Beim Faktencheck Integration im Kreis Euskirchen wurden Erfolgsstorys erzählt, aber auch die Probleme und Fehler deutlich benannt.
„Faktencheck“Was im Kreis Euskirchen gut läuft bei der Integration und was nicht
Hamburg war sein Traumziel, doch er kam nur bis Hellenthal. Aber auch in der Eifel entwickelte sich Sayed Nasibullah Sadat so gut, dass er inzwischen in beachtlichem Deutsch vor gut 80 Menschen über sich erzählen kann.
„Seit November 2022 wohne ich in der Corsten-Jugendhilfe“, berichtete er über seine Schullaufbahn in Deutschland, die in diesem Jahr mit dem Abschluss am Kaller Berufskolleg gekrönt werden soll.
Diese Geschichte einer gelungenen Integration wurde beim dritten „Faktencheck Integration“ im Euskirchener Casino am Mittwochabend mit Freude aufgenommen. Denn auch vor den Problemen, die Integration und Zuzug brachten, wurden hier nicht die Augen verschlossen – „das Ganze ohne rassistische Ressentiments, aber auch nicht in einer Wohlfühlrhetorik, die alles in Rosarot malt“, wie es Landrat Markus Ramers in seinem Grußwort als Ziel der Veranstaltung vorgab.
Erfolge und Misserfolge bei der Integration wurden deutlich benannt
So kamen neben den Erfolgsgeschichten auch die weniger schönen Fakten auf den Tisch – etwa der stark überproportionale Anteil nicht deutscher Tatverdächtiger in der Kriminalstatistik des Kreises, die der Leiter der Direktion Kriminalität bei der Kreispolizeibehörde, Ulrich Linden, vortrug (siehe auch „Kreisverwaltung Euskirchen nennt Zahlen, Daten und Fakten zur Integration“ weiter unten).
Doch was bedeuten diese Zahlen? „Zwischen Immigranten und Deutschen besteht eine unterschiedliche Kriminalisierungswahrscheinlichkeit“, bat Thomas Kreyes, Geschäftsführer von Vogelsang ip, zu berücksichtigen. Traumata im Herkunftsland oder auf der Flucht könnten ebenso ein Grund sein wie fehlende Perspektiven, lange Aufenthalte in separierten Unterkünften und fehlender Zugang zur Bildung und zum Arbeitsmarkt.
Es mangelt an Sprach- und Integrationskursen
Und da mangelt es nicht zuvorderst am Willen der Geflüchteten, wie Tobias Corsten betont. „Ein Großteil der jungen Menschen in diesem Bereich, die ich kenne, ist hoch motiviert“, sagte der Leiter der Corsten-Jugendhilfe in Hellenthal, die, wie andere Einrichtungen auch, im November 2022 auf einen Hilferuf des Kreises reagiert hat und sich seitdem um unbegleitete Jugendliche kümmert.
Immer wieder stoßen diese Menschen laut Corsten mit ihrem Ehrgeiz an Grenzen, weil es auch neun Jahre nach dem starken Zuzug 2015 etwa an Sprach- und Integrationskursen mangele. Dem beklagten Arbeits- und Fachkräftemangel sowie der Sozialzahlungen, die bei Eingliederung in den Arbeitsmarkt gespart werden könnten, zum Trotz.
Doch auch hier ist das Bild nicht schwarz oder weiß. Die Zahlen der Menschen, die über solche Maßnahme in den Arbeitsmarkt geführt wurden, sind gar nicht so schlecht, wie Melanie Wölkert, Teamleiterin von Jobcenter/Integration Point erläuterte. Doch es könnten auch mehr sein, wenn es mehr Kurse gäbe.
So bedarf es immer wieder auch der Aufmunterungen, wie sie Tobias Corsten beschreibt, wenn es den Betroffenen nicht schnell genug geht. Seitdem die Einrichtungen die Betreuung der unbegleiteten Jugendlichen übernommen hätten, habe sich vieles in den Häusern verändert, so Corsten: „Das gilt für alle Einrichtungen.“
Ziel sei es zum Beispiel, den jungen Menschen, der in die Einrichtung komme, verstehen zu können. „Mein Anspruch und der meiner Mitarbeiter war: Wir brauchen für jeden jungen Menschen, der bei uns aufgenommen wird, den anderen Erwachsenen, der seine Sprache spricht.“ Denn wenn es etwa um die Verarbeitung traumatischer Erlebnisse geht, sei die bloße Nutzung einer Übersetzungsapp ein „No-Go“.
Auf diesen Weg hat Corstens Einrichtung zahlreiche Mitarbeiter gefunden, die zum Teil selbst einen Flüchtlingshintergrund haben und die Sprache der neuen Mitbewohner sprechen – und das im doppelten Sinne. Womit Corsten eine elegante Überleitung zu einer zweiten Erfolgsgeschichte gelang.
Polizei nennt bedrückende Zahlen aus der Kriminalitätsstatistik
Azad Joulak berichtete den Teilnehmern, dass er seit 2015 in Deutschland lebe, zunächst in Udenbreth. Seine erste Herausforderung hier sei es gewesen, telefonisch einen Taxis-Bus zu bestellen, erinnert er sich. Das dürfte heute kein Problem mehr sein, denn seinen Vortrag hielt er in sehr gutem Deutsch.
