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SicherheitstrainingPostboten lernen in Euskirchen den Umgang mit aggressiven Hunden

Lesezeit 6 Minuten
Schäferhund Clip fliegt mit einem riesigen Satz über eine Wand aus Kisten, um seine Zähne in das Paket zu schlagen, das Martin Pfaff festhält. Auf der anderen Seite steht Uwe Graute.

Wenn er ein Paket sieht, wird Clip zum fliegenden Hund. Uwe Graute (l.) und Michael Pfaff demonstrieren, wie eine Zustellung schief gehen kann.

Am Zustellstützpunkt Euskirchen übten Zusteller und Zustellerinnen das richtige Verhalten bei aggressiven Hunden und uneinsichtigen Haltern.

Für Clip ist das alles ein riesiges Spiel. Sagt jedenfalls Uwe Graute. Und der muss es wissen, schließlich ist Clip sein Hund. Für den Beobachter sieht das Spiel allerdings zeitweilig ziemlich gefährlich aus – und erst recht für die Briefträgerinnen und Briefträger: Der Rüde ist gewissermaßen ihr Trainingspartner, mit dem sie lernen, Hundeattacken bestenfalls zu vermeiden, sie im schlechteren Fall aber wenigstens unverletzt zu überstehen.

Rund 116.000 Zustellerinnen und Zusteller liefern im Auftrag von Deutscher Post und DHL an sechs Tagen in der Woche Briefe und Pakete aus, heißt es aus dem Unternehmen. Und es komme immer wieder vor, dass sie dabei von Hunden angegriffen werden. 1800 Fälle seien es im vergangenen Jahr gewesen, in rund 100 Fällen erlitten Zusteller oder Zustellerinnen so schwere Verletzungen, dass sie mehrere Tage nicht arbeiten konnten.

Die Post bietet den Zustellern regelmäßig Trainings mit Hunden an

Deshalb bietet die Post regelmäßig das Training an, als Teil des Gesundheitsvorsorgeprogramms im Unternehmen. Am Euskirchener Zustellstützpunkt sind Michael Pfaff und Uwe Graute im Einsatz – und eben Clip, ein neunjähriger Malinois, also ein belgischer Schäferhund. Der wartet im Auto, bis die Menschen den theoretischen Teil der Unterweisung hinter sich gebracht haben.

Pfaff erklärt anhand von Videos und Grafiken, mit welcher Haltung ein Hund welche Stimmung ausdrückt. Es sei wichtig, den Hund zu „lesen“, sagt der Fachmann. Clip ist logischerweise für den praktischen Teil zuständig. Der fängt eigentlich ganz harmlos an. Aus postgelben Briefkisten ist eine Gasse aufgebaut, in der sich Hund und Mensch begegnen.

Eine Zustellerin hält das Kissen, in das der Hund Clip sich verbissen hat. Hinter ihr steht Martin Pfaff.

Das Beißkissen steht bei dem Malinois ganz hoch im Kurs. Voller Kraft zerrt und reißt er an seinem Spielzeug, das Jaqueline so gerade gehalten bekommt.

Ein Zusteller geht an Uwe Graute vorbei, der den Schäferhund an der Leine führt.

Besser ist es, den Besitzer zwischen sich und den Hund zu bringen.

Für den ersten Versuch gibt es eine nette, nichtsdestoweniger vernichtende Kritik. „Du hast den Hund ignoriert, das war richtig. Ansonsten hast du alles falsch gemacht.“ Michael Pfaff erklärt, wie man an einem fremden Hund vorbeigeht: grundsätzlich auf der Seite des Hundebesitzers, damit der gewissermaßen der Puffer ist. Clip möge diese Situation nicht, sagt Graute.

Und in der Tat zeigt der Rüde Stresssymptome, züngelt und schaut immer wieder zu seinem Chef auf: „Hab' ich gut gemacht, oder?“ Wenn Uwe Graute ihm seinen Ball zum Spielen gibt, dann weiß Clip, dass er alles richtig gemacht hat. In der nächsten Übung darf er zeigen, wie schnell und sprunggewaltig er ist. Eine Kistenwand simuliert den Gartenzaun, hinter der das Herrchen auf sein Paket wartet.

Der Hund bellt und zerrt an der Leine, die Zustellerin gibt klare Anweisungen

Clip weiß, was er zu tun hat, er bellt und zerrt an der Leine. Aber Sarah Schneider weiß ebenfalls, was sie zu tun hat. Sie ruft dem Hundebesitzer zu, er solle das Tier wegsperren, sonst nehme sie das Paket wieder mit. Und das tut sie auch, ungeachtet des wütenden Protestes.

Was passiert, wenn der Paketzusteller sich vom Drohverhalten des Hundes nicht beeindrucken lässt, demonstriert Michael Pfaff. Er nähert sich, der Hund springt mühelos mit einem riesigen Satz über den Zaun und reißt ihm das Paket aus den Händen. Mit kräftigen Bissen zerfetzt er den Karton, bis Graute ihn mit einem Ball ablenkt.

33 Kilo Hund kommen beim Training in Euskirchen angeflogen

„Das ist keine Aggression gegen den Menschen, das ist Beuteaggression“, ordnet der Fachmann das Verhalten seines Hundes ein. Trotzdem ist es ein bedrohliches Schauspiel. Wie es ist, wenn Clip ernsthaft zornig wird, möchte man nicht erleben. Auf die Zusteller wartet dann eine kleine Mutprobe. Sie sollen das Beißkissen packen, sicheren Stand suchen und auf den Ansturm des Hundes warten.

