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„Geliebt und verachtet“Kommerner Freilichtmuseum geht dem Phänomen „Kitsch“ auf den Grund

Lesezeit 3 Minuten
In einer Ausstellungsvitrine sind mehrere Gartenzwerge zu sehen. Einer stellt den Politiker Theo Waigel dar.

Der Gartenzwerg – egal, ob klassisch oder als Abbild von Ex-Finanzminister Theo Waigel – gilt als Inbegriff deutscher Spießigkeit und hat sich seinen Platz in der Kitsch-Ausstellung daher redlich verdient.

Auf 400 Quadratmetern geht die Sonderausstellung „Grässliche Glückseligkeit. Faszination Kitsch“ im Freilichtmuseum dem Phänomen „Kitsch“ nach.

Achtung, jetzt wird's kitschig: Im Kommerner Freilichtmuseum wurde die neue Sonderausstellung mit dem Titel „Grässliche Glückseligkeit. Faszination Kitsch“ eröffnet. Religiöser Kitsch, Kitsch aus Film („Sisi“) und Literatur (alles von Rosamunde Pilcher), Erinnerungskitsch, Einrichtungskitsch, erotischer und sogar politischer Kitsch – die Bandbreite der ausgestellten Objekte ist enorm.

Eins versucht die Ausstellung aber erst gar nicht. „Die Frage, was Kitsch ist, wollen wir mit der Schau gar nicht beantworten“, sagt Ausstellungsmacherin Ann Heinen: „Dafür ist der Kitsch-Begriff viel zu individuell.“ Jeder und jede hat also andere Vorstellungen davon, was als Kitsch gilt.

Ist Kitsch ein typisch deutsches Phänomen?

Klar ist hingegen, woher der Begriff kommt. „Der Kitsch-Begriff wurde in den 1870er-Jahren erstmals schriftlich erwähnt und stammt aus dem Milieu des Münchener Kunsthandels“, erklären die Ausstellungsmacher vom Kommerner Kahlenbusch die Wortherkunft. „Kitsch“ bezeichnete demnach minderwertige Kunst, die als Abklatsch höherwertiger Kunstwerke auf der Straße verkauft wurde.

Kuratorin Ann Heinen (l.) und Alina Hilbrecht bringen die Beschriftung an einem Ausstellungsexponat an.

Die Robbe Fridolin, die einst die Spitze eines Kirmes-Karussells schmückte, ist das Lieblingsstück von Ausstellungsmacherin Ann Heinen (r.). Mit ihrer Kollegin Alina Hilbrecht bereitet sie alles für die Eröffnung am Sonntag vor.

Als Lehnwort hat es der Kitsch dabei neben dem „kindergarten“ oder der „knackwurst“ sogar ins Englische geschafft. Ist Kitsch also ein typisch deutsches Phänomen? Ein Gang durch die Ausstellung macht deutlich, dass es Kitsch in aller Welt gibt – oder dass es zumindest überall Einrichtungsgegenstände, Kunsterzeugnisse oder Souvenirs gibt, die wir als „kitschig“ einordnen würden. „Heute steht Kitsch in unserer Wahrnehmung für das übertrieben Rührselige, Niedliche und Überflüssige“, so Heinen weiter – minderwertiger Ramsch aus Massenproduktion.

Kommerner Ausstellung zeigt auch Kitsch aus rheinischen Wohnzimmern

Dabei haben alle Objekte dann vielleicht doch eines gemeinsam: „Man schätzt ihren Wert nicht besonders hoch ein, aber man liebt sie irgendwie trotzdem“, versucht sich Kuratorin Ann Heinen an einer Erklärung, warum Kitsch in vielen deutschen Haushalten immer noch einen festen Platz hat.

„Das kann daran liegen, weil man ein Objekt von der Oma geschenkt bekommen oder geerbt hat, oder weil man eine positive Erinnerung damit verbindet.“ Ihren Weg in die Ausstellung haben so auch knapp 20 Objekte gefunden, die nicht aus dem Museumsfundus stammen oder extra für die Ausstellung angeschafft wurden.

Eine Ausstellungswand mit vier Schaukästen darüber und darunter hängen zahlreiche Fotos weiterer Exponate.

An der Schau, die den Titel „Grässliche Glückseligkeit. Faszination Kitsch“ trägt, konnten sich auch Privatleute beteiligen. Im Internet wurden die kitschigsten Stücke ausgewählt.

Es sind Stücke, die vor wenigen Wochen noch im Wohnzimmerschrank ganz normaler Menschen im Rheinland standen: Zu Jahresbeginn hatte das Museum dazu aufgerufen, Stücke aus dem eigenen persönlichen Umfeld für die Schau vorzuschlagen. Im Internet konnte man anschließend für seinen Favoriten abstimmen. „Die Objekte mit den meisten Stimmen werden hier ausgestellt“, freut sich Heinen über eine unerwartet große Resonanz auf die Mitmachaktion.

Ein offener Bücherschrank für die Ausstellungsbesucher

Zu sehen sind zum Beispiel der Brokat-Bezug fürs Wählscheiben-Telefon, ein drehbarer Lippenstift-Spender sowie jede Menge Keramik und Porzellan – natürlich auch in Form der „gelangweilten“ Engel aus dem berühmten Raffael-Gemälde der „Sixtinischen Madonna“.

Mitmachangebote gibt es auch noch in der laufenden Ausstellung: „In der Literatur-Abteilung haben wir ein offenes Bücherregal mit kitschigen Liebes-, Arzt- oder Heimatromanen. Da kann man reinlesen und die besten Stellen auf der Zitat-Pinnwand hinterlassen“, erklärt Heinen.

Ausstellungsstücke der Kitsch-Ausstellung: Ein Donald-Trump-T-Shirt, eine Angela-Merkel-Ente und eine Zitruspresse mit dem Konterfei der Ex-Kanzlerin.

Kitsch kann auch politisch sein – oder ist die Politik manchmal kitschig? Das Trump-Shirt und die Merkel-Ente sind es auf jeden Fall.

Und wer es kitschig, aber zugleich auch romantisch findet, ein Liebesschloss wie an der Kölner Hohenzollernbrücke in den Ausstellungsräumen zu hinterlassen, der kann am Museumskiosk entsprechendes Material erwerben. „Das gehört auch zum Erinnerungskitsch“, so die Kuratorin. Genau wie die klassischen Urlaubssouvenirs – von der althergebrachten Ansichtskarte bis zum Kühlschrankmagneten. „Hier steht eindeutig der Aspekt von Ramsch und Massenware im Vordergrund.“

Nur für Erwachsene: Erotischer Kitsch im Kommerner Museum

Massenhaft produziert wurden auch die schlüpfrigen Erotik-Streifen, die in den 1970er-Jahren den deutschen Heimatfilm ablösten. „Dem erotischen Kitsch haben wir daher ebenfalls einen Teil der Ausstellung gewidmet“, sagt Heinen. Dabei sind einige Schaukästen im unteren Bereich „verpixelt“, um sie vor den Blicken junger Ausstellungsbesucher zu schützen.

Die Ausstellung „Grässliche Glückseligkeit. Faszination Kitsch“ ist von Sonntag, 5. Mai, bis zum 15. März 2026 im LVR-Freilichtmuseum in Kommern zu sehen.