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Mit BeinprotheseSo trotzen ein 30-Jähriger und Orgelbau Weimbs in Hellenthal dem Handicap

Lesezeit 6 Minuten
Das Bild zeigt den Schreiner an der Maschine. Er hat gerade ein Brett platziert, das nun bearbeitet werden soll.

Stefan Schlengel hat ein Bein verloren. Mit seinem Arbeitgeber, Orgelbau Weimbs in Hellenthal, hat er einen Weg gefunden, den Beruf auszuüben, den er so mag.

Beim Orgelbauer Weimbs in Hellenthal arbeitet Stefan Schlengel. Er hat ein Bein verloren. Die Herausforderungen meistern beide gemeinsam.

Stefan Schlengel arbeitet in der Firma Weimbs Orgelbau in Hellenthal als Schreiner. Da der 30-jährige Wollenberger eine Beinprothese hat, darf er nach den Richtlinien des Arbeitsschutzes nicht auf Leitern oder Gerüste klettern sowie auf Montage fahren – und kann dementsprechend nicht beim Aufbau von Orgeln eingesetzt werden. Schlengel kann aber bei der Herstellung von Orgeln mitwirken. Damit das möglich ist, hat sich das Eifeler Unternehmen einiges einfallen lassen.

In der Werkstatt im Hellenthaler Gewerbegebiet steht eine hochmoderne CNC-Holzfräse, die vornehmlich von Schlengel bedient wird. Dafür hat der Eifeler eine Fortbildung absolviert. „Die Arbeit macht mir unheimlich viel Spaß“, sagt der 30-Jährige.

18. Geburtstag bei der Chemotherapie im Krankenhaus verbracht

Schlengel erinnert sich gut an seinen 18. Geburtstag. Den verbrachte er im Krankenhaus bei der Chemotherapie. Ein Jahr zuvor war bei ihm Blutkrebs diagnostiziert worden. „Kurz vor der Diagnose hatte er bei uns seinen Ausbildungsvertrag unterschrieben“, erinnert sich Orgelbau-Chef Frank Weimbs: „Die Krankheit war für alle ein Schock.“

Was folgte, waren Ungewissheit, viele Krankenhausaufenthalte und noch mehr Therapien. „Auch für uns war das Ganze Neuland. Aber es war sofort klar, dass wir Stefan unterstützen – auf allen nur erdenklichen Wegen“, so Weimbs. Der erste und einfachste Schritt sei gewesen, den Ausbildungsvertrag auf Eis zu legen, bis Schlengel wieder gesund war.

Nach dem Krebs kamen der Krankenhauskeim und die Amputation

Doch als der Tumor am rechten Schienbein erfolgreich entfernt worden war, folgte der Rückschlag: ein Keim im künstlichen Kniegelenk. Nach vielen weiteren Krankenhausaufenthalten und noch mehr Antibiotika-Kuren traf der damals 22-Jährige die Entscheidung, sich den Unterschenkel amputieren zu lassen. „Seitdem ist alles gut. Es war definitiv die richtige Entscheidung“, sagt der Wollenberger, der von seinem Chef voller Anerkennung als „Holzwurm“ bezeichnet wird.

Doch wie schwer ist es für ein Unternehmen, einen Mitarbeiter mit einer schweren körperlichen Einschränkung zu beschäftigen? „Für mich war das alles neu. Damit waren wir noch nie konfrontiert“, sagt Weimbs. Er habe sofort die Berufsgenossenschaft mit ins Boot genommen: „Wir wussten ja noch nicht mal, ob wir ihn überhaupt ausbilden können. Wir waren diesbezüglich richtig doof.“

Das Bild zeigt Stefan Schlengel, wie er die CNC-Holzfräse bedient.

Der 30-jährige Stefan Schlengel hat bei der Firma Orgelbau Weimbs seine Ausbildung gemacht.

Doch es klärte sich alles – dank der externen Expertise. Die erhielt Weimbs nämlich auch beim Kreis Euskirchen, und zwar bei Monika Etzkorn von der Fachstelle des Kreises Euskirchen für behinderte Menschen im Arbeitsleben. „Was sie für Betriebe und die Menschen mit Einschränkungen in der Arbeitswelt leistet, ist unglaublich“, lobt Weimbs.

Etzkorn unterstützte das Unternehmen bei der Einrichtung des Arbeitsplatzes für den Schreiner und half dabei, Förderanträge zu stellen – beispielsweise für die hochmoderne CNC-Maschine. „Ich habe privat einen Förderantrag für eine Wärmepumpe gestellt. Das war komplizierter“, berichtet Weimbs.

Es hat sich unheimlich viel bewegt. Und mir wird nie langweilig.
Monika Etzkorn, über ihre Arbeit im Schwerbehindertenrecht

Während der Kreis beim Förderantrag für die Maschine half, unterstützte der Landschaftsverband Rheinland bei einem Förderantrag für einen neuen Stapler. Der Grund: Das Fahrzeug im Bestand der Firma hatte zwei Pedale – damit durfte Schlengel aufgrund seiner Prothese aber nicht fahren. So wurde ein neuer Stapler angeschafft. Den entsprechenden Führerschein wird der 30-Jährige nach eigenen Angaben zeitnah machen. Einen Termin bei der Fahrschule habe er bereits.

Expertin Monika Etzkorn bezeichnet das Orgelbau-Unternehmen in Hellenthal gerne als „löbliches Beispiel für Inklusion auf dem Arbeitsmarkt“. Und Etzkorn muss es wissen – schließlich ist sie nach eigenem Bekunden seit 45 Jahren im Schwerbehindertenrecht unterwegs. „Ich habe jede Gesetzesänderung mitgemacht“, sagt sie: „Es hat sich unheimlich viel bewegt. Und mir wird nie langweilig.“ Etzkorn berät im Auftrag des Kreises sowohl schwerbehinderte Arbeitnehmer als auch die Unternehmen – von großen Betrieben wie Procter&Gamble bis hin zu kleinen Start-ups.

