Berlin – Die FDP sieht für ihre schweren Verluste bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen auch bundespolitische Gründe. Zu dem „dramatischen Einbruch” bei den über 60-Jährigen habe die große Unzufriedenheit mit der Energiepreispauschale beigetragen, sagte der Bundesvorsitzende Christian Lindner am Montag in Berlin. Im Straßenwahlkampf sei immer die Frage gekommen, warum es die Einmalpauschale von 300 Euro nicht auch für Rentner gebe. „Obwohl es gar nicht unser eigenes Modell war, auch nicht unser Projekt, ist das in besonderer Weise auch mit der FDP in Verbindung gebracht worden.”
Die Kommunikation dieser Gerechtigkeitsfrage im Gesamtpaket der Entlastungen sei nicht gelungen, sagte Lindner. „Daraus müssen wir auch für künftige politische Projekte der Koalition in Berlin unsere Konsequenz ziehen.” Der FDP-Chef betonte, die Ampel-Koalition sei nie der „politische Wunschtraum” der FDP gewesen. „Wir regieren in der Ampel aus staatspolitischer Verantwortung, weil CDU und CSU nach der Bundestagswahl nicht willens und in der Lage waren, eine Regierung zu bilden.” Daran habe sich nichts geändert. Zudem herrsche jetzt Krieg in Europa und die Wirtschaft befinde sich in einer riskanten Lage.
Die FDP müsse zwar ihre Probleme aufarbeiten. Im Zentrum stehe aber das Regierungshandeln. „Wir haben gegenwärtig keine Zeit und keinen Raum, uns vertieft mit uns selbst zu beschäftigen, solange es Krise und Krieg gibt”, sagte Lindner. „Im Zentrum steht jetzt das Land und nicht kleine oder größere Geländegewinne für die FDP.”
NRW-Spitzenkandidat Joachim Stamp sprach von einem „ausgesprochen bitteren Abend” und sagte voraus: „Wir werden jetzt in Nordrhein-Westfalen eine schwarz-grüne Koalition bekommen. Es ist klar erkennbar, dass die CDU bereit sein wird, auch für die Wahl des Ministerpräsidenten viele Inhalte zu opfern.” Es gebe einen „klaren Regierungsauftrag für CDU und Grüne”. Das sei nach seinem Eindruck inzwischen auch bei SPD-Herausforderer Thomas Kutschaty angekommen. „Deswegen rechne ich nicht mit einem Anruf.”
Kutschaty hatte sich Hoffnungen gemacht, trotz des großen Vorsprungs der CDU eine Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP bilden zu können. „Die Ampel in Nordrhein-Westfalen hätte doch gar keine innere Legitimation”, sagte dazu Lindner. Das sei im Bund anders gewesen, wo es außer der Ampel keine Option stabilen Regierens gegeben habe.
Bei der NRW-Landtagswahl am Sonntag hatte die FDP nur 5,9 Prozent geholt und damit ihr Ergebnis von 2017 (12,6 Prozent) mehr als halbiert. Diese 12,6 Prozent seien das beste Ergebnis aller Zeiten gewesen, sagte Lindner. Es habe eine Sondermobilisierung gegeben, weil es sich quasi um eine vorgezogene Bundestagswahl gehandelt habe. „Dass das nicht gehalten werden konnte, das war jedem klar.”
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