„Ich habe Gas gegeben, ich wollte so schnell wie möglich die Sprache sprechen“, so Joulak. Trotzdem ihm die schulischen Abschlüsse aus Syrien nicht anerkannt wurden, machte er seinen Weg: etwa als Mitarbeiter des DRK in der Geflüchtetenunterkunft Vogelsang. „Uns fehlten Leute, die uns erklärten, was wir tun können“, berichtete der junge Mann. Über die Flüchtlingshilfe sei er dann in die Corsten-Jugendhilfe gelangt, wo er dem Leiter über seine Ziele berichtete.
„Herr Corsten hat gesagt: Wir schaffen das“, erzählte Joulak. Inzwischen ist er ausgebildeter Kinderpfleger und Gruppenleiter in der Corsten-Jugendhilfe – und betreut junge Menschen wie Sayed Nasibullah Sadat: „Das Erste, was er mir sagte: ,Ich will nach Hamburg'“, erzählte Joulak mit einem breiten Lachen.
Chef der Jugendhilfe Corsten in Hellenthal spricht deutliche Worte
Solche Erfolgsstorys sollten aber nicht über die Probleme hinwegtäuschen, betonte Tobias Corsten: etwa die Schwierigkeit, Abschlüsse aus den Herkunftsländern anerkennen zu lassen. „Es ist ja nicht so, dass wir uns vor Bewerbern nicht mehr retten können“, adressierte er den Fachkräftemangel, der auch sein Haus betreffe. Es brauche auch weiterhin Ehrenamtler, die den Menschen durch die Gesetze und Bestimmungen helfen: „Selbst ich verstehe da manches nicht.“
Zudem forderte Corsten eine bessere Alterserkennung, damit sich die Hilfe auch auf junge Menschen konzentrieren könne, und nicht von denen in Anspruch genommen werde, die augenscheinlich nur angeben, jung zu sein.
Dass Corsten bei aller Hilfsbereitschaft, die er als notwendig für alle Beteiligten und im Sinne der Menschenwürde erachtet, keineswegs blauäugig an die Sache herangeht, mag folgende Forderung belegen: „Wenn wir Störer haben, die nicht mitmachen, dann müssen wir denen auch sagen, dass sie hier nicht leben können.“ Umso besser könne man integrationswillige Menschen wie Azad Joulak, Sayed Nasibullah Sadat unterstützen – ob nun in Hamburg oder in Hellenthal.
Kreis Euskirchen nennt Zahlen, Daten und Fakten zur Integration
Rund 38.000 oder 19,2 Prozent der 197.000 Menschen im Kreis Euskirchen haben eine Einwanderungsgeschichte. Landesweit sind es laut Kreisverwaltung 31,6 Prozent. Mit 2878 machen die Menschen aus der Ukraine den größten Teil aus, Polen (1850) und Syrier (1590) stellen die zweit- beziehungsweise drittgrößte Gruppe. 7847 Menschen kommen aus EU-Staaten, 14.392 aus Drittstaaten.
Rund 2400 Geflüchtete aus den acht anerkannten Herkunftsländern (Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien) und 1158 aus der Ukraine wurden, Stand Juni 2024, in Integrationspoints betreut. Fast 900 Menschen kamen so seit 2022 aus der Arbeitslosigkeit: etwa 5 Prozent in schulische oder betriebliche Ausbildung, 12 Prozent mit vorheriger beruflicher Weiterbildung (Qualifizierung), 12 Prozent als Fachkräfte mit vorheriger Anerkennung und 70 im Helferbereich.
Im Kreis Euskirchen gibt es 25 Allgemeine Integrationskurse, sieben Alphabetisierungskurse und fünf Jugendintegrationskurse. Zum einem sind das zu wenig, weil 600 Plätze belegt werden und ein Bedarf von noch 750 Plätzen besteht, zum anderen, weil sich mit 24 der insgesamt 37 Kurse die Angebote in Euskirchen konzentrieren.
Auch die fünf vorhandenen Sprachkurse sind zu wenig. Rund 210 Kursplätze sind derzeit belegt, für weitere 160 Personen bestehe Bedarf, so Melanie Wölkert, Teamleitung Jobcenter/Integration Point.
Etwa 12.000 Straftaten gab es 2023 laut Ulrich Linden, Leiter der Direktion Kriminalität bei der Kreispolizeibehörde, im Kreis Euskirchen, davon wurden 57,5 Prozent aufgeklärt. Der Anteil der nicht deutschen Tatverdächtigen habe bei 29,5 Prozent (NRW-weit: rund 35 Prozent) gelegen, während der Anteil in der Gesamtbevölkerung bei zehn Prozent liege.
118 unbegleitete Jugendliche werden im Kreis betreut. Die Unterbringung in Gastfamilien ist seit 2015 stark geschrumpft auf derzeit 3. Gut ein Drittel lebt in Häusern des Betreuten Wohnens, 60 sind es in Einrichtungen der Heimerziehung.