Wie geht Wahlkampf, wenn lokale Spitzenkandidaten fehlen und die EU weit weg erscheint? Ein Blick auf die Parteien im Kreis Euskirchen.
EuropawahlLastenrad und Zeitungsanzeige – so sieht Wahlkampf im Kreis Euskirchen aus
Donnerstagmorgen kurz nach halb neun auf dem Parkplatz an der Bonner Straße in Zülpich: Es ist Markt. Neben den üblichen Ständen mit Gemüse, Brot, Eiern und Blumen hat sich heute auch die örtliche SPD aufgestellt. Annegret Lewak ist gerade dabei, ein paar Broschüren auf dem Anhänger und Gepäckträger des SPD-eigenen Lastenrades auszulegen. Kleine Geschenke wie Bleistifte, Lineale und Europa-Malhefte für Kinder sind auch dabei.
Das Lastenrad hat sich die Partei extra für den Europa-Wahlkampf zugelegt und wollte damit ursprünglich vor der Wahl einmal in alle Ortsteile von Zülpich fahren. Das Ganze sei ein Versuch, um mit den Menschen im ganzen Stadtgebiet ins Gespräch zu kommen, sagt Lewak. Es gehe darum, Demokratie wieder sichtbar zu machen, ins Bewusstsein zu rufen.
Europa-Wahlkampf ist auf dem Land schwieriger
Der Wahlkampf zur Europawahl gestaltet sich für kommunale Parteien und Ortsverbände etwas schwieriger als bei anderen Wahlen. Es gibt keine lokalen Sympathieträger oder Themen wie bei Kommunalwahlen und auch keine Wahlkreiskandidaten wie bei Land- und Bundestagswahlen. Hinzu kommt, dass laut Thilo Waasem (SPD) und Ingo Pfennings (CDU) das Interesse der Bevölkerung an der Europawahl geringer ist als bei anderen Wahlen.
Also Plakate aufhängen und Daumen drücken, dass die Bundesparteien es schon richten werden? Ganz so einfach machen es sich die lokalen Ortsverbände dann doch nicht. Die Grünen haben beispielsweise auf Präsenz beim ersten CSD in Euskirchen und eine Hau-den-Lukas-Aktion auf der Kaller Frühlingsschau nebst Waffelverkauf gesetzt.
Die CDU machte vor allem Wahlkampf mit der Europaabgeordneten Sabine Verheyen aus Aachen, beispielsweise bei einem Kneipenabend in Nettersheim mit Gratis-Getränk. Und die FDP schaltete eine halbseitige Zeitungsanzeige mit dem Titel „Wir unterstützen MASZ“ (Marie-Agnes Strack-Zimmermann), unterzeichnet von 50 Personen aus dem Kreis. Die SPD hat unter anderem einen europapolitischen Thekentalk in Urft und ein Pizzaessen für junge Menschen organisiert. Und das Lastenrad in Zülpich.
Um die Leute zum Anhalten zu animieren, gibt es bei Annegret Lewak nicht nur Infos und Flyer, sondern auch einen Espresso. „Die tiefen Gespräche ergeben sich da jetzt natürlich nicht“, gibt sie zu. Sie glaubt trotzdem, dass sich das lohnt. Man müsse etwas gegen die Entfremdung von der Politik tun. Und auf die Menschen zugehen, sagt sie.
Der Markt ist an diesem Morgen bereits ihre dritte Station. Zuerst habe sie früh am Bahnhof gestanden, um den Berufspendlern einen schönen Tag zu wünschen. Anschließend sei sie zum Konrad-Adenauer-Platz gefahren, um Wahlwerbung bei den Schülerinnen und Schülern zu machen, die dort mit Bussen ankommen. Schließlich darf bei dieser Wahl schon ab 16 Jahren gewählt werden.
Nur eine Partei im Kreis Euskirchen ist auf TikTok unterwegs
Um die junge Zielgruppe zu erreichen, nutzen Grüne, CDU, FDP und SPD im Kreis nach eigener Aussage auch verstärkt Online- und Social-Media-Werbung. Die FDP setzt auch dabei hauptsächlich auf Marie-Agnes Strack-Zimmermann und allgemeine Wahlslogans. Die Grünen versuchen es mit etwas mehr Kreis-Bezug und geben in einem Post Beispiele dafür, wie sich EU-Politik auf kommunaler Ebene auswirkt.
Die SPD geht über die persönliche Ebene und veröffentlicht Video-Statements von Parteimitgliedern. Auf dem Instagram-Profil der Kreis-CDU findet sich weniger EU-Wahlkampf als bei den anderen. Sie setzt dabei auf Sabine Verheyen. Was alle vier Parteien eint: die Posts bekommen selten mehr als 20 bis 30 Likes. Erreicht wird damit wohl kaum jemand.
Beim Social-Media-Wahlkampf ist im Kreis Euskirchen noch Luft nach oben
Dass sich 16-Jährige vor allem auf TikTok tummeln, scheint sich im Kreis bislang auch nur bis zur SPD herumgesprochen zu haben. Die anderen findet man dort nicht. Hier erreichen die SPD-Video-Statements deutlich mehr Menschen, allerdings sind die Kommentarspalten hauptsächlich voll mit Äußerungen von AfD-Fans und Anti-SPD-Sprüchen.
