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Eltern, Kinder, BürokratieDarum sind im Kreis Euskirchen viele Erzieherinnen gefrustet

Lesezeit 8 Minuten
Das Bild zeigt die Hände eines Kita-Kindes, das ein Lineal in den Händen hält. Auch Stifte und Papier sind zu sehen.

Sei glücklich – so steht es auf dem Kinderlineal. Viele Erzieherinnen sind das aber schon lange nicht mehr.

Die Zahl der Kita-Gruppen ist im Kreis Euskirchen in 14 Jahren von 258 auf 426 gestiegen. In Kuchenheim haben vier Erzieherinnen gekündigt.

„Ich würde den Job heute nicht mehr machen. Es macht keinen Spaß mehr“, sagt eine Erzieherin der Kuchenheimer Kita Lämmerland, die vom Träger „Kinderzentren Kunterbunt“ (Kiku) geführt wird. Rumms. Mehr als vier Jahrzehnte sei sie Erzieherin. Doch Spaß mache längst nur noch eine Sache: die Arbeit am Kind. Für den Nachwuchs und die Kolleginnen komme sie gerne in die Kita, für alles andere nicht. Die Arbeit als Erzieherin sei über die Jahre eine andere geworden – nicht erst seit der Corona-Pandemie.

„Die Arbeit einer Erzieherin hat sich extrem verändert. Die Bürokratie ist längst überbordend. Auch Kinder und Eltern haben sich verändert“, führt sie aus: „Leider nicht zum Positiven.“ Mit ihrer Meinung ist sie nicht allein. Das wird im Gespräch mit weiteren Erzieherinnen deutlich. Der Frust sitzt tief. Nicht nur, aber aktuell besonders in der Kiku-Kita in Kuchenheim. Der Grund: Nach Angaben des Trägers haben vier Erzieherinnen gekündigt, weil die Kritik einiger Eltern zu unverhältnismäßig, zu persönlich geworden sei.

Kita in Kuchenheim: Kritik einiger Eltern brachte Fass zum Überlaufen

Einige Eltern der Schäfchen-Gruppe hatten gegenüber dieser Zeitung Kritik an den kurzfristigen Schließungen oder Notgruppen geäußert, nachdem sie ihrer Meinung nach mit Gesprächen mit der Kita-Leitung nicht weitergekommen waren. Aber genau diese Eltern-Kritik brachte das Fass zum Überlaufen. Auch, weil die Arbeitsmoral der Erzieherinnen infrage gestellt wurde.

Ein Vorwurf, den die Erzieherinnen nicht auf sich sitzen lassen wollen. „Es gibt Eltern, die grüßen noch nicht einmal. Da ist einfach keine Wertschätzung“, sagt eine junge Erzieherin. Sie macht ihren Job nach eigenem Bekunden seit drei Jahren. Auch sie bereut an manchen Tagen den eingeschlagenen beruflichen Weg schon jetzt. Zuvor habe sie in einem Kinderheim gearbeitet, berichtet sie.

Man kann das nicht leisten, warum man den Job eigentlich gelernt hat. Dann ist man sehr unzufrieden.
Erzieherin in Kuchenheim

Des Schichtdienstes wegen sei sie nun an einer Kita. Erfüllend sei die Arbeit meist nicht mehr, sagt sie: „Man kann das nicht leisten, warum man den Job eigentlich gelernt hat. Dann ist man sehr unzufrieden. Vor allem, wenn man nicht mit den Kindern arbeiten kann, weil man sich um 1000 andere Sachen kümmern muss.“

Dieses ganze Drumherum gehe extrem an die Substanz, sagt die junge Erzieherin: „Ich liege manchmal um 17.30 Uhr zu Hause auf dem Sofa und schlafe, weil der Tag so unfassbar anstrengend war. Ich habe kein Privatleben mehr.“ Und sich dann auch noch von Eltern anschreien lassen müssen? Da werde eine Grenze überschritten. „Ich gehe doch auch nicht in den Supermarkt und schreie eine Kassiererin an, nur weil ich einen schlechten Tag habe“, sagt die Erzieherin, die vor allem die überhandnehmende Dokumentationspflicht nervt.

Seit Corona ist die Dokumentationspflicht gestiegen

„Seit Corona gibt es höhere Dokumentationspflichten, und es gibt statistisch mehr Krankheitstage pro Mitarbeiter. Dieser höhere Zeitbedarf im Leitungsteam und beim Personalpuffer wurde bisher nicht auf die Förderung übertragen, so dass Personalressourcen nicht geschaffen werden können“, sagt Stefanie Sorge, Leitung Unternehmenskommunikation der Kiku-Kinderzentren.

