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Zeichen der ErinnerungIn Mechernich sind weitere acht Stolpersteine verlegt worden

Lesezeit 5 Minuten
Das Bild zeigt die Stolpersteine für Alice und Ernst David.

Zwei der insgesamt fünf Stolpersteine, die in Mechernich verlegt wurden.

In Mechernich sind acht weitere Stolpersteine verlegt worden. Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick sprach mahnende Worte.

Der Platz auf dem Bürgersteig an der Bahnstraße in Mechernich reichte kaum aus, als am Samstagmittag feierlich fünf Stolpersteine enthüllt wurden. Vier jüdische Mitbürger und ein Gegner des Nazi-Regimes lebten hier während des Dritten Reiches, bis sie von den nationalsozialistischen Machthabern deportiert oder gefangengenommen wurden.

Alle fünf wurden Opfer des Regimes. Auch die drei Mitbürger, für die in der Heerstraße Stolpersteine verlegt worden waren, wurden von den Nazis ermordet. Ihrer wird im Rahmen des Wegs der Erinnerung zur Pogromnacht am 9. November gedacht.

Gisela Freier beschäftigt sich mit dem Schicksal der Mechernicher Juden

Dabei handelte es sich um bekannte und beliebte Einwohner von Mechernich, die von den Machthabern terrorisiert und verfolgt wurden. Dr. Robert David war Hausarzt und sein Sohn Dr. Ernst David Zahnarzt, ihr Nachbar Andreas Girkens war Bäckermeister.

Das Schicksal dieser Menschen ist Gisela Freier seit vielen Jahren vertraut. Als Lehrerin der Hauptschule Satzvey hat sie vor etwa 20 Jahren begonnen, an die jüdischen Familien aus Kommern und Mechernich zu erinnern. Als die Schule 2010 die Patenschaft über den jüdischen Friedhof übernahm, sei ihr bei einem ersten Gang über den Friedhof ein schwarzer Grabstein auf einem Doppelgrab aufgefallen. Auf dem Stein habe nur ein Name gestanden, Bertha David. Da sei das Interesse erwacht, wieso fehlte auf der anderen Seite die Inschrift, habe sie sich gefragt, so Freier.

Mein Vater durfte nicht ins Jungvolk, weshalb er als Kind niemanden hatte, mit dem er spielen konnte.
Gabriele Wolters

So wurde das Schicksal der Familie David enthüllt. Ihr Sohn Ernst, der nur wenige Häuser weiter seine Praxis hatte, wurde mit seiner Frau Alice genauso Opfer des Naziterrors wie der mit der Familie befreundete Bäckermeister Andreas Girkens, der im Nachbarhaus von Ernst David wohnte. Keinen Hehl habe Girkens aus seiner Ablehnung der Nazis gemacht, berichten die Quellen, weswegen er von ihnen als „Judenknecht“ beschimpft, verprügelt und drangsaliert wurde.

Das Bild zeigt Nicole Besse, wie sie Geige spielt. Um sie herum stehen Menschen, die der Stolpersteinverlegung beiwohnen.

Nicole Besse begleitete die Enthüllung der Steine in der Bahnstraße musikalisch.

Auch ihr Großvater, Zwillingsbruder von Andreas Girkens, sei ein erklärter Gegner des Regimes gewesen, berichtete Gabriele Wolters, eine Großnichte von Girkens. Sie war mit Erika Körfer, ebenfalls einer Großnichte, aus Eschweiler mit zu der Enthüllung gekommen. „Mein Vater durfte nicht ins Jungvolk, weshalb er als Kind niemanden hatte, mit dem er spielen konnte“, berichtete Wolters. Deshalb sei er zum Spielen immer in das Kloster gegenüber gegangen.

Das Bild zeigt die drei Initiatoren der Stolpersteinverlegung in Mechernich.

Elke Höver, Gisela Freier und Rainer Schulz von der Arbeitsgruppe „Forschen-Gedenken-Handeln“ hatten die Stolpersteinverlegung in der Bahnstraße initiiert.

Oft sei die Familie während des Krieges nach Mechernich gefahren, um hier Nahrungsmittel zu beschaffen. Großonkel Andreas sei letztendlich 1944 angezeigt worden, er habe BBC gehört. Er wurde verhaftet und nach Köln in das Nazi-Gefängnis gebracht worden. Angeblich sei er dort drei Monate später an Lungenentzündung gestorben. Doch der Familie sei die Herausgabe des Leichnams verweigert worden, so die Großnichte.

