Die Zahl der Wiederholer während der Schuleingangsphase ist auch im Kreis Euskirchen gestiegen. Auch Ausschneiden fällt vielen Kindern schwer.
GrundschuleKaller Schulleiterin wünscht sich Kita-Pflicht – Mangel an vielen Kompetenzen
„Eigentlich ist es schade, dass es keine Kindergartenpflicht gibt“, sagt Marianne Rütt, Leiterin der Grundschule Kall. Die Arbeit der Kollegen in den Kindertageseinrichtungen sei großartig und von enormer Bedeutung für den Übergang zur Grundschule. „In der Kita findet das soziale Lernen statt. Dort findet das Erlernen der Basiskompetenzen statt“, so die Grundschulleiterin.
Und genau diese Basiskompetenzen, beispielsweise im sozialen Bereich, aber auch bei motorischen Aspekten, wenn es etwa darum geht, etwas auszuschneiden, haben Rütt zufolge in den vergangenen Jahren gelitten. Mit dieser Meinung ist die Eifelerin nicht allein. Auch Torsten Wanasek, Leiter der Hermann-Josef-Grundschule in Euskirchen, sieht es so.
Kreis Euskirchen: Grundschülern fehlen soziale und motorische Kompetenzen
Die Folge dieser Entwicklung: Viele Kinder in der Schuleingangsphase werden ihr Klassenziel nicht erreichen. Sie bleiben deshalb aber nicht sitzen, sondern durchlaufen die Schuleingangsphase in drei anstatt in zwei Jahren – ohne dass es sich in irgendeiner Form auf den Lebenslauf auswirkt.
„Da Kinder sich im Grundschulalter in ihrer Reife und Entwicklung enorm unterscheiden, gibt es die Schuleingangsphase, um diesen Reifeunterschied ausgleichen zu können“, erklärt Schulleiter Wanasek. So könne ein Kind, das schon besonders weit entwickelt sei, die Schuleingangsphase in einem Jahr durchlaufen. Dagegen könne ein Kind, das ein wenig mehr Zeit benötige, die Schuleingangsphase in drei Jahren absolvieren.
Und das tun mehr Kinder als noch vor ein paar Jahren. Eine genaue Zahl gibt es für den Kreis Euskirchen nicht. „Die Zurückstellungen in der Schuleingangsphase finden schulintern statt und werden von uns nicht erfasst“, erklärt Bärbel König, Leiterin des Schulamtes im Kreis Euskirchen. In Köln ist das anders. Dort offenbaren sich alarmierende Zahlen:
Nach derzeitigem Stand werden 850 Schülerinnen und Schüler die erste Klasse wiederholen müssen. Das ist die Zahl der Kinder, die die Kölner Grundschulleitungen dem Schulentwicklungsamt für ihre Planung gemeldet hat. Das ist ein Drittel mehr als im Vorjahr und bedeutet einen Rekordwert von 8,5 Prozent aller Erstklässler.
Auch im Kreis Euskirchen schrillen die Alarmglocken – auch wenn sich die Schulleiter einig sind, dass man hier von Kölner Verhältnissen weit entfernt sei. „Wir sind aber schon ein wenig verzweifelt. Wir haben so viele Förderkurse, in denen wir mit den Kindern gezielt an den Defiziten arbeiten. Wir schaffen es aber nicht, diese immer aufzufangen“, so Rütt.
Freiwilliges Wiederholen der zweiten Klasse erweist sich als Glücksfall
So manches Kind habe zudem nur geringe bis gar keine Sprachkenntnisse, heißt es von den Schulleitungen im Kreis Euskirchen. „Wenn ich denen die Buchstaben A wie Apfel und B wie Baum vermitteln will, funktioniert das nicht. Sie wissen nämlich nicht, was ein Apfel ist, weil sie das Wort nicht kennen“, sagt eine Euskirchener Schulleiterin. Hinzu kommt nach Aussage mehrerer Schulleitungen „eine massiv abnehmende Konzentrationsfähigkeit der Kinder“.