LVR fördert schwerbehinderte Arbeitnehmer im Kreis Euskirchen mit 720.000 Euro

Die Pflicht zur Beschäftigung Schwerbehinderter besteht laut der Expertin für Unternehmen ab 20 Beschäftigten. Geschieht das nicht, wird eine Schwerbehindertenabgabe erhoben. „Das Geld geht in einen großen Topf beim LVR und kommt den schwerbehinderten Mitarbeitern zugute – beispielsweise bei der Ausstattung der Arbeitsplätze. Aber auch die Integrationsfachdienste werden davon bezahlt“, sagt Etzkorn.

Im vergangenen Jahr habe sie mehr als 720.000 Euro für schwerbehinderte Arbeitnehmer beim LVR angefordert und auch erhalten. „Das Ziel meiner Arbeit ist es, ein Gleichgewicht zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu erstellen. Das heißt, dass der Arbeitgeber glücklich ist, einen schwerbehinderten Mitarbeiter zu haben, und der Mitarbeiter sich darauf verlassen kann, seitens des Unternehmens bestmöglich gefördert zu werden“, erklärt Etzkorn.

Kobiz im Kreis Euskirchen fördert Übergange von Schule zur Arbeitswelt

Neben der Expertin für Schwerbehindertenrecht spielen auch die Wirtschaftsförderung und das Kommunale Bildungszentrum (Kobiz) des Kreises Euskirchen bei der Vermittlung von Menschen mit Einschränkungen auf den Arbeitsmarkt eine wichtige Rolle.

„Wir sind von der Politik gefragt worden, welches Konzept wir haben, um uns dem Thema Inklusion auf dem Arbeitsmarkt zu nähern“, sagt Sabine Sistig, Kobiz-Abteilungsleiterin. Zu Beginn habe das Kobiz ein Daten- und Faktenblatt erstellt. „Darüber haben wir ein Netzwerk aufgebaut. Uns war wichtig, alle wichtigen Akteure an den Tisch zu holen“, so Sistig: „Dabei hat sich herausgestellt, dass Monika Etzkorn unsere Lotsin ist.“ Ziel sei, „gelingende Übergänge“ zu gewährleisten – etwa von der Schule in die Arbeitswelt. Dafür werde man weiter die Werbetrommel rühren und beispielsweise Jobbörsen initiieren.

Iris Poth, Wirtschaftsförderin des Kreises Euskirchen, sagt: „Wir haben einen Fachkräftemangel. Dem können wir auch mit dem Beschäftigungspotenzial von Menschen mit Behinderung entgegentreten – sie bringen nämlich genauso viel Kompetenz mit wie Menschen ohne Einschränkungen“, sagt sie: „Das zeigt auch das Beispiel von Stefan Schlengel beim Orgelbauer.“


Kreis Euskirchen: 20.610 Menschen mit Schwerbehinderung

Nach Angaben des Kreises waren im Jahr 2021 im Kreis Euskirchen 194.701 Einwohner gemeldet – davon 20.610 Menschen mit Schwerbehinderung. 9010 davon waren im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 65 Jahren. Nach Angaben des Kreises gingen 1915 einer regulären Beschäftigung oder Ausbildung nach. Die meisten von ihnen, nämlich 387, im öffentlichen Dienst. 366 arbeiteten vor drei Jahren im Gesundheits- und Sozialwesen.

Wie Monika Etzkorn von der Fachstelle für behinderte Menschen im Arbeitsleben beim Kreis Euskirchen berichtet, waren im Kreis 26 Prozent der schwerbehinderten Menschen erwerbsfähig. Im November 2023 seien im Kreis 6010 Menschen arbeitslos gewesen – darunter 500 mit einer Behinderung. Aktuell seien rund acht Prozent aller Arbeitslosen im Kreis Euskirchen schwerbehindert. 58 Prozent von ihnen haben laut Kreisverwaltung eine abgeschlossene Berufsausbildung oder akademische Ausbildung.


Kreis Euskirchen: Aktionstag Schichtwechsel

Auch in diesem Jahr soll im Kreis Euskirchen wieder die Aktion „Schichtwechsel“ stattfinden. „Im Rahmen der Fachkräfteoffensive möchten wir hier auch den Blick auf Menschen mit Behinderungen legen, um sie in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren“, sagt Iris Poth, Wirtschaftsförderin des Kreises Euskirchen.

Der sogenannte Schichtwechsel fand bereits im vergangenen Jahr statt. Unter anderem tauschte Landrat Markus Ramers mit Simone Limbach den Job. Während Ramers in den NEW-Werkstätten in Zingsheim arbeitete, schlüpfte die Kallerin in die Rolle der Verwaltungschefin. „Der Aktionstag möchte Menschen mit und ohne Behinderung im Arbeitsleben näher zusammenbringen“, erklärt Poth: „Das größte Ziel des Aktionstags ist in Zeiten des akuten Fachkräftemangels aufzuzeigen, dass Menschen mit Behinderung wertvolle Arbeitskräfte sind.“

Für den Schichtwechsel am 10. Oktober 2024 werden noch Unternehmen gesucht, die dem Thema offen gegenüber stehen und Menschen mit Handicap die Möglichkeit geben, sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Ansprechpartnerin ist beim Kreis Laura Meyer, Stabsstelle für Struktur- und Wirtschaftsförderung, Telefon: 0 22 51/ 15 15 41.