Geändertes Ausgehverhalten: Mit der Schließung des Musik-Pubs „Em Domi“ geht am 17. August in Mechernich ein Stück Kneipenkultur verloren.
NachtlebenWarum der Mechernicher Partymeile jetzt das endgültige Aus bevorsteht
Wer es selbst nicht miterlebt hat, wird sich heute nur sehr schwer vorstellen können, dass die Turmhofstraße in Mechernich bis in die späten 1990er-Jahre eine der berüchtigtsten Partymeilen im Kreis Euskirchen mit einem vielfältigen gastronomischen Angebot war: Von der Musikkneipe „Raumfrisch“, aus der später das „Domizil“ wurde, ging es in die Diskotheken „Die 2“ oder zum „Kumpel“. Bis spät in die Nacht hatten das Bistro in der nahen Felix-Gerhardus-Straße und die Kneipe „Op Spandau“ geöffnet, und in Bärbels Imbiss konnte man sich auch zu mitternächtlicher Stunde noch mit einer Portion Pommes oder den legendären Bratkartoffeln mit Knoblauchsauce stärken.
„Es war einfach eine ganz andere Zeit“, sagt Jürgen „Jojo“ Kastenholz. Der 50-Jährige stammt aus der Zülpicher Ecke, war als junger Mann aber auch regelmäßig zum Feiern auf der Mechernicher Partymeile unterwegs – so wie viele junge Leute, die damals aus dem ganzen Kreisgebiet nach Mechernich kamen.
„Die 2“ musste schon 2001 vor den Großraumdiscos kapitulieren
Kaum etwas erinnert heute noch ans glanzvolle Nachtleben von damals: Das Aufkommen der Großraumdiscos versetzte den Mechernicher Tanztempeln den Todesstoß – 2001 machte „Die 2“ erstmals die Schotten dicht. Warum es in der Turmhofstraße immer noch eine Stellfläche für Taxis gibt („freitags bis sonntags, jeweils von 22 bis 6 Uhr“) lässt sich auch nur mit Blick in die Historie erklären. „Aber damals ist bei mir der Grundstein für meinen Lebenstraum gelegt worden“, sagt Kastenholz. Doch diesen Traum trägt er am kommenden Wochenende zu Grabe.
Eine eigene Kneipe betreiben, das war der große Wunsch, den sich Kastenholz im Jahr 2019 erfüllte. „Das Domizil war zu dieser Zeit ziemlich abgerockt, das Inventar teilweise kaputt, und der Laden hatte einen schlechten Ruf“, blickt der Gastronom zurück. Ein Bekannter erzählte ihm, dass das Lokal zu verpachten sei. Kastenholz erinnerte sich an seine früheren Besuche, als die Musikkneipe noch eine echte Institution war, und schlug zu.
„Aus heutiger Sicht war das kein optimaler Zeitpunkt, um eine Kneipe zu eröffnen“, sagt Kastenholz, der viel Arbeit in einen Neuanfang steckte. „Vorher war in dem Laden die Billig-Schiene gefahren worden, was mir gar nicht gefallen hat. Ich wollte nichts ausschenken, was mir selbst nicht schmeckt und habe daher auf ein hochwertigeres Sortiment gesetzt und die Besucherklientel einmal durchsortiert“, erinnert sich Kastenholz an seinen Start. „Dabei hatte ich selbst keine wirkliche Gastro-Erfahrung – ich hatte als Jugendlicher nur mal gekellnert.“
Viel Arbeit in den Neuanfang gesteckt – aber dann kam Corona
Trotzdem zahlen sich seine Bemühungen schnell aus. Mit dem neuen Konzept und einem neuen Namen (aus dem Domizil wurde „Em Domi“) lockt er wieder ein musikbegeistertes Publikum an. Im Lokal läuft Pop und vor allem Rock, Auftritte von Livebands und Motto-Partys ziehen wieder mehr Gäste an. „Altersmäßig haben wir alle von 17 bis 70 angesprochen. Es lief schon richtig gut, aber dann kam Corona“, sagt Kastenholz mit einem bitteren Unterton.