Eine Kita-Leiterin aus dem Kreis Euskirchen ergänzt: „Die Kolleginnen melden sich schneller krank als vor Corona. Und auch sehr kurzfristig. Das macht die Planung schwierig.“ Auch sie kritisiert die kleinteilige Dokumentationspflicht. Mitunter müsse jedes aufgeklebte Pflaster dokumentiert werden oder wann wie welches Kind gewickelt worden sei.

Das Bild zeigt ein Kindergartenkind, das sich die Jacke ausgezogen hat und darauf wartet, in die Gruppe gehen zu dürfen.

In einigen Kitas im Kreis Euskirchen werden die Betreuungsangebote weniger, weil die Fachkräfte weniger werden.

Allein das Nachhalten, wenn eine Gruppe in die Notbetreuung müsse, verschlinge „sehr viel wertvolle Zeit“, wie es Kiku-Leiterin Jennie Gawlik ausdrückt. Zeit, die eigentlich nicht da ist. Das sagt auch Rolf Klöcker, Kreis-Geschäftsführer des Deutschen Roten Kreuzes: „Weniger Bürokratie wäre sehr viel wert. Allein die Meldung, wenn es zu einer Reduzierung der Öffnungszeiten in einer Kita kommt, die ist sowas von umfangreich. Und das in einer Phase, in der sie ja eh genug zu tun haben, weil kein Personal da ist.“

Stefanie Sorge ergänzt: „Die Anforderungen im Bereich der Dokumentation sind sehr hoch geworden. Ein Abbau wäre sinnvoll. Hier reden wir aber über geringe Stundenkontingente von fünf bis zehn Stunden pro Woche, die man vermutlich einsparen kann. Es wäre gut, aber eine kleine Stellschraube.“ Weitere Stellschrauben seien bessere Einsatzmöglichkeiten und Refinanzierung von Auszubildenden.

Bei Tagesmüttern wird ein Unterschied bei der U3-Betreuung gemacht

„Aktuell zahlen die Träger der Kitas drauf, wenn sie ausbilden. Da es einen massiven Fachkraftmangel gibt, sollte man Ausbildung für eine Periode, beispielsweise für fünf Jahre, massiv fördern und zusätzlich refinanzieren, um dem Fachkraftmangel Abhilfe zu schaffen“, so Sorge.

Tagesmütter, führt Sorge aus, dürfen fünf U3-Kinder alleine zuhause betreuen, in der Kita dürfen sie es nicht. „In NRW dürfen Kinderpflegerinnen erst mit drei Jahren Berufserfahrung und nach Erwerb von 160 Fortbildungsstunden als Zweitkraft mit U3-Kindern arbeiten“, so die Expertin. Nachzuvollziehen seien die unterschiedlichen Herangehensweisen nicht.

Seit Corona habe sich auch der Umgang miteinander verändert, sagt eine Erzieherin aus Mechernich. Die Wertschätzung seitens der Eltern sei „enorm gesunken“, wie sie es ausdrückt.

„Die Kita wird von Eltern weniger als Ort der Bildung wahrgenommen, sondern als Aufbewahrungsort für die Kinder“, sagt die Leiterin einer Kita in Bad Münstereifel. Und dann gebe es noch Soziale Netzwerke, die ihr Übriges zum Miteinander beitragen würden. „Eltern schaukeln sich in Whatsapp-Gruppen hoch. Man muss aber nicht meinen, dass ein Gespräch mit der Kita-Leitung gesucht wird, um Missverständnisse aufzuklären“, sagt die Leiterin.

So habe man festgestellt, dass der Mineralwasserverbrauch in der Einrichtung stark gestiegen sei. Also habe man sich als Team darüber Gedanken gemacht, was den Kindern alternativ angeboten werden könnte – beispielsweise Tee.

Eltern schaukeln sich bei Whatsapp über Bad Münstereifeler Kita hoch

„Dann passiert das, was wohl leider normal ist. Ein Kind erzählt zu Hause, dass es im Kindergarten kein Wasser mehr zu trinken gebe. Das verbreitet sich via Whatsapp wie ein Lauffeuer. Dabei ist es schlicht falsch und wäre mit einem Gespräch schnell zu erklären gewesen“, so die Kita-Leiterin.

