Nicht jeder Festwagen hat im Kreis Euskirchen schon sein Brauchtumsgutachten ausgestellt bekommen. Die Lösungen der Jecke sind individuell.
Historische FestwagenDarum geht es bei den Diskussionen zwischen Karnevalsvereinen und TÜV
Kumm loss mer fiere, nit lamentiere – durchaus ein Credo im Karneval. In den vergangenen Wochen wurde allerdings viel lamentiert und noch mehr diskutiert, damit im Straßenkarneval gefeiert werden kann. Vor allem wurde zwischen den Experten des TÜV Rheinland und Karnevalisten im Kreis um Brauchtumsgutachten und Betriebserlaubnisse für Festwagen teilweise sogar gestritten.
Der Grund: Die Gutachter schauen in dieser Session ganz genau hin. Das hatte zur Folge, dass viele Festwagen durchfielen und weder ein Brauchtumsgutachten noch eine Betriebserlaubnis erhielten. Letztere teilweise sogar nie hatten. Die Folge: Für manche Vehikel ist sechs Wochen, bevor der Straßenkarneval mitsamt seiner Festwagen überhaupt richtig Fahrt aufnimmt, schon Aschermittwoch.
Im Jahr 2023: Bundesweit fünf Tote bei Brauchtumsveranstaltungen
Doch warum schauen die Experten des TÜV Rheinland derzeit so genau auf Bremsen, Unterlagen und rutschfeste Böden auf den Festwagen? Nach Angaben von TÜV-Experte Dieter Lauffs liegt das am Jahr 2023. Da seien bundesweit bei Brauchtumsveranstaltungen fünf Menschen ums Leben gekommen. Lauffs spricht im Gespräch mit dieser Zeitung bewusst von Brauchtumsveranstaltungen – dazu gehört aber auch der Karneval. Um die Zahl der Todesopfer möglichst auf null zu reduzieren, setzten sich laut Lauffs im vergangenen Jahr die Minister zusammen. Das Ergebnis: die Bitte, bei Festwagen etwas genauer hinschauen und elf nicht mehr gerade sein lassen.
„Es gibt Festwagen, bei denen man sich fragt, wie die ein Brauchtumsgutachten erhalten haben. Die sind mit Personen, aber ohne Bremsen unterwegs“, berichtet Dieter Lauffs vom TÜV Rheinland im Gespräch mit der Redaktion: „Es gibt halt Vereine, die stecken unheimlich viel Geld in den Aufbau. Und da, wo es wichtig wird, wird gespart.“
Lauffs nimmt die Karnevalisten im Kreis Euskirchen aber in Schutz. Hier sei das nicht der Fall. Aber, so Lauffs, man habe auch im Kreis Euskirchen die eine oder andere intensivere Diskussion geführt – vor allem, wenn es um historische Karnevalswagen geht. Die alten Wagen machen auch in Euskirchen Probleme. Jochen Tews ist für die Euskirchener Prinzengarde mittlerweile eine Art TÜV-Experte.
Seit Donnerstagabend steht aber fest: Alle drei historischen Wagen gehen im Euskirchener Rosenmontagszug mit – wenn auch teilweise improvisiert. So wird ein historischer Karnevalswagen auf einen modernen Anhänger geschnallt, mit dem man beispielsweise Gebrauchtwagen von A nach B transportiert. Bei zwei weiteren Kutschen muss laut Tews in einem Fall eine Bremse montiert werden, in einem anderen Fall sind es zusätzliche Bremsscheiben.
Auch in Zülpich machen alte Festwagen den Vereinen große Probleme
Die Zusammenarbeit mit dem TÜV beschreibt Tews als konstruktiv. Was ihn aber besonders beeindruckt hat, ist der Zusammenhalt der Karnevalisten. Man sei zusammengerückt und habe sich über die Grenzen von Karnevalsgesellschaften hinaus über Ideen, Vorschläge und Herangehensweisen ausgetauscht. „Das war und ist schon stark. Dem Karneval hat es auf eine gewisse Art gutgetan“, sagt Tews.
Auch in der Römerstadt machten vor allem die alten Wagen Probleme. Sowohl bei der Prinzengarde als auch bei den Blauen Funken sorgten die historischen Fahrzeuge für einiges Kopfzerbrechen und für viele Stunden in der Werkstatt. Aber genau wie in Euskirchen gilt auch in Zülpich: Es wurden – teilweise individuelle – Lösungen gefunden. Wie die aussehen? Darüber hüllen sich zumindest die Blauen Funken in Schweigen. Die vergangenen Wochen seien zu nervenaufreibend gewesen, heißt es aus den Reihen der Karnevalisten. Man sei froh, dass es Lösungen gibt, mehr wolle man nicht sagen.
