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Dialog MittelstandBei Unternehmern im Kreis Euskirchen dominieren Unsicherheit und Skepsis

Lesezeit 6 Minuten
Im Hochregallager des Logistikzentrums von Papstar in Kall werden Pakete auf Paletten vollautomatisch durch eine Halle gefahren.

Das Vorzeigeobjekt des Logistikzentrums von Papstar in Kall ist das vollautomatische Hochregallager.

Rund 120 Unternehmer beteiligten sich am „Dialog Mittelstand“ des CDU-Bundestagsabgeordneten Detlef Seif bei Papstar in Kall.

Wo drückt die Unternehmer im Kreis der Schuh? Um mit den Mittelständlern ins Gespräch zu kommen, hatte der Bundestagsabgeordnete Detlef Seif (CDU) ins Logistikzentrum von Papstar in Kall eingeladen und seinen Kollegen aus der Berliner Fraktion, Ralph Brinkhaus, mitgebracht, der von 2018 bis 2022 CDU-Fraktionschef war. Rund 120 Teilnehmer waren gekommen, um sich rege an der Diskussion zu beteiligen.

Seif wurde nicht müde zu betonen, dass die Veranstaltung in Kall nicht als Wahlkampfveranstaltung konzipiert worden sei. Nach dem „Dialog Landwirtschaft“ im März vergangenen Jahres habe er in der nächsten Veranstaltung der Reihe den Kontakt mit den Unternehmern in seinem Wahlkreis suchen wollen. Im August, bei einer Besichtigung von Papstar, sei das Gespräch darauf gekommen, die Unternehmensleitung habe sofort zugestimmt. „Da war von einem Ende der Ampel noch nicht die Rede“, so Seif.

IHK-Geschäftsführer Michael F. Bayer warnt vor einer Depression

Tatsächlich hielten sich besonders Seif und Brinkhaus weitestgehend zurück mit Empfehlungen, wo denn das Kreuz auf dem Wahlzettel gemacht werden solle. Das war durchaus im Sinne das Gastgebers. „Das sollte keine parteipolitische Veranstaltung sein“, sagte Tom Kantelberg, Managing Director bei Papstar. Das Unternehmen wolle sich generell dem Dialog mit Politik und Wissenschaft öffnen. „Wir haben so die Chance, unsere Interessen zu zeigen“, erläuterte er. So werde derzeit auch die Verbandsarbeit intensiviert, um mit den Anliegen in Berlin und Brüssel gehört zu werden. Besonders in der Abwägung von Einweg gegenüber Mehrweg müsse differenziert werden, da sein Unternehmen für beides Lösungen habe.

Doch ob Wahlkampf oder nicht: Der Blick auf den Zustand der Wirtschaftsnation Deutschland ist bei einer derartigen Veranstaltung unausweichlich. Jeden Monat gingen rund 7000 Industriearbeitsplätze verloren, skizzierte Seif die Situation.

Fünf Männer sitzen bei einer Podiumsdiskussion in der Kaller Firma Papstar an einem Tisch.

Den Fragen der Eifeler Unternehmer stellten sich Ralph Brinkhaus (v.l.), Detlef Seif, Tom Kantelberg, Michael F. Bayer und Hermann-Josef Esser.

Zahlreiche Menschen sitzen auf Stühlen in einer Halle im Logistikzentrum von Papstar in Kall.

Rund 120 Zuhörer waren zu der Diskussionsveranstaltung „Dialog Mittelstand“ gekommen, die im Logistikzentrum von Papstar stattfand.

Mittlerweile gehe es in das dritte Jahr der Rezession, und es bestehe die Gefahr, dass daraus eine Depression werde, lautete die Warnung von Michael F. Bayer, Hauptgeschäftsführer der IHK Aachen.

Nach Beiträgen von Bayer, Kalls Bürgermeister Hermann-Josef Esser und Ralph Brinkhaus kamen die Unternehmen zu Wort. Offen sprachen sie die vielfältigen Probleme an, für die derzeit nach Lösungen gesucht wird. Deutlich wurde, dass Unsicherheit und Skepsis in Unternehmerkreisen die Stimmung dominieren. Von Aufbruchstimmung und der Hoffnung auf einen Neuanfang war wenig zu spüren. Und auch die beiden Bundestagspolitiker hielten sich mit vollmundigen Versprechungen zurück. Tatsächlich waren vor allem von Brinkhaus auch selbstkritische Töne zu hören.

Die Unternehmer im Kreis Euskirchen leiden unter zahlreichen Restriktionen

Einen ganzen Strauß an Problemen seiner Mitgliedsbetriebe präsentierte Bayer. Eine neue Bundesregierung müsse ernst machen mit positiver Wirtschaftspolitik: „Ein ,Weiter so' wird es nicht geben können.“ So litten die Betriebe unter den unterschiedlichen und zahlreichen Regularien – dadurch könnten sie international nicht auf Augenhöhe im Wettbewerb stehen. Auch fehle in Verwaltung und Politik eine schnelle und schlanke Arbeit, dagegen gebe es viele Restriktionen für die Unternehmen. „Der Goliath muss befreit werden“, so Bayer.