Körper soll durch Misshandlungen kaum erkennbar gewesen sein

Laut mündlicher Überlieferung, so berichtete auf Anfrage Gisela Freier, soll der Leichnam nach Mechernich gekommen sein, mit der Weisung, dass der Sarg nicht geöffnet werden dürfe. Ein Friedhofswärter habe trotzdem hineingesehen und dabei festgestellt, dass der Körper von Girkens durch Misshandlungen kaum erkennbar gewesen sei. Unverkennbar schwebte das Gespenst der wiedererwachende Antisemitismus und Fremdenhasses über der Zeremonie.

„Die Wahlen im Osten zeigen, die Menschen suchen Sündenböcke“, sagte Bürgermeister Dr. Hans-Peter Schick in seiner Ansprache. Es dürfe nicht vergessen werden, dass die Untaten in Mechernich von Mechernichern verübt worden seien und andere Mechernicher diesen tatenlos zugesehen hätten. „Wir werden dem nicht tatenlos zusehen“, versprach er. Adolf Hitler habe, nachdem er 1933 von Reichspräsident Hindenburg zum Reichskanzler ernannt worden war, nur eineinhalb Monate benötigt, um die Demokratie mittels des Ermächtigungsgesetzes abzuschaffen. „Wehret den Anfängen“, warnte Schick.

Auf die Empfänglichkeit vor allem der jungen Generation für rechte Parolen wies der stellvertretende Landrat Leo Wolter hin. „Da zu wenig Geschichtsunterricht in der Schule gegeben wird, wissen die Jugendlichen nichts mehr aus dieser Zeit“, bemängelte er. Diese Unwissenheit dürfe so nicht hingenommen werden.


Drei Mitglieder der Familie Herz gelten als verschollen

62 Stolpersteine liegen mittlerweile im Stadtgebiet Mechernich. Neben Mechernich finden sich die kleinen, in den Bürgersteig eingelassenen Denkmäler in Kommern, Strempt und Hostel. Nun kamen in Mechernich acht Stolpersteine hinzu. Dr. Robert David war der Hausarzt der Mechernicher und hatte im Ersten Weltkrieg das Lazarett im Ort geleitet.

Nach dem Tod seiner Frau Bertha im Juli 1936 verschlechterte sich sein Gesundheitszustand zusehends. In der Pogromnacht 1938 versteckte er sich, war danach aber nicht mehr in der Lage, sich allein zu versorgen, so dass er 1939 nach Köln in ein jüdisches Altenheim übersiedelte. Am 9. Februar 1939 verstarb er im jüdischen Krankenhaus in Köln und wurde in Bocklemünd beerdigt. Sein Sohn Ernst David praktizierte als Zahnarzt in Köln und Mechernich. In der Pogromnacht auf den 10. November 1938 wurde er verhaftet und in ein Konzentrationslager verbracht.

Nachbarn in Mechernich schauten tatenlos zu

Bereits im September 1938 waren den jüdischen Ärzten die Approbation entzogen worden, so dass ihm die Lebensgrundlage entzogen war. Er zog mit seiner Frau Alice nach Köln. 1941 wurde das Paar nach Lodz deportiert und im Mai 1942 im Vernichtungslager Kulmhof ermordet. Bäckermeister Andreas Girkens ist als Gegner des Nazi-Regimes und von der Katholischen Kirche als Märtyrer anerkannt.

Immer wieder wurde seine Bäckerei beschmiert und er als „Judenknecht“ beschimpft. Sein Laden wurde 1938 zerstört und er verprügelt, was die Nachbarn tatenlos beobachtet haben sollen. 1944 wurde er wegen des verbotenen Abhörens eines Feindsenders festgenommen. Er starb drei Monate später in der Kölner Außenstelle des KZ Buchenwald.

Drei weitere Stolpersteine wurden in der Heerstraße verlegt. Dort lebten Max und Erna Herz mit ihrer Tochter Hilde. Ende April 1941 mussten sie aus ihrem Haus in das Haus Riesa in Kalenberg umziehen. In ihr Wohnhaus zogen „Volksgenossen“ ein, die die Miete nicht an die Eigentümer, die Familie Herz, sondern an die Amtsgemeinde abführten. Im Herbst 1941 wurden sie aus Mechernich deportiert. In seinem Buch „Kinder im Krieg“ berichtet Hans Josef Horchem, wie er seine Mitschülerin Hilde Herz auf dem Bahnsteig sah, sich aber nicht traute, sie anzusprechen. Alle drei Mitglieder der Familie Herz gelten als verschollen.