen hätten, steige. „Wir brauchen für diese Menschen dringend Therapieplätze. Wir brauchen ein Konzept für eine psychosoziale Notfallversorgung“, so Waldschmidt: „Es ist schade, dass die Einschätzung an dieser Stelle anders ist als bei jenen vor Ort.“ Man bleibe weiterhin im Gespräch mit der Landesregierung und werde das Ziel weiterverfolgen, bis dahin aber das machen, was man bereits seit sechs Monaten mache – das sei vor allem zu unterstützen. In welcher Form auch immer.
„Irgendwie ist jeder von der Flut betroffen“, sagt Waldschmidt, der in der Flutnacht im Einsatz war und die ersten Todesnachrichten übermitteln musste.
Redebedarf ist noch groß
Der Redebedarf sei immer noch groß. Viele Menschen kämen nun das erste Mal – weil so etwas wie „Zwangsruhe“ eintrete. Man warte auf den Handwerker oder den Bewilligungsbescheid für den Wiederaufbau. „Wir sind gerade in der Gefahr, dass die Betroffenen eine potenzielle sekundäre Traumatisierung erleben. Weil sie eine zweite Ohnmacht, eine zweite Hilflosigkeit erleben“, so der Experte. Da helfe auch die Solidarität oft nur noch wenig. Die Menschen seien einfach müde. Waldschmidt: „Wir brauchen langfristige Strukturen. Bei einer Flut kann man mit bis zu zwei Jahren rechnen. Eine Naturkatastrophe ist potenziell nicht so traumatisierend wie ein Terroranschlag.“
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Schleidens Bürgermeister Ingo Pfennings (CDU) sagt: „Die Ablehnung des Beschlusses ist aus fachlicher Sicht richtig. Der Antrag hat genau einen Standort in NRW gefordert, was nicht zielführend ist, da traumatisierten Menschen, die mitunter sogar kein Fahrzeug mehr zur Verfügung haben, keine großen Strecken zugemutet werden können.“ Sinnvoller sei es daher, zwei oder drei Standorte vorzuhalten. Bei aller politischen Diskussion müsse bei solch sensiblen Themen der Mensch im Vordergrund stehen. Aktuell brauche es vor allem die Meinung der krisenerfahrenen Fachleute, die gemeinsam das Beste für die Betroffenen entwickeln.
Maria Jentgen ist beim Kriseninterventionsdienst (KID) des Deutschen Roten Kreuzes. Auch die Ehrenamtler haben viele Gespräche geführt. „Wir werden die Arbeit nicht bewältigt bekommen, die zu bewältigen ist“, sagt Jentgen: „Wir versuchen weiterzumachen.“ Viele Menschen warteten auf finanzielle Unterstützung des Landes. „Das andere ist, dass viele Menschen wie gelähmt sind, sobald ein starker Regenschauer kommt“, sagt sie. Das seien psychologische Probleme, die dringend angegangen werden müssten.