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„Irrsinn“Kreis Euskirchen zapft 224 Fördertöpfe an – Politiker sind sauer über Bürokratie

Lesezeit 8 Minuten
Das Bild zeigt die wachsende Fassadenbegrünung an der Rettungswache am Kreishaus.

Die Fassadenbegrünung war ursprünglich am Abfallwirtschaftszentrum geplant, nun kommt sie an die Rettungswache am Kreishaus. 90.000 Euro Fördermittel sind dafür geflossen.

Die Politiker im Kreis Euskirchen fordern vom Land mehr Vertrauen, mehr Eigenverantwortung, weniger Bürokratie und weniger Fördertöpfe.

Die Akten des Kreisarchivs müssen gereinigt und restauriert werden. 2000 Euro soll es kosten, die historischen Unterlagen von Staub und Schimmelresten zu befreien oder die preußische Fadenheftung wiederherzustellen. Auch für solche Maßnahmen gibt es Fördermittel. Beim LVR-Archiv- und Fortbildungszentrum Brauweiler hat der Kreis einen entsprechenden Antrag gestellt.

Wie auch für 223 andere Projekte, bei denen er sich um Fördermittel bemüht – sei es von Land, Bund oder EU. Das Volumen reicht von eben jenen 2000 Euro bis zur insgesamt knapp 70-Millionen-Euro-Förderung für Projekte rund um die Kinderbildung und Tagespflege.

Förderregister des Kreises Euskirchen umfasst 264 Seiten

Zusammengefasst sind die 224 Projekte nun erstmals in einem Förderregister, das die Kreistags-Liste aus CDU, UWV und FDP in Auftrag gegeben hat. In die Erstellung der 264 Seiten umfassenden „Förderbibel“ waren nach Angaben der Kreisverwaltung alle Abteilungen und Stabsstellen eingebunden. Die Abfrage erfolgte im Januar.

Zentral gebündelt wurden die Meldungen in der Kämmerei. Hierfür und vor allem in jeden einzelnen Förderantrag investieren die Mitarbeiter beim Kreis viele Stunden Arbeit. Da der bürokratische Aufwand enorm ist, macht der Begriff vom „Förderirrsinn“ die Runde. Und die Politiker wollen nun ihre Schlüsse ziehen.

Geht es nach der UWV, läuft der Kreis nicht jedem Förderantrag hinterher

Franz Troschke, Fraktionsvorsitzender der UWV, sagt: „Das Förderregister hat wichtige Einblicke gegeben. Wir werden alles genau prüfen. Es ist aber schon jetzt festzustellen, dass wir in der Folgezeit Abstand nehmen müssen von Maßnahmen, nur weil sie zu 90, 80 oder 70 Prozent gefördert werden.“ Er habe immer prognostiziert, dass der Förderirrsinn das Geld der Kreisbürger vernichte.

„Nur weil in Brüssel, Berlin oder Düsseldorf irgendein Anreiz gesetzt wird, sich etwas anzuschaffen, was man im Grunde genommen gar nicht braucht, jagt man Fördermitteln hinterher“, so Troschke.

Landrat Ramers: Ohne Förderung wäre der Kreis nicht zukunftsfähig

Auch Landrat Markus Ramers (SPD) ist von der Förderbürokratie alles andere als begeistert. „Deutschland hat sich zu einem Land des Förderwahns oder des Förderirrsinns entwickelt. Allein die Anzahl von aktuell 224 Förderprogrammen, die wir als Kreis bespielen, zeigt, welch immenser bürokratischer Aufwand damit verbunden ist“, sagt er.

Hinzu kommen laut Ramers die Projekte, für die die Kommunen selbst tätig werden – Leader, Integrierte Handlungskonzepte für Innenstädte, für den Kampf gegen den Leerstand oder beim Hochwasserschutz. Ganz zu schweigen von den Wiederaufbauplänen nach der Flutkatastrophe, die etwa in Bad Münstereifel und Schleiden mehrere Hundert Maßnahmen umfassen und ein Volumen von mehr als 200 Millionen Euro haben.

Das Bild zeigt Landrat Markus Ramers vor dem Kreishaus, wie er sich ein E-Fahrrad ausleiht.

Landrat Markus Ramers würde gerne weniger Fördertöpfe anzapfen müssen. Auch das Eifel-E-Bike wird gefördert.

Der Landrat spricht wohl vielen Politikern aus der Seele, wenn er sagt: „Man muss sich das mal klarmachen: Wir müssen zunächst die Flut von Förderaufrufen durchforsten, um etwas Geeignetes für unsere Ideen zu finden. Dann folgt das meistens sehr aufwendige Antragsverfahren und zum Abschluss der genauso aufwendige Verwendungsnachweis. Und das ist nur das Bürokratiemonster auf unserer Seite.“ Beim Bund oder bei den Landesbehörden sitzen Ramers zufolge auch wieder Mitarbeiter, die das Spiel von der anderen Seite betrachten, korrigieren und bewerten. Das sei wie in der Schule.

