Das neue Rathaus in Euskirchen wird erst 2026 fertig. Die Vorbereitungen für den Umzug von 400.000 Archivalien laufen bereits auf Hochtouren.
UmzugsvorbereitungArchivalien aus 700 Jahre Euskirchener Stadtgeschichte werden verpackt
400.000 Archivalien werden größtenteils in zwei Kilometer Regalen aufbewahrt. Darunter sind 100.000 Meldekarten, 35.000 Akten, 520 Bände der Kölnischen Rundschau sowie des „Kölner Stadt-Anzeiger“ – und die Stadtrechtsurkunde aus dem Jahr 1302 sowie die originale Urkunde fürs Marktrecht aus dem Jahr 1322.
Wenn das Euskirchener Stadtarchiv vom jetzigen ins neue Rathaus umzieht, wird das für Sabine Dünnwald und ihr Team eine Mammutaufgabe. „Der Umzug von 700 Jahren Stadtgeschichte ist mit einem normalen Umzug nicht zu vergleichen“, sagt die Leiterin des Stadtarchivs.
Euskirchener Stadtarchiv wird sorgsam eingepackt
Dinge in irgendeine Kiste stellen, legen oder gar werfen? Womöglich nur mit „Stadtarchiv“ beschriften und den Mitarbeitern des Umzugsunternehmens in die Hände drücken? Nicht mit Sabine Dünnwald. Alles hat ein System, alles wird penibel genau beschriftet. Und lose in eine Kiste komme schon mal gar nichts, sagt die Stadtarchiv-Chefin.
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Entsprechend läuft die Planung für den großen Tag, der wohl eher eine große Woche werden dürfte, bereits auf Hochtouren. Dabei steht noch gar nicht fest, wann es soweit ist. In zwei Jahren soll die gesamte Verwaltung in das neue Rathaus hinter dem Bahnhof ziehen. Auch das Stadtarchiv zieht um – allerdings nur dann, wenn die raumklimatischen Voraussetzungen gegeben sind.
Beim Umzug ins neue Rathaus muss das Wetter stimmen
Solange die neuen Räume nicht die optimalen klimatischen Bedingungen für die historischen Dinge der Stadtgeschichte haben, werde nicht umgezogen. So müsse die Luftfeuchtigkeit stimmen, sagt Dünnwald. Auch auf die äußeren Bedingungen werde geachtet. Bei hohen Temperaturen und Sonnenschein, geschweige denn bei starkem Regen könne ebenfalls nichts von A nach B getragen werden. Das wisse das Umzugsunternehmen, das mit im Boot sitze und auf solche Umzüge spezialisiert sei.
Auf der Wunschliste fürs neue Archiv habe vor allem eins gestanden: mehr Platz. Das Stadtarchiv im Keller des Rathauses aus dem Jahr 1992 platzt längst aus allen Nähten. Wenn man die Regale aneinanderreihen würde, käme man auf eine Länge von zwei Kilometern, sagt Dünnwald. Im neuen Archiv werden es ihr zufolge vier Kilometer sein.
Weil die Verwaltungsarbeit immer digitaler werde und somit dicke Aktenordner mittelfristig der Vergangenheit angehörten, werde das wohl erst einmal reichen, sagt die Expertin. Im Archiv wird nämlich nicht nur Stadtgeschichte, sondern auch sämtliche Verwaltungsarbeit archiviert.
Doch die vorhandenen Akten ziehen natürlich mit um – wie alles, was sich im Stadtarchiv befindet. „Nur das Mobiliar bleibt wohl hier. Und das Regalsystem wird ebenfalls neu sein“, sagt Dünnwald, die die Leitung des Archivs vor drei Jahren von Dr. Gabriele Rünger übernommen hat. Mit Blick auf die 400.000 Archivalien sagt sie: „Ich denke schon lange nicht mehr in Kisten, sondern nur noch in Paletten.“ Kalkuliert wird von Dünnwald mit etwa 10.000 Kartons in den unterschiedlichsten Größen.
Der Fundus des Euskirchener Stadtarchivs wächst ständig
Wie viele das letztlich sind, ist aktuell nicht abzuschätzen. Auch, weil in den kommenden knapp zwei Jahren viele weitere Archivalien hinzukommen werden. Immer wieder, so Dünnwald, gebe es Schenkungen von Vereinen oder Bürgern, die beispielsweise im Keller etwas entdecken und zum Stadtarchiv bringen. Wann immer diese Dinge für die Stadtgeschichte interessant seien, würden sie aufbewahrt. So wachse der Fundus stetig weiter.
In diesem Fundus befinden sich seit einigen Jahren auch die Lieblingsstücke der Stadtarchivleiterin. Dabei handelt es sich um mehr als 100 Feldpostkarten und -briefe aus dem Ersten Weltkrieg der Familie Krischer, die an der Kommerner Straße lebte. „Das sind teilweise auch Liebesbriefe. Der Fundus erzählt das Leben der Euskirchener Anstreicherfamilie während des Krieges“, so Dünnwald: „Die Brüder ziehen mit ihren Schwägern in den Krieg. Und schreiben ihrer kleinen Schwester Anna immer wieder von der Front oder aus dem Lazarett.“
Die Stadtrechtsurkunde von Euskirchen liegt im Tresor
Darunter seien auch Karten ihres späteren Ehemannes, mit dem sich Anna Krischer während des Ersten Weltkriegs verlobt habe – auch das geht aus den Briefen hervor. Für Romantikerin Dünnwald seien diese Briefe ein ganz persönliches Highlight der Sammlung. Die Postkarten sind von Dünnwald ausgewertet und sortiert worden – und liegen nun in einem Karton.
