Ab dem Schuljahr 2026/27 gibt es einen Rechtsanspruch auf einen OGS-Platz. Im Kreis Euskirchen hapert es bei vielen Punkten noch.
Quoten steigen, zu wenig RäumeSo geht es mit der OGS-Betreuung im Kreis Euskirchen weiter

Offene Ganztagsschule ist viel mehr als nur Betreuung. Nach Ansicht der Experten hat sie auch einen wichtigen Bildungsauftrag.
Copyright: Tom Steinicke
Eine gesicherte Ganztagsbetreuung an Grundschulen ist für viele Eltern die Voraussetzung dafür, Beruf und Familie vereinbaren zu können. Ab dem Schuljahr 2026/27 haben die Kinder einen Rechtsanspruch auf einen OGS-Platz. Dafür nimmt das Land NRW viel Geld in die Hand.
Ab dem kommenden Schuljahr soll die Zahl der OGS-Plätze nach Angaben des NRW-Schulministeriums von etwa 430.000 Schritt für Schritt erhöht werden – zunächst um 50.000. Zum Schuljahr 2028/29 sollen in NRW schließlich mehr als 600.000 OGS-Plätze zur Verfügung stehen. Dies reicht nach Berechnungen des Schulministeriums aus, um den Rechtsanspruch garantieren zu können. Ab 2027 werde NRW mehr als eine Milliarde Euro jährlich in den OGS-Ausbau stecken, heißt es von Schulministerin Dorothee Feller.
Was bedeutet der OGS-Rechtsanspruch für die Kommunen?
Der Rechtsanspruch auf eine Ganztagsbetreuung heißt, dass ab August 2026 alle Grundschulkinder der ersten Klassen einen Anspruch auf einen Ganztagsplatz haben. Dieser Anspruch wird jährlich um eine Klassenstufe erweitert. Ab dem Schuljahr 2029/30 hat dann jedes Grundschulkind Anspruch auf einen Betreuungsplatz im Offenen Ganztag.
Die Inanspruchnahme ist aber keine Pflicht – Eltern können selbst entscheiden, ob sie das Angebot der Ganztagsbetreuung wahrnehmen. Rechtliche Grundlage bildet das Ganztagsförderungsgesetz. Ziel ist es, die Betreuungslücke nach der Kita für Familien zu schließen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen. Auch die Kinder profitieren – für sie bedeutet das Bildungsangebot vor allem Chancengleichheit.
Gilt der Rechtsanspruch auch in den Ferien?
Ja, die Betreuung findet auch in den Ferien statt. Ganztagsschulen dürfen in den Ferien maximal vier Wochen schließen. Momentan haben die OGS-Träger die Möglichkeit, mit einem zu zahlenden Beitrag besondere Programme in den Ferien zu gestalten. Ob dies in Zukunft auch so sein wird, ist noch unklar.
Zülpichs Bürgermeister Ulf Hürtgen (CDU) sagte im Rahmen des „OGS-Gipfels“, der von der Kreis-SPD veranstaltet wurde, dass die Betreuungsquote in der Römerstadt bei 44 Prozent liegt – Tendenz steigend. „Die OGS ist in Zülpich eine Erfolgsgeschichte“, sagte Hürtgen. An drei von vier Standorten gibt es laut Hürtgen bisher eine OGS-Betreuung. Auch an der Grundschule in Sinzenich werde es zum neuen Schuljahr ein OGS-Angebot geben. Das verriet der Bürgermeister beim OGS-Gipfel.

In der Zülpicher Martinskirche wurde kräftig über den Ist-Zustand bei der Offenen Ganztagsschule diskutiert.
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Doch es gibt in Zülpich auch eine Baustelle. Der Träger der OGS an der Grundschule in Mülheim-Wichterich hat wohl finanzielle Schwierigkeiten. Wie eine Mutter auf dem OGS-Gipfel in der Zülpicher Martinskirche unter Tränen berichtete, mache sie sich große Sorgen, dass ihr Kind im kommenden Jahr nicht mehr betreut werden könne und sie deshalb ihren Job kündigen müsse.