Vorsichtshalber bleibt Michael Pfaff in der Nähe, damit es niemanden von den Beinen haut. Denn es kommen 33 Kilo Hund angeflogen. Das bringt nicht nur 50-Kilo-Frauen, sondern auch stattliche Männer ins Wanken. Clip springt hoch, packt das Kissen, schüttelt es wild, bis er das Spielzeug erobert hat. Auf ein energisches Kommando seines Chefs lässt er los.

Ich habe im Reflex die Augen zugemacht, als Clip auf mich zugesprungen kam
Christian Henke, Zusteller

Zusteller Christian Henke hat selbst einen Hund, trotzdem geht er mit Respekt auf fremde Vierbeiner zu, seit er gebissen wurde. 2016 war das, und der „Täter“ war ein eher kleiner Terrier, der ihm die Zähne in die Wade schlug. „Ich habe im Reflex die Augen zugemacht, als Clip auf mich zugesprungen kam“, berichtet Henke nach der Übung mit dem Beißkissen. Der Hund habe ihn regelrecht durchgeschüttelt: „Das war eine wertvolle Erfahrung, ich habe heute etwas fürs Leben gelernt.“

Zusteller erhalten in Euskirchen Tipps, wie sie sich wehren können

Die Rückmeldungen sind durchweg positiv. „Ich bin stolz, dass ich über meinen Schatten gesprungen bin“, sagt eine Teilnehmerin, nachdem sie Clips Ansturm standgehalten hat. Auch Sarah Schneider ist selbst Hundebesitzerin. Seit eine französische Bulldogge sie gebissen habe, schaue sie ganz anders auf fremde Hunde, erzählt sie.

Michael Pfaff hat einen der Lehrgangsteilnehmer am Arm gepackt, in Hintergrund schauen weitere Zusteller zu.

Wie man einen Hund abwehrt, zeigt Michael Pfaff (im blauen Pullover).

Einziger Kritikpunkt aus dem Kreis der Teilnehmer: Der Theorieteil sei zu lang gewesen. Michael Pfaff ist dankbar für die Rückmeldung der Teilnehmer. Acht Teams für derartige Trainings gebe es in Deutschland, sagt er. Und die treffen sich einmal im Jahr, um Erfahrungen auszutauschen und eben Kritik und Anregungen in ihre Programm einzuarbeiten.

Drastisch erklärt und zeigt er, wie man reagieren sollte, wenn ein Hund sich tatsächlich festgebissen hat. Nämlich nicht versuchen, den Arm wegzuziehen, sondern tatsächlich den Hund zu sich heranziehen. Der versuche dann, aus dieser Situation herauszukommen. Aber der Trainer ist realistisch: „Das zu tun, kann ich von keinem von euch verlangen.“

Christian Henke fragt, ob man nicht den Hund an eine schmerzempfindliche Stelle treten könne, um sich vor den Bissen zu retten. Pfaffs Antwort ist eindeutig: „Wenn der Hund euch angreift, dürft ihr ihm auch wehtun.“ Ihm auf die Nase zu hauen sei allerdings der falsche Weg. Dann sehe der Hund die Hand kommen und beiße womöglich auch noch in den zweiten Arm.

Der Hundetrainer ist ein Freund klarer Worte: „Die Unversehrtheit des Menschen steht über der Unversehrtheit des Hundes.“ Und zum Abschluss hat er noch einen wichtigen Rat für die Zustellerinnen und Zusteller: „Lasst euch niemals einreden, ihr wäret schuld, wenn euch ein Hund beißt. Das liegt immer in der Verantwortung des Besitzers.“


Neinsager bekommen Rückendeckung

Ein Paket einfach wieder mitnehmen? Für viele Zustellerinnen und Zusteller ist das gegen die Berufsehre. Und außerdem: Was sagt der Chef oder die Chefin dazu, wenn jemand seinen Job nicht erledigt? Das Neinsagen, das Rückgrat-Zeigen gegenüber uneinsichtigen Hundebesitzern, war ein ganz großes Thema beim Trainingstag. „Unsere Einstellung ist: Jeder Hundebiss ist einer zu viel“, sagt Juliane Tiemann, Niederlassungsleiterin Bonn von Deutscher Post und DHL.

Sie stärkt den Kolleginnen und Kollegen den Rücken, die Nein sagen und die Zustellung verweigern, weil jemand seinen Hund nicht wegsperren will: „Gut ist auch, wenn wir eine Rückmeldung bekommen, wo ein aggressiver Hund ist. Dann ist der nächste, der dort zustellt, schon mal vorgewarnt.“ Sarah Schneider ist sei dem Frühjahr Standortleiterin am Zustellstützpunkt Euskirchen und seitdem nur noch drei Stunden am Tag draußen unterwegs von Haustür zu Haustür. „Alle dürfen Nein sagen“, betont sie.

Sarah Schneider simuliert eine Paketzustellung.

Ist schon gebissen worden: Postmitarbeiterin Sarah Schneider.

Wie schwer das fällt, weiß sie. Denn sie kennt auch die Reaktion einiger uneinsichtiger Hundebesitzer: „Die fahren richtig hoch.“ Da bringe es nichts, auf Konfrontation zu gehen, sondern es sei besser, sich zurückzuziehen – notfalls eben mit dem Paket, auf das der Empfänger so ungeduldig warte.

Sie selbst habe in solchen Momenten, wenn der Hundebesitzer drauf bestehe, man solle doch näher kommen und das Paket übergeben, auch schon Nein gesagt. Doch oft traue man sich das nicht, berichtet sie. Rückendeckung bekommen die Zusteller auch von Hundetrainer Michael Pfaff: Das beste sei es, gefährliche Situationen zu vermeiden, sagt er. Im Zweifelsfall eben, indem man Nein sagt und den Zorn des Hundebesitzers in Kauf nimmt.