In einem solchen liegt auch die Stadtrechtsurkunde. Das 32 mal 35 Zentimeter großes Pergament aus Kalbsfell in der im 14. Jahrhundert üblichen, gotischen Kursivschrift und in lateinischer Sprache befindet sich zudem aber in einem Tresor innerhalb des Stadtarchivs. „Dass Archive noch die Originalurkunde haben, ist äußert selten“, sagt Dünnwald. Dass es zudem die Marktrechturkunde gebe, sei dann noch etwas seltener.
In einem Briefumschlag liegen auch einige Negative in dem Tresor. Darauf ist der Brand der Synagoge in Euskirchen zu sehen. Fotografieren sei damals verboten gewesen. Daher seien die Bilder aus der Pogromnacht eine absolute Rarität. „Die Bilder waren sogar schon in New York“, sagt Dünnwald. Weil Aufnahmen aus dieser Zeit so selten seien, sei der Wert entsprechend groß. „Der Tresor wird mit umziehen – aber nur, wenn die Bedingungen im neuen Rathaus stimmen“, sagt Dünnwald.
Die werden aktuell schon penibel überwacht. Ein Messgerät zeichnet die Luftfeuchtigkeit permanent auf. Zudem stehen mehrere Trocknungsgeräte, die die Menschen aus der Zeit nach der Flut bestens kennen, in den Archivräumen. „Wir hatten hier oben an der Kölner Straße ja überhaupt nichts mit dem Hochwasser zu tun. Aber seit der Flut haben wir mitunter feuchtere Wände als vor dem Hochwasser“, erklärt Dünnwald.
Das neue Archiv hat einen Quarantäneraum
Doch nicht nur Feuchtigkeit ist für ein Archiv Gift. Auch Papierfische sind alles andere als gern gesehene Gäste. Die kleine Insekten, die Silberfischchen zum Verwechseln ähnlich sehen, fressen laut Dünnwald gerne Papier.
Im neuen Archiv wird es deshalb einen Quarantäneraum geben, in dem die neuen Materialien untersucht werden können, bevor sie archiviert werden. Im aktuellen Stadtarchiv sollte man sich hingegen besser nicht an den Türrahmen lehnen. Dort hat Dünnwald im Rahmen des Schädlingsbekämpfungsmanagements einen Klebestreifen angebracht, der die Insekten fernhalten soll.
Archivarbeit ist mittlerweile deutlich digitaler geworden
Und da die Archivarbeit deutlich digitaler geworden sei, werde es in den neuen Räumen auch eine neue Scan-Station geben, an der Bilder und Texte digitalisiert werden können. „All meine Wünsche sind erfüllt worden. Das liegt auch daran, dass die Verwaltung unsere Arbeit so wertschätzt“, sagt Dünnwald, die neben der Planung des Umzugs noch an einer Ausstellung in Kooperation mit dem Stadtmuseum zum 80. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs arbeite. Und Stolpersteine sollen im kommenden Jahr ebenfalls wieder verlegt werden.
Langweilig dürfte es dem dreiköpfigen Stadtarchiv-Team um Sabine Dünnwald also nicht werden. Die hat sich übrigens auch Tipps bei Heike Pütz, Leiterin des Kreis-Archivs, geholt. Dieses Archiv ist nämlich schon mal umgezogen, nachdem die Nebenstelle im Schleidener Rathaus geschlossen worden war. Der wichtigste Tipp von Pütz sei gewesen: alles in Kartons verpacken, die nur horizontal getragen werden dürfen.
Viele Familienforscher, aber auch Zeitungsleser
Zum Stammpublikum im Euskirchener Stadtarchiv gehören laut Leiterin Sabine Dünnwald vor allem Familienforscher. Immer wieder kommen Euskirchener, die sich durch die 100.000 historischen Meldekarten wühlen, um ein bisschen Licht ins Dunkel ihres Stammbaums zu bringen.
Nicht selten kommen Dünnwald zufolge auch Menschen ins Stadtarchiv im Euskirchener Rathaus, um Zeitung zu lesen – in diesem Fall alte Zeitungen. „Wir haben hier jede Zeitung seit 1837“, erklärt die Stadtarchiv-Chefin. Das Archiv sei aber dennoch nicht lückenlos, weil in den Anfangsjahren oft Wochenblätter erschienen seien.
Auch gebe es Ausgaben aus dem Zweiten Weltkrieg, die nicht im Bestand seien. Von 1949 bis heute gibt es im Euskirchener Stadtarchiv aber jede Ausgabe der Kölnischen Rundschau und des „Kölner Stadt-Anzeiger“ – konzentriert auf den Euskirchener Teil der Tageszeitungen.
Bevor das Archiv genutzt werden kann, muss ein entsprechender Antrag ausgefüllt werden. Die Benutzung des Stadtarchivs ist kostenlos. Das Stadtarchiv Euskirchen ist telefonisch unter 02251/14437 oder per E-Mail zu erreichen.