Verwaltungschef Hürtgen nahm der Mutter die Sorge und berichtete, dass die Stadt „Geld in das System stecken wird, um den OGS-Betrieb im kommenden Jahr zu gewährleisten.“
In Schleiden nutzen 139 Kinder das OGS-Betreuungsangebot
In Schleiden beträgt die Betreuungsquote derzeit laut Bürgermeister Ingo Pfennings (CDU) am Grundschulstandort in Schleiden 37 Prozent, in Gemünd 40 und in Dreiborn 18 Prozent. Insgesamt werden 139 Kinder in der OGS betreut. „Ob der Rechtsanspruch auf Betreuung zu einer vermehrten Anfrage nach Plätzen führen wird, erscheint eher nicht der Fall. Vielmehr ergeben sich Bedarfe auch in Zukunft aufgrund der individuellen Familiensituation in Bezug auf den Umfang der Berufstätigkeit der Eltern sowie vorhandene Betreuungsstrukturen innerhalb der Familie. Insoweit ist von steigenden Zahlen auszugehen. Bis dato können alle Anfragen berücksichtigt werden und es gibt keine OGS-Wartelisten“, so Pfennings.
Die schwarz-grüne Landesregierung verzichtet auf ein von ihr selbst zunächst in Aussicht gestelltes Gesetz für den Ausbau der OGS-Betreuung. Stattdessen will sie die Ganztagsangebote für Grundschüler nur über Erlasse regeln. CDU und Grüne begründen dies damit, dass sie die OGS-Träger nicht mit Vorgaben überfordern wollten. Mit einem Gesetz, das Standards für Räume, Gruppengrößen, Mitarbeiterqualifikation, Personalschlüssel und Betreuungszeiten festschriebe, würde Eltern womöglich etwas versprochen, was nicht eingehalten werden könne.
Der Raumbedarf ist das große Problem an den Schulen.
„Der Raumbedarf ist das große Problem an den Schulen“, sagt Daniel Hermanns vom Deutschen Roten Kreuz (DRK). Als Träger betreut das DRK unter anderem Offene Ganztagsschulen in Zülpich und Dahlem. Aber es ist nicht nur das Raumangebot, das besser sein könnte. Als Träger stelle man häufig fest, dass Schule und OGS sich nicht als Einheit sehen. „Es fehlt oft das Miteinander und die Verzahnung. Man muss gemeinsam denken. So sollten Klassenräume zum Lernen da sein, aber auch den Zwecken der OGS genügen – also auch beispielsweise einen Ruhebereich haben.“ Das Zauberwort heiße in diesem Zusammenhang Multifunktionalität.
Finanzieller Rahmen ist für OGS-Träger herausfordernd
„Es müssten viele Dinge mal deutlicher geregelt werden“, sagt Hermanns vom DRK. Im Kindergarten sei durch das Kibiz und Co. alles sehr geregelt. In der OGS sei auf ein paar Seiten „alles und nichts“ beschrieben. „Es gibt keinerlei Vorgaben zur Gruppengröße, keinerlei Vorgaben zum Personalschlüssel oder den Qualifikationen der Betreuer“, so Hermanns.
Auch der finanzielle Rahmen sei für Träger einer OGS herausfordernd. „Wir sollen für 2000 pro Kind das Kind ein ganzes Jahr möglichst pädagogisch wertvoll fördern und betreuen. Das ist einfach nicht machbar“, so der DRK-Experte: „Wir brauchen eine feste Struktur. Es kann nicht sein, dass es von Kommune zu Kommune anders ist. Es geht hier schließlich um Kinder und die Zukunft.“
OGS-Angebote: Verantwortliche fordern, sich aufs Kind zu konzentrieren
Jochen Ott, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Landtag, wünscht sich eine Zusammenarbeit zwischen Jugendhilfe und Schule. „Bei der Jugendhilfe sagt man, dass Pädagogik und Bildung stärker ausgeprägt ist als in der Schule. Die Schulen sagen aber, dass sie die wirkliche Bildung machen, weil die ja abschlussrelevant ist. Wenn die entsprechenden Personen nicht gut miteinander klar kommen, hakt das ganze System“, so Ott.
