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80 Jahre nach WeltkriegsendeEuskirchener Zeitzeugen erzählen von Trümmern, Tod und Leid

Lesezeit 6 Minuten
Eine historische Aufnahme zeigt einen Panzer, umgeben von zerstörten Häusern. Am Straßenrand steht ein Soldat.

Der erste Panzer der US-Armee in Euskirchen drang über die Bahnhofstraße in das Stadtzentrum vor.

Im Stadtmuseum Euskirchen schilderten Karl-Heinz Decker, Hans Helmut Wiskirchen und Maria Wildenburg ihre Erinnerungen ans Kriegsende 1945.

„Kriegsleben und Neubeginn. Alltagsleben in Euskirchen 1945-1950“ lautete der Titel einer Veranstaltung am Vortag des Volkstrauertages im Stadtmuseum Euskirchen. Drei Zeitzeugen berichteten. Für den 25. Januar 2025 ist eine zweite Gesprächsrunde geplant.

Voll besetzt war der Vortragsraum des Euskirchener Kulturhofs bei der von Museumsleiterin Dr. Heike Lützenkirchen moderierten und vom Förderverein des Museums angebotenen Veranstaltung. Der ehemalige Oberkreisdirektor Dr. Karl-Heinz Decker, Hans Helmut Wiskirchen, Studiendirektor i.R., und die Euskirchenerin Maria Wildenburg – die drei sind zwischen 85 und 87 Jahren alt – hatten sich bereiterklärt, als drei von geschätzten 30 noch lebenden Zeitzeugen aus den Monaten kurz vor Kriegsende und bis zu den ersten Jahren danach zu berichten.

Im März 1945 hielten sich nur noch 250 Menschen in Euskirchen auf

Den größten Raum nahmen dabei die Schilderungen der letzten Kriegsmonate in der vor dem Zweiten Weltkrieg rund 15.000 Einwohner großen Stadt ein. Als in Euskirchen die Kämpfe endeten, am 4./5. März 1945, waren nur noch um die 250 Menschen dort. Es werde natürlich zunehmend schwieriger, „Zeitzeugen zu finden, die wir direkt fragen können“, sagte Museumsleiterin Lützenkirchen. Es sei daher ein umso drängenderes Ziel, mithilfe der wenigen, die noch bereit sein könnten, von damals zu erzählen, „den Nachgeborenen, speziell heute jungen Menschen, den Wert nahezubringen, den Freiheit und Demokratie haben“.

Auch deshalb wurden die Erinnerungen der drei Geladenen aufgezeichnet. Sie sollen transkribiert und so dokumentiert werden und bilden einen wichtigen Teil der für das kommende Jahr geplanten Museumsausstellung mit dem Titel, der auch der Diskussionsveranstaltung den Namen gab: „Kriegsleben und Neubeginn. Alltagsleben in Euskirchen 1945-1950“. Eine betagte Zuhörerin überreichte Lützenkirchen vor Beginn der Veranstaltung ihre Erinnerungen an diese Jahre. Handgeschrieben auf mehreren Seiten in einer Klarsichthülle.

Das Schwarz-Weiß-Bild zeigt Soldaten in Zweierreihen, im Hintergrund zerstörte Gebäude.

Am 5. März 1945 zogen amerikanische Soldaten über den Alten Markt in Euskirchen. Nach zahlreichen Bombenangriffen lag die Stadt zu großen Teilen in Trümmern.

Als Power-Point-Präsentation eingerichtete dokumentarische Schwarz-Weiß-Fotos von Paul Haas, die heute im Museumsarchiv lagern, versetzten die Zuhörer zurück in die Monate vor allem ab dem Herbst 1944, als Euskirchen zunehmend zu einem qualmenden Trümmerhaufen wurde. Die Kernstadt wurde im Zweiten Weltkrieg zu 80 Prozent zerstört, etwa die Bahnhofstraße und der Bahnhof.

Der Euskirchener Bahnhof war ein wichtiges Ziel für Bombenangriffe

Haas fotografierte noch qualmende Überreste der Häuserzeilen an der Kölner Straße. Der Alte Markt: ein Trümmerfeld bis auf die heute an das alte Euskirchen erinnernde Ecke. Alleine die Martinskirche blieb fast ohne jede Zerstörung. „Wie Düren und Jülich war Euskirchen wegen der Bedeutung seines Bahnhofs als Nachschubstandort für die Wehrmacht ein wichtiges Angriffsziel der Alliierten“, erklärte Lützenkirchen.

Hans Helmut Wiskirchen ist 86 Jahre alt und meinte am Rande der Veranstaltung halb scherzhaft: „Ich bin zweimal eingeschult worden: 1944 und im Spätsommer 1945“, doch vor Publikum erzählte er dann keine solchen Anekdoten. Er erinnerte sich daran, „dass ich mit meiner Mutter unter den Trümmern unseres Elternhauses in der Martinsgasse die Befreiung durch die US-Armee erlebt habe“. Überlebt hatte er dank des kleinen Kellers unter dem Gebäude, in den sich die Familie vor den Bombenangriffen gerettet hatte.

Ein Luftbild in Schwarz-Weiß.

Etliche Bombenkrater sind auf dem Luftbild von Euskirchen aus dem Jahr 1945 deutlich zu erkennen. Der Bahnhof ist zerstört.

