AboAbonnieren

Krieg in der UkraineBei Senioren im Kreis Euskirchen werden alte Ängste geweckt

Lesezeit 5 Minuten
Seniorenheime Krieg_001

Erst Corona, dann die Flut, jetzt der Krieg: Anne Mertens, Bewohnerin des Eva in Gemünd, macht sich viele Sorgen.

Kreis Euskirchen – Angst, Sorgen, Wut. Der Krieg in der Ukraine weckt viele Emotionen. Eine besondere Situation ist es für die Menschen, die am eigenen Leib miterlebt haben, was Krieg bedeutet. Viele der Bewohner in den Seniorenheimen werden nun an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs erinnert.

Im Evangelischen Altenheim in Gemünd (Eva) erinnern sich die Bewohner oft an die eigenen Kriegserlebnisse. „Es ist immer wieder in den Gesprächen präsent“, berichtet Nele Reiners. Sie ist im sozialen Dienst des Altenheims ständig mit den Bewohnern in engem Kontakt. Manche Senioren redeten viel darüber, andere umso weniger. „Es gibt Bewohner, die nicht darüber sprechen wollen und das in sich reinfressen“, sagt sie.

„Manche Bewohner möchten kein Fernsehen schauen“

Mario Reidt, Pflegedienstleiter des Barbarahofs in Mechernich, bestätigt diese Beobachtung: Einige Senioren versuchten, den Konflikt auszublenden. „Manche Bewohner haben gesagt, dass sie jetzt kein Fernsehen mehr schauen möchten“, berichtet er. Viele drücken ihm zufolge zudem Mitgefühl und Betroffenheit aus. Die Ängste und Sorgen der Bewohner nehme das Pflegepersonal ernst, sagt er.

„Es ist wichtig, empathisch mit den Menschen zu sprechen, vielleicht auch mal gemeinsam bei einem Spaziergang über die Sorgen reden. So handhaben wir das auch aktuell“, so der Pflegedienstleiter.

Am 24. Februar war zunächst Trösten angesagt

„Ein großer Teil bekommt das Geschehen mit und ist besorgt“, sagt auch Malte Duisberg, Leiter des Eva. Dabei habe er den Eindruck, dass die Menschen weniger die Sorge umtreibe, das der Krieg sich ausbreiten könnte als vielmehr die Frage, was er für die jüngere Generation bedeute.

„Am 24. Februar kamen wir zur Arbeit und mussten erst einmal trösten“, erinnert sich Reiners an den Tag, als Putin die Ukraine überfiel. Es war der Weiberdonnerstag. Um die Bewohner abzulenken, wurde trotzdem etwas Karneval gefeiert. Um die Sorgen aufzufangen, werde viel geredet, sagt Reiners. Wichtig sei, die Ängste ernstzunehmen, dass die Menschen nicht in ein Loch fielen.

Die Ängste werden nicht bagatellisiert

Der Meinung ist auch Karl-Heinz Will, Gerontologe an den Altenpflegeeinrichtungen der Marienborn-Kliniken: „Wichtig ist, die Ängste ernstzunehmen. Man sollte nie sagen: ,Stell dich nicht so an’. Man sollte die Ängste nicht bagatellisieren, sondern zuhören, sie akzeptieren und zeigen, dass man mitfühlt.“

In den Marienborn-Einrichtungen in Nettersheim und Zülpich lebten vor allem Senioren mit psychischen Erkrankungen und Demenz, sagt der Gerontologe. Die Bewohner der Pflegeeinrichtungen sprechen dadurch ohnehin regelmäßig über ihre Sorgen und Ängste mit therapeutischem Fachpersonal.

Die Angst vor einem Atomkrieg ist wieder da

Zwar gebe es in den Einrichtungen wenige Menschen, die den Zweiten Weltkrieg noch miterlebt haben, aber einige Senioren aus der Nachkriegsgeneration. „Vor allem der Kalte Krieg ist für sie noch präsent. Die ständige Angst, dass ein Atomkrieg ausbricht, wird jetzt wieder wachgerufen“, erklärt Will.

