- Besucher in Schleiden-Wolfgarten konnten am Tag der offenen Tour spannende Eindrücke gewinnen.
- Bis in das Kontrollgangsystem der Urftalsperre drangen die Gruppen vor.
- Dabei mussten sie nicht nur 650 Stufen bewältigen, sondern teilweise auch ihre eigene Angst überwinden.
Schleiden-Wolfgarten – Das Interesse war enorm, die 65 für drei Führungen zur Verfügung stehenden Plätze waren innerhalb weniger Stunden vergeben. Diejenigen, die mit den Experten des Wasserverbands Eifel-Rur (WVER) ins Innere der Bogenmauer der Urfttalsperre gingen, hatten am Tag der offenen Tür eine spannende Tour und rund 650 Treppenstufen vor sich.
„Heute schon drei Mal.“ Auf die ein bisschen mitleidig gemeinte Frage, wie oft er denn die scheinbar endlosen Stufen ins Kontrollgangsystem der Talsperre ab- und aufsteigen musste, zuckte Stefan Neue nicht mal mit der Augenbraue. Der Talsperrenwärter leitete die drei Führungen mit jeweils rund 20 Interessenten. Da waren die üblichen Kontrollgänge noch gar nicht eingerechnet.
Talsperrenwärter läuft die 650 mehrmals am Tag
Und wie viele Stufen sind es bis zum unteren der beiden Kontrollgangstollen? „360 bis 365 etwa“, so Neue. Er habe sie immer mal wieder zu zählen versucht, sich aber jedes Mal verzählt. Der Talsperrenwärter wohnt oberhalb der Sperre in der Dienstwohnung. Er wird vom Überwachungszentrum des WVER in Düren per Telefon informiert: Wasser über den Grundablassstollen ablassen, Sperren schließen. „Das über Computer zu steuern, wäre einfach zu gefährlich. Die Verbindung könnte gehackt werden und von Außen in die Steuerung eingegriffen werden“, hatte Marcus Seiler vom WVER zuvor erklärt.
Wasser rein, Wasser raus – egal, Wasserdruck ist Wasserdruck. Das denkt man 15 Minuten später, als die Gruppe 60 Meter – also rund 20 Stockwerke – unterhalb der Mauerkrone des Bogenbauwerks im unteren Kontrollgang wieder so etwas wie ebenen, festen Boden unter den Füßen hat. Erst war’s eine Betonwendeltreppe im Brückenhäuschen, dann im ganz leichten Bogen weitere Stufen hinab entlang des Mauerwerks aus Grauwacke und Schiefer in Kalk-Sand-Trassmörtel.
Die Talsperre
Durch eine schmale Tür geht’s aus der Staumauer ins Tageslicht. Auf der kleinen Terrasse wird der Blick sofort von der sich spektakulär spannenden Bogenbrücke gebannt. Bis zu 58 Meter hoch und 226 Meter lang ist die Krone. Unter dem Übergang sind über die ganze Länge niedliche Rundbögen gemauert, als wär’s die Zinne einer Burg. „Als Kaiser Wilhelm II. 1906 hierhin kam, um sich die damals größte Talsperre Europas anzusehen, konnte man ihm ja nicht nur eine Mauer zeigen“, so Stefan Neue.
Von 1900 bis 1905 wurd die Talsperre gebaut, die bei Vollstau 45,5 Millionen Kubikmeter Wasser aufnehmen kann. Seine Majestät dürfte statt der Dekoration wohl eher die technische Meisterleistung des Bauwerks, konzipiert von Prof. Otto Intze, beeindruckt haben. Für die Menschen in der Eifel, für die Landwirtschaft bedeutete der Bau der Talsperre eine Zeitenwende. Doch ganze Weiler mussten für den Bau des heutigen Talsperrensystems aufgegeben werden. Sie wurden geflutet.
Die Urfttalsperre dient vor allem dem Hochwasserschutz und gleicht Trockenperioden aus. Über einen 2,7 Kilometer langen Stollen wird Wasser zum Jugendstilkraftwerk Heimbach transportiert und Energie aus Wasserkraft erzeugt.
„130 Kubikmeter Wasser pro Sekunde können wir maximal abgeben“, so Neue: „Bei Hochwasser können es aber auch 180 Kubikmeter sein, die einlaufen.“ Also kann passieren, was im März und April dieses Jahres fast geschehen wäre: Ein halber Meter fehlte noch, dann wäre der Überlauf geöffnet worden. „Wir haben also kein Problem mit Hochwasser“, so Neue. Aber: „Wäre auf einer Seite kein See, würde es dann kritisch.“ (sli)
Ein kleines Rinnsaal in einer Senke am Fuß der Wand begleitete die Gruppe hinab, das Stufenmeer wurde immer wieder durch quer stehende Gitter auf halber Breite des rund sechs Meter breiten Durchstichs abgebremst. Eine sinnvolle Barriere gegen den Schwindel in der engen Röhre. Das Rinnsal war der Abfluss der Drainage, es vermittelte eine Ahnung vom bis zu 6 Bar hohen Druck, den das Wasser des Urftsees aufs Mauerwerk ausübt.
Kontrollgangsystem bei laufendem Betrieb eingesetzt
Erst 1995 bis 1999 wurde das Kontrollgangsystem in die Bogenmauer gesprengt. „Bei laufendem Betrieb“, so Stefan Neue. Eine ganze Reihe der damals angebrachten Sprenglöcher im Mauerwerk sind noch zu sehen.
Die Mauer neben dem gewaltigen Kaskadenbauwerk für den kontrollieren Überlauf stehe auf ihrem eigenen Gewicht, ohne Fundament, erklärt der WVER-Experte wenig später neben dem blauen 60er-Rohr des Grundablasses. Irgendwie wirkt das labil: eine Mauer, einfach so zwischen zwei Seen ins Wasser gestellt. 60 Meter hoch ist die Wassersäule des Urftsees bei Hochwasser, 15 Meter die des Obersees. Dazwischen bestaunte die Gruppe im von Neonleuchten erhellten Kontrollgangsystem Messinstrumente, die das Ganze überwachen.
Insgesamt eine Stunde dauert die Führung
Um zu wissen, was die Staumauer so alles macht, sind Schwimm- und Mauerlote an verschiedenen Messpunkten angebracht, ein Seismometer ermittelt eventuelle Unruhen im Felsgrund. Bis zu zwei Millimeter Schwankungen pro Jahr sind auch auf Erwärmungen im Sommer zurückzuführen. Dann dehnt sich teilweise aus, was sich an 135 000 Kubikmeter Kubatur ohne Fundament aus eigenem Gewicht im Wasser hält. Alles eine Frage des Gleichgewichts, kann also das Fazit lauten, als es nach knapp 50 Minuten wieder aufwärts geht.
Aaron Opitz, mit seinen Eltern aus Geilenkirchen angereist, erinnerte sich deutlich an das Gefühl, im Kontrollgang, 60 Meter tiefer. „Dass da von beiden Seiten so viel Wasser auf die Mauer drückt, das hatte schon was Beängstigendes“, so der Junge nach der knapp einstündigen Besichtigung. Dabei wirkt er natürlich cool, super cool.