Und die Erzieherinnen? Die wollen vor allem eins: Kindern etwas beibringen. Was das an einem Tag aber ist, das sei mitunter schwer zu vermitteln – vor allem den Eltern. „Die wissen nicht, was ich mit den Kindern gemacht habe, wollen es aber wissen. Das ist eine Herausforderung. Mache ich davon Fotos, bin ich nicht ganz im Geschehen dabei, dann bin ich wieder in der Dokumentation. Das ist die Diskrepanz, die den Druck erzeugt. Ich möchte eine gute Pädagogin sein, das ist meine Erwartung. Dann haben die Eltern die Erwartung, dass ich mit dem Kind ganz viel mache. Aber entweder ich mache ein Foto mit dem iPad oder ich bin beim Kind und in dem Moment“, sagt eine Erzieherin der Kiku-Kita.

Wie es in Kuchenheim nach den vier Kündigungen weitergeht, ist noch nicht geklärt. Nicht wenige Eltern machen sich Sorgen, ob das Betreuungsangebot im kommenden Kindergartenjahr in der jetzigen Form weiterbesteht, wenn es tatsächlich vier Erzieherinnen weniger geben sollte. Ob beispielsweise eine Gruppe komplett geschlossen werden muss oder welche Lösungen intern diskutiert werden – dazu möchte sich die Kita nicht äußern.


Keine Ausbildung zur Erzieherin oder zum Erzieher am Berufskolleg in Kall

Die Zahl der Kindergartenkinder ist nach Angaben der Kreisverwaltung im Kreis Euskirchen zwischen 2010 und 2024 von 5456 auf 8238 gestiegen. Entsprechend ist im selben Zeitraum die Zahl der Kita-Gruppen im Kreis von 258 auf 426 angewachsen.

Daraus ergibt sich, dass auch die Zahl der benötigten Erzieherinnen und Erzieherinnen größer geworden ist. Aber: Auch im Kreis Euskirchen gibt es einen Fachkräftemangel. Deswegen hat sich der Kreis vorgenommen, künftig in den Berufsschulen in Kall und Euskirchen Erzieherinnen selbst auszubilden. Bisher war das in der Region nur am St.-Nikolaus-Stift in Füssenich möglich.

Am Thomas-Eßer-Berufskolleg in Euskirchen werden nach Angaben von Sven Gnädig, Pressesprecher des Kreises Euskirchen, eine Klasse „Konsekutiv Kinderpflege“ (schulische Ausbildung) und zwei Klassen „PIA Kinderpflege“ (praxisintegrierte Ausbildung) angeboten.

„In Kall wird es für das Schuljahr 2024/2025 noch keine Ausbildungsangebote für Kinderpflegerinnen und Kinderpfleger oder Erzieherinnen und Erzieher geben“, so Gnädig: „Bedauerlicherweise haben die Schülerinnen und Schüler der Klassen PIA Kinderpflege teilweise noch keinen Arbeitsvertrag mit einem Kita-Träger abschließen können. Hintergrund ist die noch nicht geklärte Weiterführung der Finanzierung durch das Land NRW.“

Wie viele Schülerinnen und Schüler letztlich ausgebildet werden und wie viele Klassen tatsächlich zustande kommen, kann laut Gnädig erst nach den Sommerferien festgestellt werden.

„Die Ausbildung von Fachkräften ist der Grundstein für eine professionelle pädagogische Arbeit in unseren Kitas. Ich freue mich daher sehr, dass es uns voraussichtlich gelingen wird, einen weiteren PIA-Kinderpflege-Lehrgang am TEB zu etablieren. Zusammen mit den Trägern müssen wir intensiv für einen tollen und wertschätzenden Beruf werben, um die Betreuung unserer Kinder auch in Zukunft bestmöglich gewährleisten zu können“, sagt Landrat Markus Ramers.

Laut Kreis gibt es aktuell und für das neue Kita-Jahr noch zahlreiche freie Plätze für Kinder unter 3 Jahren (U3) und über 3 Jahren (Ü3) in den neuen Kindertageseinrichtungen in Euskirchen: Kita „An den Herrenbenden“ und Kita „Weiße Erde“.

Auch in der Kindertagespflege sind noch Plätze verfügbar. Interessierte Eltern können sich gerne an die Mitarbeitenden des Kita-Navigators unter der Telefonnummer 02251/151303 oder per E-Mail an kitanavigator@kreis-euskirchen.de wenden. Alternativ steht auch das Familienbüro des Kreises Euskirchen unter den Telefonnummern 02251/15910 oder -507 sowie per E-Mail an familienbuero@kreis-euskirchen.de zur Verfügung.