Und wenn neben der Jugendhilfe noch ein Träger fürs Familienzentrum Schule hinzukomme und ein Träger für mögliche Inklusionshelfer, dann finde man nur ganz selten einen gemeinsamen Nenner. Daher benötige man eigentlich ein Gesetz, das OGS regele – verbindlich. „Wir müssen uns auf das Kind fokussieren“, so Ott.
Landrat Markus Ramers sagt: „Träger machen Verluste, wenn sie OGS betreiben, Städte und Gemeinden müssen trotz knapper Kassenlage zuschießen. Gleichzeitig brauchen Eltern eine gesicherte Betreuung. Für den Rechtsanspruch sind das keine guten Voraussetzungen.“ Die OGS sei ein gutes Beispiel dafür, dass Bund und Land in guter Absicht einen Rechtsanspruch auf den Weg bringen „und uns vor Ort bei der Umsetzung im Regen stehen lassen“, so der Landrat.
„Wir in Kall sind gut dran“, sagt Marianne Rütt, Leiterin der Grundschule in Kall. Sie wisse aber, dass das an anderen Standorten ganz anders sein könne. „Wir haben eben keine Einheitlichkeit“, so Rütt. An der Kaller Schule ist der Förderverein der Träger. Zudem gebe es einen regen Austausch mit der Kommune, berichtet Rütt: „Davon profitiert vor allem die Schule. Und noch mehr profitieren die Kinder.“ In Kall herrsche ein gutes Miteinander von Schule und OGS.
Offene Ganztagsschule: Was sagt der Blick in die Glaskugel?
„Die Quoten werden deutlich steigen“, sagt Zülpichs Bürgermeister Ulf Hürtgen. DRK-Mitarbeiter Daniel Hermanns ergänzt, dass dafür gar kein Rechtsanspruch nötig sei. In Zülpich und Dahlem seien die Quoten sprunghaft gestiegen – in Zülpich allein an der Chlodwigschule um 50 Kinder. In Dahlem seien es „fast eineinhalb OGS-Gruppen“ gewesen. Ein Grund, so Hermanns: „Wenn die Städter in die Eifel ziehen, tun sie das meist alleine. Also ohne Oma und Opa, die auch schon mal die Betreuung übernehmen können. Aber die Versorgung ist im ländlichen Raum nicht mehr so vorhanden.“
Rechtsanspruch gilt auch für Förderschulen
Der Rechtsanspruch auf einen OGS-Platz gilt auch für die Förderschulen im Kreis Euskirchen – beispielsweise für die Nikolausschule in Kall. Wie das in der Praxis funktionieren wird, ist aber noch offen. Nach Angaben von Schulleiterin Kathrin Kuhl geht es um eine knappe Stunde Betreuungszeit – von 15.15 bis 16 Uhr.
„Wohnt ein Kind in Hellenthal und muss dann abgeholt werden, haben weder Eltern noch Kind etwas von der Stunde, da sie die mehr oder weniger auf der Straße verbringen, weil offen ist, ob es einen Anspruch auf Transport gibt“, so Kuhl: „Wenn der Rechtsanspruch und der Ganztag an eine Betreuung in den Ferien gekoppelt wird, dann werden wir viele Anmeldungen haben.“

Die Nikolausschule in Kall ist zu klein. Die Förderschule des Kreises benötigt mittelfristig zwei Klassenzimmer. Dafür ist die Mehrzweckhalle nach der Flut wieder hergerichtet.
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Die Betreuung in den Ferien sei für Kinder und Eltern viel wichtiger, weil an der Nikolausschule eh bis 15.15 Uhr unterrichtet werde. „Aber Ferienbetreuung brauchen die Familien, weil es solche Angebote für Förderschulkinder kaum gibt“, sagt Kuhl: „Die Kinder können alle nicht alleine bleiben. Das Angebot der Ferienbetreuung ist nicht nur für Erstklässler wichtig.“ Aber wie der Rechtsanspruch konkret umgesetzt werden soll und ob er an die Ferienbetreuung gekoppelt wird – auf die Antworten wartet die Schulleiterin noch.