Dafür spricht Heinz Heimersheim. Der ist Vorsitzender der KG Feytaler Jecken, die den über die Region hinaus bekannten Lichterzug in Eiserfey veranstaltet. „Wir sind mit einem blauen Auge davon gekommen. Am Donnerstag haben wir alle Unterlagen vom TÜV erhalten“, berichtet Heimerzheim. Seine Frau Beate ergänzt: „Mehr Kosten, mehr Arbeit, mehr Zeit. Das haben alle, damit müssen wir jetzt leben.“
Bei den einzelnen Gruppen, die nicht an einen Verein angeschlossen sind, ist die Stimmung ebenfalls noch nicht auf dem Höhepunkt. „Uns wird es jedes Jahr schwerer gemacht. Die Kosten für den TÜV sind nicht wenig für eine kleine Gruppe. Für 100 Euro und mehr kannst du schon ordentlich Kamelle kaufen“, sagt Steffi Künstler, die mit einem Teil ihres ehemaligen Abijahrgangs beim Rosenmontagszug in Zülpich dabei ist.
Ob letztlich alle angemeldeten Teilnehmer beim Lichterzug dabei sein werden, könne er derzeit noch nicht sagen, sagt Zugleiter Heinz Heimersheim. Er gehe zwar davon aus, weil beim Stäänedanz vor allem moderne Fahrzeuge und Hänger zum Einsatz kämen, aber der TÜV sei bei anderen Gruppen wohl noch nicht so weit wie bei den Feytaler Jecke – das eine oder andere Brauchtumsgutachten stehe noch aus, so Heimersheim.
Mehr Kosten im Vorfeld bedeutet für die Gruppe, dass die Kamelle weniger werden, „weil wir gesagt haben: Lieber Qualität statt Quantität.“ Mit dem Bau des Festwagens habe man noch nicht begonnen, weil der TÜV noch nicht final grünes Licht gegeben habe. „Wir haben beschlossen, dass wir uns das noch ein Jahr anschauen und wenn uns der TÜV weiter nervt, dann lassen wir es ganz“, so die Zülpicherin.
Das sagt der TÜV Rheinland zur Diskussion um die Festwagen
Das Thema Brauchtumsgutachten ist kein neues. In der TÜV-Sprache heißt der regulatorische Nubbel für die Karnevalvereine: zweite Ausnahmeverordnung straßentechnische Vorschriften aus dem Jahr 2000. Seit 24 Jahren gibt es das entsprechende Merkblatt für Brauchtumsfahrzeuge. Dort ist auch zu lesen, dass die Fahrzeuge eine Betriebserlaubnis benötigen. „In der Vergangenheit ist man davon ausgegangen, dass die vorhanden ist, aber keiner hat nachgeguckt“, sagt Dieter Lauffs vom TÜV Rheinland.
Normalerweise müsste man die Festwagen ohne Betriebserlaubnis in den Originalzustand zurückversetzen. Also einmal komplett alles abbauen, beim TÜV eine Betriebserlaubnis erwirken und dann wieder zu Hammer, Akkuschrauber und Pappmache greifen, um aus dem Hänger wieder einen Festwagen zu machen. „Je nachdem, wie die Anhänger sind, ist das schwer bis unmöglich“, sagt Lauffs.
Entsprechend habe man nach Lösungen gesucht, die letztlich gefunden worden seien. Nun gibt es eine Betriebserlaubnis, die aber auf Brauchtumsveranstaltungen beschränkt ist. Es habe zahlreiche Info-Veranstaltungen für die Verbände und Vereine gegeben, berichtet der TÜV-Experte.
Das Interesse an den Veranstaltungen sei groß gewesen. Der eine oder andere habe es aber wohl auf die leichte Schulter genommen. Kriterien für eine Betriebserlaubnis seien nämlich deutlich strenger als bei einem Brauchtumsgutachten. „Wir haben auch mit den Zülpichern oft gesprochen – gerade auch wegen ihrer eisenbereiften Kutschen“, berichtet Lauffs.
Anforderungen in der Landwirtschaft sind andere als im Karneval
Das Thema Kutsche sei nicht neu. 2019 seien Kutschen im Kölner Karneval wegen starken Winds verboten gewesen. Als ein Jahr später Pferde zur Disposition standen, seien die Karnevalisten auf die Idee gekommen, die Kutsche einfach hinter einen Traktor zu spannen. „Nette Idee, aber nicht umsetzbar. Eine Pferdekutsche funktioniert nämlich anders als ein Kraftfahrzeuganhänger“, erklärt Experte Lauffs.
Das liege alleine an den Bremskräften des Traktors im Vergleich zu den Pferden. „Wir haben versucht, in allen Fällen individuelle Lösungen zu finden. Wir sind kein Karnevalverhinderungsverein“, sagt Lauffs: „Wir wollen, dass das Bruchtum weiterlebt. Ich kann nicht sagen, dass wir den Karneval mit Sicherheitsauflagen totschlagen wollen.“
Ein Anhänger, der in der Landwirtschaft zum Einsatz komme, müsse andere Richtlinien erfüllen als einer, der im Karneval eingesetzt werde. Da seien manchmal strengere Auflagen, um eine Betriebserlaubnis zu erhalten. Aber, so Lauffs: „Wenn man Zuckerrüben transportiert, braucht man keinen rutschfesten Boden. Wenn aber Menschen auf der Ladefläche stehen, die Kamelle werfen, ist das etwas anderes.“