Besonders eingeprägt hat dem damals sechs Jahre alten Jungen die Bombardierung der Kreisstadt am 7. Oktober 1944, „eigentlich ein herrlicher Oktobersamstag“, so Wiskirchen. Am 29. September 1944 hatten die Bombardierungen Euskirchens begonnen, in deren Verlauf an die 11 000 Bomben auf die Stadt fallen sollten.

Der 7. Oktober 1944 sollte neben Heiligabend zu einem der Albtraumtage der Stadt im Zweiten Weltkrieg werden. „Morgens wurde der obere Teil der Kölner Straße in Schutt und Asche gelegt, gegen Mittag der Bahnhof und das Bahnhofsviertel, auch das Hotel zur Post, in dessen Bierkeller etliche Menschen sich geflüchtet hatten und die dort ums Leben kamen“, so Wiskirchen. Gegen 15 Uhr an jenem 7. Oktober sei es zu einer dritten Bombardierungswelle gekommen, „bei der die Kommerner Straße zerstört wurde“.

Man ging von Tür zu Tür, fragte, ob man aufgenommen würde. So recht wollte uns keiner haben.
Maria Wildenburg

Wie ging es nach Kriegsende weiter? Nach dem 5. März 1945, als Euskirchen offiziell als eingenommen und befreit galt, tobte weiter östlich noch der Krieg. „Man musste sehen, wie man zurechtkommt“, so Wiskirchen. Schon im strengen Winter 1944/45 wurde etwa der Schnee im Kessel getaut, um Brauchwasser zu haben. Trinkwasser bekam die Bevölkerung aus dem Brunnen der Brauerei Steffens.

Im Gegensatz zu Wiskirchen war Maria Wildenburg mit der Familie aus Euskirchen geflüchtet. Die 85-Jährige erinnerte sich jetzt an die mühsame Suche nach einem Dach über dem Kopf in Thüringen: „Man ging von Tür zu Tür, fragte, ob man aufgenommen würde. So recht wollte uns keiner haben. Meine Mutter fand dann Arbeit bei einem Bäcker, wir konnten bleiben.“ Erst nach Kriegsende kehrte Wildenburg nach Euskirchen zurück.

Ähnlich wie Hans Helmut Wiskirchen erlebte auch Karl-Heinz Decker – Jahrgang 1937, die Familie lebte am Schillerpark – die Monate vor dem Kriegsende noch in seiner Heimatstadt, bis die Familie ins Rechtsrheinische flüchtete. „In Euskirchen damals auf der Straße sein, das war lebensgefährlich! Die Amerikaner schossen aus ihren Lightnings auf alles, was sich bewegte“, erzählte Decker. Besonders eingeprägt habe sich ihm die Bombardierung der am Euskirchener Bahnhof stehenden Munitionszüge: „Die Waggons flogen einer nach dem anderen in die Luft. Die Splitter sausten sogar noch an unserem Haus vorbei“, so Decker.

Mit Kriegsende ging es aus dem Fluchtgebiet zurück in die Heimat: „Die Alliierten hatten am Standort der heutigen Kölner Südbrücke eine Pontonbrücke über den Rhein gebaut, die sie einmal am Tag für eine Stunde für die Rückkehrer öffneten. Die Poller Wiesen waren von Heimkehrwilligen überflutet.“

Die Poller Wiesen waren von Heimkehrwilligen überflutet.“
Karl-Heinz Decker

Und dann die letzten Kilometer weiter: „Wir hatten nur ein Gefährt mit Kinderwagenrädern. In Meschenich fanden wir eine erste Unterkunft bei einer Frau in deren kleinem Häuschen. Meine Mutter hatte Alpha-Zigaretten gehortet. Die hielt sie an der Straße den Autos entgegen“, so Decker. Die Zigaretten, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit als illegale Währungsmittel eingesetzt wurden, hätten schnell gewirkt: „Da kam ein Milchwagen – der stand sofort!“ Auf der Ladefläche, zwischen Milchkannen, sei man dann bis Büllesheim gekommen, von dort weiter nach Euskirchen. Die fast völlig zerstörte Heimatstadt muss ein grausamer Anblick für Decker wie für alle Rückkehrer nach Kriegsende gewesen sein.

Die drei Zeitzeugenberichte schlugen die Zuhörer in ihren Bann. Sofort drängten sich die Bilder vom Leid der Bevölkerung im zerstörten Gazastreifen und in der Ukraine auf. Wiskirchen, Wildenburg und Decker schlossen eine Zeitlücke. Sie spannten nur durch ihre Erzählungen Bögen zwischen der Zeit vor 75 Jahren und heute. Indem sie schilderten, wie es damals war.

Euskirchen wurde nicht noch stärker zerstört, weil die Verteidigung der Weststadt einfach eingestellt worden war. Die Stimmung unter den Alten, die noch da waren und zum „Volkssturm“ eingezogen wurden, sei einfach so gewesen: Es macht keinen Sinn mehr. Lasst uns damit aufhören, so die Zeitzeugen. Danach begann das, was man gerne fälschlich die „Stunde Null“ nennt. Tatsächlich waren es Jahre, in denen Schritt für Schritt der Wiederaufbau eines zerstörten Landes begann.