Und auch auf den Webseiten der Parteien findet sich wenig zur Europawahl. Ein Interview mit Ingo Pfennings zum Wahlkampf bei der CDU, ein Beitrag über Auswirkungen der EU auf den Kreis bei den Grünen, ein Beitrag über die Zeitungsanzeige bei der FDP, und bei der SPD steht auf der Startseite nur eine Einladung zu einer Wahlkampfveranstaltung Anfang Mai.
Beim Online-Wahlkampf ist bei allen also noch Luft nach oben. Vielleicht ist mehr aber auch nicht drin, schließlich setzen sich die Mitglieder ehrenamtlich und in ihrer Freizeit für ihre Parteien ein, und es mangelt vielerorts an Nachwuchs. Da ist man oft froh, wenn man genügend Helfer zum Aufhängen der Wahlplakate findet.
Plakate haben wenig lokalen Bezug zum Kreis Euskirchen
Daran mangelt es im Kreis Euskirchen wahrlich nicht. Lokalen Bezug haben die Plakate allerdings kaum, es sind dieselben, die auch in anderen Kreisen und Städten an den Laternenpfählen hängen. Was auffällt: Anhand der Plakate kann man ganz gut sehen, wo welche Partei besonders aktiv ist. So hängen in Olef ausgesprochen viele FDP-Plakate, in Roggendorf dominiert die AfD.
In größeren Städten wie Zülpich und Euskirchen fallen vor allem die vielen Plakate für Kleinstparteien wie Tierschutzpartei, Volt oder Bündnis Sarah Wagenknecht ins Auge. Die sind zwar auf kommunaler Ebene nicht aktiv, doch bei der Europa-Wahl hoffen viele Kleinstparteien auf Stimmen, weil es anders als bei Landes- oder Bundestagswahlen keine Fünf-Prozent-Hürde gibt.
Dass der Europawahlkampf den eigenen Mitgliedern weniger wichtig sein könnte als ein kommunaler, bestätigen die Kreisvorsitzenden von SPD, Grünen, CDU und FDP nicht. „Von einer Europawahlkampfmüdigkeit merke ich nichts“, schreibt etwa Frederik Schorn (FDP).
Parteien wollen bei EU-Wahl einen Rechtsruck verhindern
Bei der SPD gehe es vielen vor allem darum, einen Rechtsruck zu verhindern, berichtet Thilo Waasem. „Das spielt für unsere Mitglieder eine große Rolle, weil sie diese Themen auch im persönlichen Umfeld wahrnehmen.“ Alle hätten erkannt, dass die Europawahl richtungsweisend sei, betont Ingo Pfennings (CDU). „Und uns Europa nicht egal sein darf“, fügt er hinzu.
So sieht es auch Annegret Lewak auf dem Markt in Zülpich. Es hätten schon einige Menschen geäußert, diesmal die AfD wählen zu wollen, aus Protest. Ein Händler vom Markt habe ihr beim Aufbau des Lastenrad-Standes geholfen, aber gleichzeitig zu verstehen gegeben, dass er die SPD nicht wählen werde. „Die Quittung kommt dann bei der Wahl.“ Solche Sätze habe sie schon häufiger gehört. „Es ist schwierig, so eine Haltung abzuräumen bei fünf Minuten Espresso“, sagt sie und seufzt.
Trotzdem schickt sie ihren Parteikollegen mit einem Espresso rüber zu dem Händler. Auch das ist ihr wichtig: nett sein. In einer Zeit, in der Hass, Hetze und Polemik immer häufiger durchschlagen, komme es auch auf die kleinen Gesten an.
Deutlich mehr Briefwahlanträge im Kreis Euskirchen.
42.966 Menschen im Kreis Euskirchen haben nach Angaben der Kreisverwaltung in diesem Jahr Briefwahl für die Europa-Wahl beantragt. Das sind knapp 13.000 mehr als noch 2019. Auch die Zahl der insgesamt Wahlberechtigten ist deutlich gestiegen. Mit 156.054 sind es bei dieser Wahl etwa 35.000 mehr als bei der letzten Wahl.
Den höchsten Briefwahlanteil im Kreis Euskirchen verzeichnet die Gemeinde Hellenthal: 34 % der Wahlberechtigten wollen hier ihr Kreuzchen lieber Zuhause machen. Mit einem Anteil von 24 % wollen in der Stadt Zülpich die wenigsten Wählerinnen und Wähler ihre Stimme per Brief abgeben. Den höchsten Anstieg an Briefwählern verzeichnet Dahlem. Bei dieser Wahl haben 29 % der Wahlberechtigten einen Antrag auf Briefwahl gestellt, 2019 waren es nur 22 %.
Noch bis Freitagabend, 7. Juni, 18 Uhr, kann Briefwahl beantragt werden. Die Briefe müssen dann allerdings selbst beim Rathaus eingeworfen werden, denn mit der Post kommen sie nun nicht mehr rechtzeitig an. Gezählt werden nur die Stimmen, die bis Sonntag, 9. Juni, 18 Uhr, beim zuständigen Wahlbüro vorliegen.