Ich bin sicher: Vor Ort würden mindestens genauso gute Projekte verwirklicht – aber mit viel weniger Bürokratie.
Markus Ramers, Landrat

Ramers wünscht sich, dass EU, Bund und Land mehr Vertrauen in die örtlichen Entscheidungsträger haben und für eine bessere Grundfinanzierung der kommunalen Ebene sorgen: „Ich bin sicher: Vor Ort würden mindestens genauso gute Projekte verwirklicht – aber mit viel weniger Bürokratie.“

Er sagt jedoch auch: „Wer einen kompletten Verzicht auf die Inanspruchnahme der Förderprojekte fordert, gefährdet die Zukunftsfähigkeit des Kreises.“ Große Infrastrukturmaßnahmen wie die Sanierung von Kreisstraßen oder der Bau von Radwegen, Personalressourcen im Integrationsmanagement oder beim Kinderschutz sowie die Ideenfabrik seien ohne Förderung nicht denkbar.

CDU-Fraktionschefin Ute Stolz: „Brauchen keine Kindermädchen“

Ute Stolz, Fraktionsvorsitzende der CDU im Kreistag, ist ebenfalls nur wenig begeistert. „Es gibt immer mehr Förderprogramme, aber die Mittelzuweisungen für die alltäglichen Aufgaben reichen einfach nicht aus“, sagt sie: „Wir fordern, die Schlüsselzuweisungen anzupassen und dafür die Förderprogramme zu reduzieren. Unsere Kolleginnen und Kollegen vor Ort können rechnen und wissen, wie man verantwortlich mit Geld umgeht. Dazu brauchen wir keine Kindermädchen, die uns erklären, was gut für uns ist.“

Mehr direkte Zuwendungen würden bedeuten, dass weniger Verwaltungsaufwand betrieben werden müsse – das sei ein effektives Mittel, dem Personalmangel zu begegnen.

Klaus Voussem sieht bei Förderkulissen Vor- und Nachteile

Klaus Voussem ist seit 2010 Landtagsabgeordneter der CDU. Zahlreiche Förderbescheide hat der Euskirchener in den Jahren in den Kreis gebracht und an die frohen Empfänger überreicht. So gerne er auch durch den Kreis fährt und Hände schüttelt: Wäre es nicht sinnvoller, die Förderkulissen ein wenig herunterzuschrauben? Voussems Antwort: „Jein. Fördermittel sind grundsätzlich dazu da, bestimmte Projekte und Einzelmaßnahmen zweckgerichtet vor Ort zu unterstützen.“

Davon profitierten nicht nur Kommunen, sondern auch einzelne Bürger, Firmen, Institutionen und Vereine – für Projekte vom Dorfsaal über den Kunstrasenplatz bis zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen.

Das Bild zeigt Klaus Voussem im Kreishaus in Euskirchen.

CDU-Landtagsabgeordnete Klaus Voussem verteidigt die Fördertöpfe, spricht sich aber für einen Bürokratieabbau aus.

Teilweise handele es sich um Geld von unterschiedlichen Ebenen – EU, Bund und Land –, die erst gebündelt werden müssten und danach zumeist über die Bezirksregierung beantragt werden können. Ohne ein Mindestmaß an Kontrolle, wofür die Mittel, die immerhin überwiegend aus Steuergeld stammen, im Einzelnen verwandt werden, ginge es nicht, so Voussem.

Gemäß der Vereinbarung im aktuellen NRW-Koalitionsvertrag von CDU und Grünen sei eine interministerielle Arbeitsgruppe unter Leitung der Staatskanzlei dabei, den „Förderdschungel“ auf Landesebene zu lichten. Laut Voussem gibt es aktuell rund 1600 Förderprogramme. Die soll die Arbeitsgruppe sichten, bündeln und die Antragsverfahren vereinfachen: „Dies halte ich für sinnvoll und angesichts der Fülle der sonstigen Aufgaben für notwendig. Mit ersten Ergebnisse ist Mitte des Jahres zu rechnen.“

Der FDP fehlt eine klare Strategie bei der Beantragung der Fördermittel

Für die FDP-Fraktion sei das Förderregister „ein ganz zentrales Steuerungsinstrument“, sagt Fraktionschef Frederik Schorn: „Endlich haben wir einen Überblick, denn die Politik beschließt bisher neue Förderprogramme auf Antrag der Verwaltung, ohne die Gesamtlage dabei ausreichend zu kennen.“ Es fehle seit Jahren eine erkennbare Strategie bei der Beantragung von Fördermitteln.

Endlich haben wir einen Überblick, denn die Politik beschließt bisher neue Förderprogramme auf Antrag der Verwaltung, ohne die Gesamtlage dabei ausreichend zu kennen.
Frederik Schorn, Fraktionschef der FDP

Schorn: „Viel Klima und Integration, etwas Bildung, ein wenig Kultur – von allem ist etwas dabei.“ Häufig werden dem Liberalen zufolge Förderungen angenommen, weil sie eben da sind – das scheine eine verbreitete Denkweise zu sein. „Uns ist unklar, ob einige Programme aufeinander abgestimmt sind. Aus unserer Sicht ist aber die Nutzung von Fördermitteln nur im Ausnahmefall sinnvoll, und zwar dann, wenn sie auf strategische Ziele einzahlen“, so Schorn.