Sehr viele Schülerinnen und Schüler könnten nur noch wenige Minuten fokussiert an etwas arbeiten. Stichwort „Soziale Kompetenzen“: Lernvoraussetzungen wie Zuhören oder Ausredenlassen seien oft nicht vorhanden. Der eine oder andere Schulleiter führt das im Gespräch mit dieser Zeitung auf die Nutzung von Smartphones und Tablets zum Spielen zurück.
Anna Jaster (Name geändert) hat zwar nicht die erste Klasse wiederholt, aber auch sie nutzt die Chance, dass die Schuleingangsphase auf drei Jahre ausdehnbar ist. „Wir haben das freiwillig gemacht, weil wir nicht wollten, dass Anna immer mit Hängen und Würgen durchs Schuljahr kommt“, erklärt ihre Mutter Nadine. Der Schritt, ihre Tochter wiederholen zu lassen, sei keinem leichtgefallen. „Wir hatten Nervenzusammenbrüche, Krokodilstränen und Leid. Das war schlimm und nicht einfach. Wir haben oft mit unserer Tochter geweint“, sagt Nadine Jaster.
Auch wenn man es anders verpacke, anders benenne – unterm Strich fühle es sich zunächst doch wie ein Sitzenbleiben an, weil man aus dem gewohnten Klassenverbund herausgerissen werde. Zumindest dann, wenn nicht jahrgangsübergreifend, sondern jahrgangsbezogen unterrichtet werde.
Vor dem Sitzenbleiben: Schulkinder hospitieren in der neuen Klasse
Die Tränen seien mittlerweile getrocknet und die freiwillige Rückstellung habe sich gelohnt, berichten sowohl Anna als auch ihre Mutter im Gespräch mit dieser Zeitung. Weil auch altersmäßig weiterhin kein Unterschied bestehe. Und das vermeintliche Sitzenbleiben auch eine Chance ist. „Dadurch hat sie ihren Freundeskreis erweitert, neue Hobbys dazugewonnen und ist auch selbstbewusster geworden“, so Nadine Jaster.
Auch an der Hermann-Josef-Schule in Euskirchen wird regelmäßig die Chance genutzt, das erste oder zweite Schuljahr noch einmal zu durchlaufen. „Auch wir merken, wenn ein Kind regelmäßig in die Kita gegangen ist oder eben nicht“, so Wanasek: „Die Kinder, die in die Kita gehen, kommen mit einem guten Gerüst in die Schule. Die anderen haben Defizite.“
Landes-SPD fordert verpflichtendes Vorschuljahr
Wenn die Defizite zu groß sind, ein Übergang von der zweiten zur dritten Klasse zum Problem werden könnte, läuft in der Hermann-Josef ein bewährter Prozess an. „Schulleitung, Klassenlehrerin und Eltern legen dann eine gemeinsame Verfahrensweise fest“, erklärt Wanasek: „So kann das Kind in der neuen Klasse schon mal eine Art Hospitation machen und erste Beziehungen aufbauen, um es keinen kompletten Kaltstart sein zu lassen.“ Das Konzept habe sich bewährt, sagt Wanasek: „Die positive Rückmeldung der Eltern liegt bei 100 Prozent.“
Schulamtsleiterin Bärbel König spricht sich für einen Verbleib in der Schuleingangsphase aus, „wenn eine Schülerin oder ein Schüler noch nicht für eine Versetzung in die Klasse 3 geeignet ist. Dies ist dann der Fall, wenn noch nicht in allen Fächern mindestens ausreichende Leistungen erbracht wurden.“
Zurück zur Kita-Pflicht, die sich nicht nur Marianne Rütt von der Kaller Grundschule wünscht. Die Landes-SPD fordert zwar keine Kita-Pflicht, aber ein verpflichtendes Vorschuljahr in der Kita und nennt es ein „Chancenjahr“.