Um die Zeit der Lockdowns zu überstehen, entschließt er sich zum Kauf des Gebäudes. „So musste ich keine Pacht mehr bezahlen“, erklärt der Gastronom diesen Schritt: „Es war das erklärte Ziel, die Kneipe unter allen Umständen zu erhalten.“
Doch auch nach der Pandemie gehen die Probleme weiter. „Seit ich die Kneipe 2019 übernommen habe, gab es kein Jahr mehr, das irgendwie normal gelaufen wäre“, spielt Kastenholz auf die gestiegenen Preise und die allgemeine wirtschaftliche Lage seit Beginn des Ukraine-Krieges an. „Die Leute gehen nicht mehr so oft weg, viele müssen mehr aufs Geld schauen – das merken natürlich alle Betriebe“, so Kastenholz.
Mechernicher Kneipe blieb für den Wirt stets ein Zuschussgeschäft
Privat hängt wegen des schleppenden Geschäfts immer öfter der Haussegen schief. „Es hat natürlich regelmäßig zu Diskussionen mit meiner Frau geführt, wenn ich Geld zuschießen musste, damit der Laden weiterlaufen kann“, berichtet der 50-Jährige: „Im vergangenen Jahr waren das immerhin 8000 Euro.“ Langsam, aber sicher kommt Kastenholz zu der unvermeidlichen Einsicht, dass er die Reißleine ziehen muss: „Es macht finanziell einfach keinen Sinn mehr. Deswegen ist jetzt Schluss.“
Es fällt Kastenholz nicht leicht, diesen Satz auszusprechen. Aber am kommenden Samstag ist es so weit: Irgendwann in der Nacht vom 17. auf den 18. August wird Kastenholz vielleicht zum letzten Mal die Kneipentür des traditionsreichen Lokals absperren. „Zu meiner Kindheit war dort eine Eisdiele“, erinnert sich der Mechernicher Horst Müller, der in den 50er-Jahren in der Turmhofstraße aufgewachsen ist.
Ein junges Publikum zog dann ab Mitte der 80er-Jahre das „Raumfrisch“ an, wo Mitglieder der Mechernicher Punk-Szene neben Poppern an der Theke saßen und Altbier tranken. „Kann sein, dass das so um 1984 losging. Das wären dann 40 Jahre“, vermutet Kastenholz, der noch nicht so genau weiß, was er mit seiner Immobilie nach der Kneipenschließung anstellen soll.
Stammgast Tommy: Kneipe als Wohnzimmer, die Gäste sind Familie
„Vielleicht funktioniert ein Irish Pub besser“, sinniert der Gastwirt. Er hat aber Zweifel daran, ob Mechernich der richtige Standort dafür wäre. „Am kommenden Samstag wird auf jeden Fall das Außenschild noch in der Nacht abmontiert und reingetragen“, erzählt der Wirt von den Plänen für das Ende seines Lebenstraums. Man kann sich vorstellen, dass dann so manches Tränchen fließen wird.
Auch Stammgast Tommy wird es bereits jetzt ganz anders, wenn er an das kommende Wochenende denkt. „Als ich erfahren habe, dass Jojo zumacht, war das eine Schocknachricht für mich.“ Seit der Übernahme durch Kastenholz sei das Domi sein zweites Wohnzimmer geworden. „Das war immer der Treffpunkt für mich und meine Freunde, wir waren wie eine Familie.“
Sein Wohnzimmer wird Tommy, dessen Platz an der Theke mit einem persönlichen Metallschild gekennzeichnet ist, aber dennoch in der Turmhofstraße 33a behalten: In diesem Jahr ist der Mechernicher in die Wohnung im ersten Stock über der Kneipe gezogen.
Mit Livemusik wird am Samstag, 17. August, die letzte Party im Mechernicher „Domi“ gefeiert. Einlass ist ab 19 Uhr, der Eintritt ist frei. Zu Gast ist die Band „Yve And The Others“ mit Sängerin Yvonne Leroy, die mehrere Jahre hinter der Theke des Domizils gearbeitet hat.