Seniorenheime Krieg_002

Für die Kriegsgeneration sind Nachrichten über die Ukraine eine Belastung, wissen Malte Duisberg und Nele Reiners vom Eva in Gemünd.

„Wir haben gedacht, unsere Arbeit wird leichter, wenn die Soldatengeneration nicht mehr da ist, aber dies sind die Leidtragenden, die nicht handeln konnten“, sagt auch Duisberg. Die Männer, die in den Krieg gezogen seien, hätten oft ihre Traumata für sich behalten und nie verarbeitet. „Wir haben gedacht, das Thema schleicht sich aus“, sagt Duisberg.

Doch für die Bewohner sei der jetzige Krieg wie ein Déjà-vu. „Es kommen jetzt die alten Geschichten hoch, wie die Menschen im Tunnel in Gemünd saßen, um sich vor den Bomben in Sicherheit zu bringen oder Erzählungen von der Flucht“, so Duisburg.

In Gemünder Eva haben viele Senioren Fluchterfahrung

Da mache sich bezahlt, dass das Eva viel mit den Biografien der Bewohner arbeite und deshalb viel von ihnen wisse: „Während der Flüchtlingswelle 2015 haben wir ermittelt, dass 60 Prozent unserer Bewohner aus anderen Regionen kommen und oft Fluchterfahrungen haben.“

Flucht und Vertreibung seien präsente Themen für diese Generation. Deshalb sei es den Bewohnern wichtig gewesen, etwas für die Flüchtenden zu tun, sodass es im Eva eine Sammelstelle für Geldspenden für die Ukraine gibt. „Wir haben schon 800 Euro gesammelt“, so Reiners.

Anne Mertens hat auch noch Alpträume von der Flut

Besorgt ist Seniorin Anne Mertens. „Man denkt oft an früher, als die Tiefflieger kamen“, sagt sie. Ein zehnjähriges Mädchen sei sie damals gewesen, als ihre Mutter sie von ihrem Wohnort in Voissel nach Kall geschickt habe, wo es Fleisch zu kaufen gab: „Das Fleisch haben wir bekommen, aber auf dem Rückweg mussten wir uns dreimal in das Feld werfen, weil die Flugzeuge kamen.“ Ein Schwager ihrer Mutter sei in der Flitsch von Fliegern erschossen worden.

„Das kommt einem alles in den Kopf“, sagt Mertens. Doch die Alpträume, die kommen, befassen sich eher mit einem jüngeren Trauma, dass sie im Betreuten Wohnen in Kall während der Flutnacht erleben musste: „Ich träume dann, dass ich in meiner Wohnung sitze, die voll mit Wasser ist und die Möbel schwimmen um mich herum.“ Deshalb wolle sie sich nicht zu viel mit den Gedanken an den Krieg befassen. „Gut ist es, nicht zu reden, sonst kommt zu viel wieder in den Kopp“, sagt sie.

Sie denke aber darüber nach, was passieren würde, wenn unsere Soldaten in den Krieg eingreifen würden. „Dann hätten wir den Dritten Weltkrieg“, befürchtet sie. Und: „Wie gern hätte ich ein Enkelchen gehabt, jetzt bin ich froh, dass ich keines habe. Man weiß ja nicht, was denen noch bevorsteht.“

Das könnte Sie auch interessieren:

Hubert Hilger ist da anders gestrickt. „Ich interessiere mich nicht für den Krieg, habe auch keine Ahnung mehr von Politik“, sagt der 93-Jährige. Nachrichten sehe er sich auch nicht mehr an. Als Kind habe er viele schlimme Sachen erlebt, doch darüber reden wolle er nicht, auch nicht mit den anderen Bewohnern.

Erst bei der Verabschiedung bricht es aus ihm heraus: „Ich habe gewusst, dass es Krieg gibt.“ Es sei genau wie bei der Kubakrise, als die USA auf den Bau von russischen Raketenbasen auf Kuba mit Atomraketen gedroht hätten.