Die allseits bekannten Hemmnisse wurden angeführt: der Fachkräftemangel sowie der Zustand von Infrastruktur, Straßen und Bahn. Wichtig für den Fortschritt seien Forschung und Innovationen. Klimaschutz und Nachhaltigkeit seien dabei kein Widerspruch zu Wachstum – jedoch habe sich Deutschland nach Bayers Einschätzung in der Energiepolitik völlig verrannt. Unternehmen hätten von sich aus Interesse an Energiesparsamkeit.

Vor einem Szenario warnte der IHK-Geschäftsführer eindringlich: „Nehmen wir an, der 21. Bundestag kann das Ruder nicht herumreißen. Dann droht für den 22. Bundestag in vier Jahren eine Regierungsbeteiligung der extremen politischen Ränder.“

Kalls Bürgermeister sieht die Verwaltungen als „Opfer der Bürokratie“

Dass die Mitarbeiter in den Rathäusern der Städte und Gemeinden genauso unter der überbordenden Bürokratie leiden wie die Unternehmer, machte Kalls Bürgermeister Hermann-Josef Esser deutlich: „Wir sehen uns als Opfer der Bürokratie. Das Vergaberecht wird immer schlimmer.“ Es sei gedacht gewesen, alles billiger zu machen – tatsächlich aber verteuere es alles. Er schlug gar einen Demonstrationszug der Bürgermeister vor – vielleicht mit von den Landwirten geliehenen Traktoren nach Berlin oder noch besser nach Brüssel.

Einfache und langfristige Ziele müsse die Politik sich vornehmen, forderte Brinkhaus. Ein Koalitionsvertrag dürfe nur drei Seiten haben: eine Seite mit Zielen, eine zweite mit roten Linien, die nicht überschritten werden dürften, und schließlich eine dritte Seite mit der Ministeriumsverteilung. In der Praxis seien es aber rund 80 Seiten mit 500 Maßnahmen. „Wir verzetteln uns in Diskussionen, die mit Zielen nichts zu tun haben, und sind nicht in der Lage, Ziele zu priorisieren“, bemängelte Brinkhaus.

Unternehmer schildern ihre alltäglichen Probleme

Auch bemängelte er, dass in öffentlichen Verwaltungen viele Juristen arbeiten, die aber nicht dafür ausgebildet seien, innovativ zu sein. Von Vorteil wäre es, wenn Mitarbeiter aus Verwaltungen in Betriebe wechseln könnten und umgekehrt. Derzeit sei es für Verwaltungen im Prinzip nicht möglich, begabte Hacker in die IT-Abteilungen zu holen, da diese oft nicht die Einstellungskriterien erfüllen. Auch sollten Gesetze in Zukunft einem Praxistest unterzogen werden – von Praktikern.

Er plädierte für die Schuldenbremse, weil sich ansonsten niemand bemühe, Gelder gut auszugeben. Eine doppelte Buchführung im Bundeshaushalt – und nicht „eine Buchhaltung wie eine Frittenbude“ – fordert er genauso wie eine zentrale Personalplanung. Brinkhaus stellte sich dann selbst die Frage, warum all dies nicht in den 16 Jahren geschehen sei, in denen die CDU an der Regierung gewesen sei: „Man erstickt im Tagesgeschäft, aber das entschuldigt nicht, dass man nicht über langfristige Ziele redet.“

„Es kommt auf Sie an“, forderte Seif die Anwesenden auf, nicht mit Kritik zu sparen. Was diese auch taten. Aus der nationalen Sicht ging es nun in den Unternehmeralltag und zu den vielen Probleme, die für Ärger sorgen. Über die Windkraft im Wald wurde gesprochen, mangelnder Arbeitswille von Bürgergeldempfängern moniert, der Fachkräftemangel angesprochen, aber auch konkrete Mängel wurden angesprochen wie ein nicht funktionierender ÖPNV, durch den Mitarbeiter nicht in den Betrieb könnten, oder ein zur Verabschiedung anstehendes Gesetz über die Schornsteinfeger, weshalb extra Daniel Fürst, Vorsitzender des Zentralverbands der Schornsteinfeger, nach Kall gekommen war.


Das Unternehmen

Ab 1969 baute Clemens Rick als Geschäftsführer das Unternehmen Papstar aus der in Schleiden-Olef insolvent gegangenen Pappenfabrik Oswald Matheis auf. Seit 2023 führt sein Enkel Tom Kantelberg in dritter Generation den Betrieb, nachdem er die Nachfolge seines Vaters Bert Kantelberg angetreten hat.

Auf einer Schaufel ist im Biokonverter der Kaller Firma Papstar recyceltes Material aus benutzten Trinkbechern.

Im Biokonverter wird aus benutzten Trinkbechern wieder ein wertvoller Rohstoff.

Papstar hat aktuell europaweit rund 1400 Mitarbeiter an neun Standorten und vertreibt rund 5000 verschiedene Produkte – vom Pappteller bis zur Mülltüte.

Seit 2009 widmet sich das Unternehmen zudem verstärkt dem Thema Nachhaltigkeit und hat Einweggeschirre entwickelt, die aus Maisstärke bestehen und nach dem Gebrauch kompostiert werden können. Dadurch stellen diese Produkte eine umweltfreundliche Alternative zum Mehrweg dar, wie Kantelberg betont.