Im NRW-Schulministerium hat man den grundsätzlichen Handlungsbedarf wohl erkannt. Schulministerin Dorothee Feller (CDU) erarbeitet derzeit ein standardisiertes Testverfahren für das Anmeldeverfahren der Grundschulen, mit dem die Sprachentwicklung bei der Schulanmeldung erfasst werden soll. Daran anschließend müsse eine gezielte Sprachförderung folgen, hieß es aus dem Ministerium. Zudem wird Englisch seit dem Schuljahr 2022/23 ab der dritten Klasse unterrichtet und nicht mehr ab der ersten Klasse.
Mütter stellen ihren Söhnen ein gutes Zwischenzeugnis aus
Das erste Schuljahr – ein großes Abenteuer. Die Redaktion begleitet die Grundschüler Lion, Niilo und Mats sowie ihre Eltern auf ihrer Reise durch das erste Schuljahr. Die Einschulung hat gut geklappt, die ersten Hausaufgaben sind erledigt. Das Abenteuer Schule ist für die i-Dötzchen in vollem Gang. Mittlerweile haben die drei Jungs auch ihren ersten Elternsprechtag hinter sich.
Ein Halbjahreszeugnis gibt es in der ersten Klasse zwar nicht, aber das erste Halbjahr ihrer Schulzeit liegt dennoch hinter ihnen. Zeit für eine kleine Bilanz.
Britta Franzen stellt ihrem Sohn Mats ein gutes Zeugnis aus. „Was die Kinder im ersten Halbjahr gelernt haben, ist einfach der Wahnsinn“, sagt die Holleratherin: „Mats liest mir abends jetzt immer etwas vor. Natürlich braucht man noch ein wenig Geduld, aber das macht mich schon stolz.“
Beim ersten Elternsprechtag sei sie ein wenig aufgeregt gewesen, gesteht die Mutter: „Natürlich lässt sich Mats gerne ablenken. Aber welches Kind tut das nicht?“ Das Lieblingsfach des jungen Eifelers sei Mathe. „Da sind die Hausaufgaben immer besonders schnell erledigt“, berichtet Franzen.
Auch Lion geht gerne in die Grundschule. „Meine Bedenken waren, dass das mit den Hausaufgaben nicht so klappt, aber das ist überhaupt nicht der Fall“, freut sich Lions Mutter Sandra Preiser.
Das „Lieblingsfach“ des jungen Zülpichers ist zwar nach wie vor die Pause, aber auch Mathe und Sport machen ihm viel Spaß, berichtet er.
Grundschule ist gut fürs Selbstbewusstsein
„Aber es gibt natürlich auch Tage, an denen er nur das Nötigste macht“, fügt seine Mutter hinzu: „Ich finde toll, dass er ganze Sätze lesen kann. Das macht einen beim ersten Kind natürlich sehr stolz.“
Die Lernmaterialien seien wirklich hervorragend, lobt die Zülpicherin. Vor dem Schuljahr habe man 50 Euro „Schulmaterialpauschale“ gezahlt. Davon werden Preiser zufolge Hefte und Lehrbücher von der Klassenlehrerin geordert. „Das ist ein tolles Konzept“, sagt die Mutter.
Niilo besucht die Grundschule in Kuchenheim. „Er ist durch die Schule unheimlich mutig und selbstbewusst geworden. Das ist eine sehr positive Entwicklung“, sagt Mutter Inken Hohmann. Ihr Sohn habe viele neue Freunde gefunden und entsprechend den Freundeskreis erweitern können. Und mit den Freunden wird auch schon mal gerne auf die Fahrt mit dem Schulbus verzichtet – stattdessen geht es dann zu Fuß nach Hause. Kunst und Sport sind die Lieblingsfächer des Weidesheimers, der unheimlich gerne liest und viel Zeit mit seinen Freunden verbringt.