Kreis-SPD will Förderwahnsinn deutlich verschlanken

Die FDP hätte nichts dagegen, wenn eine Wasserstofftrasse durchs Kreisgebiet führt und es dafür Fördermittel gebe oder eine digitalere Verwaltung. Schorn: „Wir schlagen vor, bestehende Förderungen flächendeckend auslaufen zu lassen und ein mindestens einjähriges Moratorium für neue Förderungen einzuführen. Statt eigens Personal für das Ausfüllen von Förderanträgen einzustellen, wäre es sogar sinnvoller, auf die Förderung zu verzichten und eigenes Geld in die Hand zu nehmen.“

Thilo Waasem, Fraktionschef der SPD, fordert, dass der Förderwahnsinn deutlich verschlankt werde. Ganz auf Förderungen will er nicht. „Förderprogramme schaffen ja auch immer einen gewissen Anreiz, sich mit möglichen Projekten auseinanderzusetzen. Aber der personelle Aufwand dahinter ist schon enorm – auf den unterschiedlichsten Ebenen“, so Waasem.

Der Brandbrief von 355 Bürgermeistern an NRW-Ministerpräsidenten Hendrik Wüst (CDU) habe gezeigt, „dass viel Druck auf dem Kessel ist“, so Waasem: „Die kommunalen Aufgaben werden mehr, das Geld dafür muss man sich aber über Fördertöpfe holen.“


Rettungswache in Euskirchen wird für 90.000 Euro begrünt

264 Seiten ist das Förderregister des Kreises dick. Darin hat der Kreis sämtliche Projekte aufgelistet, für die er Fördermittel erhalten oder beantragt hat. Hier einige Beispiele:

Ein Projekt ist die Begrünung der Rettungswache am Kreishaus entlang der Fahrzeughalle und am älteren Gebäude. Installiert sind bereits ein Metallgestell samt einiger Rankhilfen. Auch die ersten Pflanzen wachsen bereits, das Bewässerungssystem funktioniert und die Erdarbeiten sind abgeschlossen.

90.000 Euro hat das bisschen Metall samt der anderen Leistungen gekostet. Allein dieses Projekt zeigt – abgesehen vom auf den ersten Blick großen finanziellen Aufwand –, wie viel Bürokratie hinter diversen Vorhaben steckt. Aus dem Förderregister des Kreises wird deutlich, dass der ursprüngliche Antrag gar nicht zur Begrünung der Rettungswache gedacht war. Am 21. Dezember 2022 erhielt der Kreis nämlich einen Zuwendungsbescheid vom NRW-Umweltministerium für die beantragte Fördersumme in Höhe von etwa 90.000 Euro.

Fördergelder für Lehrerfortbildungen und fürs Kalkarer Moor

Am 25. August 2023 kam dann der Änderungsbescheid an, weil der Kreis nicht mehr die Fassade das Abfallwirtschaftszentrums in Strempt begrünt wollte, sondern eben die Rettungswache am Kreishaus. Mit dem zweiten Änderungsbescheid aus Düsseldorf waren auch die letzten Unklarheiten beseitigt und der Durchführungszeitraum verlängert.

Mittlerweile sind die 90.000 Euro vom Ministerium an den Kreis geflossen. 41.000 Euro davon hatte die ausführende Firma im vergangenen Jahr erhalten, den Restbetrag im Februar. Da der Stichtag für das Förderregister der 31. Dezember 2023 war, ist die zweite Zahlung in Höhe von 49.000 Euro an das Unternehmen in der „Förderbibel“ noch offen.

Aus dem Sonderbudget Digitalisierung will der Kreis 3839,57 Euro für Lehrerfortbildungen haben. Der Kreis ist hierzu bereits in Vorleistung gegangen und hat einen Förderantrag ist gestellt, aber noch kein Geld erhalten.

Für die Betriebskosten von Kitas gibt es über das Kinderbildungsgesetz (Kibiz) Geld vom Land. Laut Martina Hilger-Mommer, Teamleitung Frühe Hilfen, Kindertagesbetreuung und Jugendarbeit, fließen über die Förderung allein 38 Millionen Euro in den Kreis – das entspricht einer Förderung von etwa 45 Prozent der Gesamtkosten. Der Kreis beantragt die Fördermittel und gibt sie dann an die jeweiligen Träger.

Auch die Sanierung der Straßen geht nicht ohne Förderprojekte. Gleiches gilt für den Neubau von Brücken – beispielsweise in Kolvenbach oder bei Palmersheim. Mehrere Millionen Euro fließen hierfür in den Kreis. Für die Umwandlung von 15 Hektar Ackerflächen in Grünland im Kalkarer Moor spekuliert der Kreis auf eine Förderung in Höhe von 52.710,19 Euro vom Land NRW.